Ich ziehe die Etikette aus dem Topf, in dem eine Kiefer bepflanzt ist mit sehr langen Nadeln. «Pinus banksiana», murmle ich vor mich hin. Neugierig ziehe ich bei der nächsten Reihe eine weitere Beschriftung aus einem Topf, dessen Baum schmale, feingezackte Blätter aufweist. «Frangula alnus Ron William» steht hier zu lesen. «Amsonia tabernaemontana, Poncirus trifoliata, Paulownia tomentosa, Cryptomeria japonica.» Alles lateinische Bezeichnungen. Mir beginnt der Kopf zu schwirren. Wie heisst dies auf Deutsch? Nur einige Pflanzen erkenne ich an den Blättern und ihrem Wuchs. Ich streife weiter zwischen den unzähligen Töpfen hindurch. Beinahe fassungslos über diese Vielfalt und diesen farblichen Reichtum an Pflanzen. Meine Müdigkeit nach der langen Fahrt ist längst verschwunden.


In frühester Morgenstunde sind wir losgefahren (mein Mann entschied in weiser Voraussicht, dass wir seinen Pick-Up-Wagen benutzen), immer hinter dem vor uns fahrenden Auto, in welchem unsere Tochter und ihr Freund sassen. Nach vielen Schilderungen über sein Zuhause und der aufgebauten Raritätengärtnerei seiner Eltern, war die Einladung zu einem Besuch für mich mit grösster Vorfreude verbunden. Zwischen Hannover und Bremen, in dieser endlosen Weite, liegt das Städtchen Siedenburg, unser Zielort.

Nach herzlicher Begrüssung, starkem Kaffee und Kuchen ist mein inneres Zappeln für alle spürbar. Wir starten zu einer ersten Besichtigungstour durch die liebevoll angelegten Schaugärten. Ausgesuchte Raritäten sind hier in älterem Stadium zu sehen. Hühner und Hähne wuseln zwischendurch. Hinter einer Hecke mit Kiefern aus allen Erdteilen erblicken wir die familieneigene Herde der Hochlandrinder. Nebst Pflanzen kann man sich hier auch mit Nahrhaftem eindecken. Hinter dem alten Scheunenteil ist das grosse Treibhaus für die Saat- und Stecklingsanzucht angebaut. Auch hier sind unzählige Töpfe und Kisten bepflanzt. Frische Stecklinge sind in kleinen Plastiktunnels untergebracht. Gewisse Aussaaten bräuchten bis zu drei Jahre Zeit bis sie aufgehen, erzählen mir die Eltern.

Zwischen Treibhaus und Schaugarten eingebettet stehen die  grösseren, versandfertigen Bäume und Sträucher. Ihre Kundschaft ist weit verteilt. Einige besuchen alljährlich dieses Bijou, andere lassen sich diese Schätze zusenden oder besuchen die Gärtnermeister an den Märkten. Abends sitzen wir im lauschigen Wintergarten, der mit tropischen Pflanzen bestückt ist.

Mein Mann und ich hören über die Veränderungen in dieser Gegend. Schwindende Arbeitsplätze, abwandernde Bevölkerung, wie allen Ortes die finanziellen Mittel fehlen und die wachsende Unsicherheit wie es weitergehen soll. Aber auch wie die Böden, durch das ständige Anbauen von Mais für die Biogasanlagen, langsam zugrunde gehen.

Nach drei Tagen beladen wir wieder unser Auto. Nicht nur mit Koffern. Die Ladefläche reicht gerade so für meine ausgesuchten Pflanzenschätze. Bereichert durch Gespräche, Gerüche und grosser Weite treten wir den Heimweg an. Abends sitze ich vor unserem Haus. Umgeben von meinen mitgebrachten Schätzen. Und bin einfach selig.

Sabine Nussbaumer