Bauernsterben. Bis heute schmerzen die Splitter, hüllt der aufgewirbelte Staub den Bauernstand in einen dicken Nebel. Jeder Bauer, der seinen Betrieb aufgibt oder aufgeben muss, ist einer zu viel. In den öffentlichen Diskussionen wird das Bauernsterben als Problem dargestellt. Es ist etwas, was nicht sein kann, nicht sein darf. Zwar gibt es ein paar Wirtschaftsliberale, denen das Bauernsterben nach wie vor nicht schnell genug gehen kann. Aber auch die Liberalsten schweigen betreten, wenn ein Bauer erzählt, was es für ihn heisst, sich von seinem Betrieb zu trennen.

Doch sterben Bauern, wenn sie ihren Hof aufgeben? Ist das Bauernsterben tödlich? Es kommt darauf an. Wer sich mit Haut und Haar dem grünen Beruf verschrieben hat, für den kommt der Ausstieg einer Hinrichtung gleich. Der Bauer stirbt im übertragenen Sinn, verliert Identität und Lebenssinn. Manchmal gibt es Situationen, in denen der Bauer tatsächlich stirbt. Das Bauernsterben ist da nicht bloss eine Metapher für den landwirtschaftlichen Strukturwandel, sondern harte, kalte, triste Realität.

Von dieser harten, kalten und tristen Realität sind die Bauern weniger beeindruckt, als die übrige Gesellschaft. Einerseits, weil man innerhalb der Landwirtschaft den technokratischeren Begriff Strukturwandel verwendet. Bis jetzt versteht man darunter vor allem die Industrialisierung der Landwirtschaft: Betriebe werden grösser, produzieren dabei mit Skaleneffekten noch mehr landwirtschaftliche Produkte zu immer günstigeren Stückpreisen. Effizienzgewinne, so will es die Marktlogik, werden zuerst von den Pionieren abgeschöpft, später dann von den Kollegen in den nachgelagerten Stufen. Dass mit dieser Logik die Bauern wachsen müssen, ist klar. Andererseits gibt es viele Jungbauern, die wachsen wollen. Sie wollen am Markt bestehen. Zwar wissen sie, dass der Landwirtschaft biologische Kreislaufprozesse zugrunde liegen. 
Mit diesem Wissen können sie aber relativ wenig anfangen. Viel lieber folgen sie der Logik der Industrialisierung – und diese besagt: Nische finden oder wachsen oder weichen. Dass bis 2030 mehr als 10 000 Betriebe ihre Tore schliessen, das sind für die wachstumswilligen jüngeren Bauern gute Nachrichten, sie dürfen damit rechnen, dass sie ihren Hof vergrössern können.

Das ist eine wirtschaftliche Sichtweise einer harten Realität, die in der Gesellschaft nicht verstanden wird. Weil die Gesellschaft sich die Landwirtschaft viel lieber als Idylle vorstellen möchte: Das Bild des gebückten Neni, der seine Kühe, seinen Acker und seine Familie mit Liebe geschützt, gehegt und genutzt hat – es ist ein starkes Bild, an das bei vielen noch vage Kindheitserinnerungen geknüpft sind. Das Bild möchte man erhalten, macht betroffene Miene zum bösen Spiel und wünscht sich Bio, Heidi und Geissenpeter und die Idylle vom Land zurück. Bauernsterben, das sind private Tragödien und Geschichten, die für viele Menschen jenseits dessen sind, was sie selbst ertragen würden. Dabei nehmen die Konsumenten eine zwiespältige Rolle ein: Sie wünschen sich zwar Bio, kaufen aber Industrie.

Doch nicht nur die Konsumenten, sondern auch die landwirtschaftlichen Verbände machen beim Strukturwandel besorgte Miene zum harten Spiel. Einerseits muss man strikte dagegen sein. Denn jeder aufhörende Bauer ist ein potenzieller Beitragszahler weniger. Jeder aufhörende Bauer ist eine Chance weniger, mit den Konsumenten in Kontakt zu bleiben. Jeder aufhörende Bauernfamilie ist eine Familie weniger, die das macht, was wirklich zählt: mithilfe natürlicher Prozesse Nahrungsmittel herstellen. Nicht selten knüpfen die Verbände aber in den politischen Diskussionen an die Sehnsüchte der Konsumenten an. Und beschaffen so die nötigen Mehrheiten im Parlament. Allerdings will man innerhalb der Landwirtschaft den wachstumswilligen Kräften nicht im Weg stehen. Moderne Landwirtschaft, so die andere, nicht weniger oft wiederholte Denkweise, produziert  Nahrungsmittel unter Zuhilfenahme von moderner Technologie, Dünger, Pflanzenschutzmittel. Jeder Verbandsfunktionär, der kritisch über  den Strukturwandel und über die Modernisierung spricht, erntet bestenfalls mildes Lächeln. Der Strukturwandel, oder das Bauernsterben, müsste doch eigentlich noch viel schneller gehen, damit die verbleibenden Betriebe effizienter arbeiten und mit höheren Gesamtkosten und höheren Umsätzen und eventuell mit höheren Gewinnen besser leben können. Auch das sind Argumente, die man ebenfalls kennt.

Was also stirbt, wenn Bauern sterben? Die Landwirtschaft, wie wir sie heute kennen. Nicht mehr und nicht weniger. Was das für die Zukunft heisst, wird sich erst weisen müssen.

Hansjürg Jäger