Kaum eine Woche vergeht, ohne dass ein Landwirt oder eine Bäuerin in der Coop-Zeitung oder im Migros-Magazin gross rauskommt. Nett drapiert präsentieren sie ihr Produkt, knuddeln ein Jungtier, knien im Gemüsefeld oder befühlen reifende Ähren. Dies alles publizieren die beiden orangen Giganten nicht ganz uneigennützig: In den Texten liest man nicht nur über die Top-Leistungen der Produzentinnen und Produzenten,

sondern stets auch vom Beistand, den diese durch ihre grössten Absatzkanäle erfährt.


Gutes tun und darüber reden, dagegen kann man nicht viel einwenden, aber ein Blick auf die Finger der Grossverteiler lohnt sich allemal. Zunächst muss man festhalten, dass wir mit Migros, Coop und Konsorten nicht schlecht fahren. Die beiden Krösusse erhalten für ihr Engagement im Dienste von bäuerlicher, regionaler, tierfreundlicher und ökologischer Landwirtschaft alljährlich Lorbeeren in internationalen Rankings. Und auch die Mitbewerber schlafen nicht.

Sowohl Aldi wie auch Lidl, die zwei deutschen Discounter, versuchen sich mit Bioprodukten und heimatlicher Herkunft zu profilieren. Denner wiederum führt seit Neuestem eine IP-Linie und macht so naturnah Produziertes auch für eine weniger kaufkräftige oder -willige Kundschaft zugänglich. Zudem unterscheidet sich die Schweizer Detailhandelsszene auffällig von den Strukturen in beispielsweise Deutschland oder England, wo die Margen derart knapp sind, dass der Preisdruck auf die  Produzenten mindestens an Ausbeutung grenzt.


Von derartigen Zuständen sind wir bis anhin weitgehend verschont. Doch auch hierzulande leben wir nicht im Land, wo Milch und Honig für die Hersteller kostendeckend fliessen. Zwischen den Hochglanz-Reportagen in der Detailhandelspresse und der Realität klaffen oft Lücken. So hat sich etwa der scheidende Migros-Chef, unterstützt von seinen Politikspezialisten, regelmässig damit hervorgetan, die Agrarpolitik als protektionistisch und schädlich für die Konsumentenschaft zu geisseln. Gerne machte der angesprochene Herbert 
Bolliger die Landwirtschaft und ihren zugegebenermassen gut ausgebauten Schutz auch für den Einkaufstourismus verantwortlich.


So einfach ist dies allerdings nicht. Rund 90 Prozent des Einkaufstourismus betrifft Non-Food, also nicht Lebensmittel. Und für diese 90 Prozent kann man die Landwirtschaft zu allerletzt verantwortlich machen. Denn die Grossverteiler schöpfen 
im Non-Food-Bereich ebenso hemmungslos die höhere Kaufkraft ab, wie beispielsweise die Importeure von Autos und Kosmetikartikeln, welche hundertprozentig identische Produkte um hohe zweistellige Prozentzahlen teurer verkaufen, als die Konkurrenz im nahen Ausland. Und wer soll es Herr und Frau Schweizer verübeln, wenn sie  über

die Grenze pilgern, um das gleiche Shampoo für den halben Preis zu erstehen?


Die Grossverteiler agieren hier mit anderen Worten gleichsam selber als Einkaufstouristen, indem sie Non-Food aber auch Lebensmittel – Stichwort Fleisch –, im Ausland günstig einkaufen und dann im Inland kräftig Marge abschöpfen.


Erst vor wenigen Tagen wurde denn auch publik, dass Migros mit rund 40 und Coop mit rund 30 Prozent Bruttomarge auf Markenartikeln die eher unrühmlichen europäischen Marktleader sind.

Ein anderes Problem sind die Abhängigkeiten, welche die Marktmacht der Grossverteiler für ihre Partner in der Landwirtschaft zur Folge hat. Coop beispielsweise ist für die Bio Suisse so etwas wie Lebensversicherung und Zeitbombe in einem. Zwar darf man das langfristige Engagement des Basler Detailhändlers in Sachen Ökologie durchaus würdigen. Umgekehrt bindet die Dominanz von Coop dem Ökolabel auch die Hände, wenn es darum geht, mit anderen Handelsketten zusammenzuarbeiten. Wenn Coop hüstelt, hat Bio Suisse eine Lungenentzündung, sagen böse Zungen.

Ähnlich eng verflochten ist das Schicksal von IP-Suisse und Migros sowie Tochter Denner. Zwar bietet der Kanal grossartiges Potenzial, aber gleichzeitig ist die enge Partnerschaft auch ein Klumpenrisiko, das wohl dem einen oder anderen IP-Vertreter zuweilen leichte Schauder über die Haut treibt.


Unter dem Strich kann man den Bauern und ihren Organisationen nur empfehlen, die eigene Unabhängigkeit im Auge zu behalten und mit gesundem Selbstvertrauen 
in die Verhandlungen mit dem Detailhandel zu steigen, denn auch dieser profitiert stark vom Landwirtschafts-Protektionismus, den er so gerne kritisiert. Die satten Margen der Grossverteiler basieren zu einem guten Teil auf den geschützten Grenzen und die Lebensmittel-Erträge von Migros, Coop und Konsorten würden schmelzen wie Schnee in der Märzensonne, sollte dereinst die grosse Liberalisierung kommen.


Produktion und Handel, aber auch die Verarbeiter sitzen hier im gleichen Boot. Deshalb ist es  wichtig, dass die Bauernsame  die Vertreter der nachgelagerten Sektoren regelmässig daran erinnert, dass sie weder Bauernhöfe betreiben, noch die positiven Bilder aus der Landwirtschaft liefern können, die wir allwöchentlich in ihren Magazinen sehen.

Adrian Krebs