BauernZeitung: Andreas Aebi, in der Sonntagspresse sind gewisse Züchter aufgrund des Geschehens in Colmar (F) scharf an die Kasse gekommen (siehe Kasten). Zu Recht oder zu Unrecht?


Andreas Aebi: Für mich hat das zwei Seiten. Die eine Seite ist, dass der STS natürlich auch Partei ist, die hinschaut, auch um Mitgliederbeiträge zu generieren und gewisse Sachen übertreibt. Auf der anderen Seite bin ich gegen sämtliche Exzesse, die nicht tolerierbar sind, weil diese der Reputation der Landwirtschaft in der Öffentlichkeit mehr als nur schaden. Das betrifft ganz wenige Züchter, den übrigen geht es gleich wie mir.

Wo orten Sie Schwachpunkte des Berichts?


Im Bericht wird verwundert festgestellt, dass in Colmar Anbindehaltung war. Da muss ich sagen stopp, was ist falsch mit Anbindehaltung? Es wird gesagt, man sei grob mit den Tieren umgegangen, das stimmt überhaupt nicht, ich kenne niemanden, der so vorbildlich mit den Tieren umgeht, wie diejenigen, welche sie vorführen. Man kritisiert, dass beim Eutereincrèmen sogar Handschutz getragen werden musste, dabei wird heute mit Handschuhen gemolken, um Keimausbreitung zu verhindern. Auch der Vorwurf, dass Stifte eingeführt worden seien in die Zitzen, kann ich nicht nachvollziehen. Dies ist klar verboten und leicht kontrollierbar.


Gibt es andere Punkte, die Sie selber kritisieren?


Ich selber toleriere als ehemaliger Richter und praktizierender Viehhalter nichts, was über unseren Ehrenkodex hinausgeht, also den Tieren schadet oder Schmerzen zufügt. Am spanischen Stand in Colmar habe ich Kühe mit Ödemen am Euter gesehen, ich habe sie fotografiert, weil ich das hier thematisieren will, um zu sagen, so geht es nicht.


War das nur am spanischen Stand der Fall?


Die Schweizer Tiere sind gut in den Ring gekommen, relativ.


Relativ?


Ich mag die vollen Euter nicht, so wie sie heute sind, ganz ehrlich, ich habe dort einen Sinneswandel durchgemacht. Aber was heisst voll? Vielen meiner Nationalratskollegen ist ein Euter schon zu gross, wenn 10 Liter Milch drin sind, das ist natürlich eine riesige Bandbreite, aber mir stösst das auch auf, wenn eine Kuh so aussieht, wie auf diesem Bild (zeigt Kuh mit Ödem auf dem Smartphone, die Red.).


Wenn Sie in Colmar in der Kontrollkommission gewesen wären, hätten Sie alle Schweizer Kühe durchgehen lassen?


Ich habe an sämtlichen grossen Schweizer Ausstellungen, die ich in den letzten zwei Jahren besucht habe, einige wenige Kühe gesehen, die meine Vorstellungen von gefüllten Eutern nicht mehr entsprochen haben.


Der Hauptvorwurf des STS lautet, dass alles was in der Schweiz verboten ist, 60 km ennet der Grenze angewandt wird, etwa Euter versiegeln mit Schnellkleber und anschliessend mit Oxytocin nachspritzen…


… das ist natürlich wieder durch die Tierschutz-Brille gesehen. Aber als ich bei der ASR Präsident wurde, habe ich gesagt, ich mache den Job gerne, wenn nur die Tierausstellungen nicht wären. Das ist etwas, was man fast nicht in den Griff kriegt. Schnellkleber, das geht nicht. Hingegen ist Collodium ok, das haben wir schon vor 30 Jahren benützt.


Wie steht es mit den Zwischenmelkzeiten?


Ich habe schon so oft über das diskutiert… Es gibt Kühe, die ein Jahr nach dem Kalben noch 10 Liter geben, denen tut es natürlich nach 15 Stunden noch nicht weh, aber es gibt scheinbar solche mit 20 Stunden Zwischenmelkzeit, das verurteile ich, das geht nicht.


Wie steht es mit dem Arzneimitteleinsatz, zum Beispiel von Entzündungshemmern?


Für das gibt es eine Arzneimittelverordnung mit tierärztlicher Verschreibungspflicht. Wenn einer Kuh Entzündungshemmer verabreicht werden muss, dann ist sie krank und soll nicht rein.


Was kann man tun?


Ich erwarte von den Tierärzten eine konsequente Linie. Sie müssen eingreifen und Anzeige machen, wenn nicht tolerierbare Praktiken angewandt werden.


Warum greifen die Tierärzte nicht härter durch?


Das frage ich mich auch. Das sind tierschutzrelevante Fragen, die sie angehen müssen, zumal sie andererseits auf dem Privatbetrieb rigoros durchgreifen, wenn die Tierschutzbestimmungen nicht eingehalten werden. Diese Diskrepanz begreife ich nicht.


Müssten nicht in erster Linie die Züchter ihre Selbstverantwortung wahrnehmen?


Die allermeisten sind ausgezeichnete Viehkenner und können sehr viel. Natürlich gibt es einige, die man bremsen muss. Es gibt Grenzen, die nicht überschritten werden können. Den Exzess, es so weit treiben, bis es nicht mehr geht – soweit darf es nicht kommen. Ich staune immer wieder, wie unkritisch viele junge Leute in der Szene das alles gut finden.


Sehen Sie als ASR-Präsident Handlungsbedarf?


Die Arbeitsgruppe Zwischenmelkzeiten des BLV ist an der Arbeit, dieser gehören unter anderen Swissherdbook-Präsident Markus Gerber und Vetsuisse-Dozent Adrian Steiner von der Universität Bern an. Es geht darum, Kontrollmethoden zu überprüfen. Bereits diesen Herbst sind Praxisversuche vorgesehen. Aber ich kann Ihnen sagen, es ist verdammt schwierig, mit einem Gerät eine verlässliche Aussage über die Euterfüllung zu machen. Aber wir sind dran, zusammen mit den Behörden und den Tierärzten, nur gemeinsam finden wir Lösungen.


Braucht es auch eine Verschärfung des ASR-Ehrenkodex?


Wir werden jetzt die Ergebnisse der Arbeitsgruppe abwarten, die im Lauf des nächsten Jahrs kommen und dann überprüfen, ob und wo eine Verschärfung nötig ist. Und wenn alles nicht funktioniert, geht man am Schluss zu einer Melkpflicht über.


Was halten Sie von der Idee eines zentralen Sündenregisters, ähnlich wie für Betreibungen oder Verkehrsvergehen?    


Das könnte durchaus eine Lösung sein.

Setzt man mit den Exzessen die Bundesmittel für die Viehzucht aufs Spiel?


Das möchte ich zuletzt, dass wegen ein paar wenigen Leuten Gelder in Frage gestellt werden. Aber wir sind hier in einem Haus, wo Gelder in alle möglichen Richtungen fliessen und in jedem Geldfluss gibt es Beispiele, wo man sofort aufhören müsste. Deshalb wäre es absurd, die unbescholtene überwiegende Mehrheit der Züchter mit einer Mittelkürzung zu bestrafen. Ich habe Nationalratskollegen, die mir sagen, du verlierst mich als Verbündeten, wenn ihr so weiterfährt, und ich verstehe sie.


Ginge es auch anders?


Natürlich, das zeigt zum Beispiel die Emmentaler Starparade, welche ohne Fitting und überladene Euter bestens funktioniert.


Gibt es andere wichtige Themen, für die ASR eine gute

Lösung finden muss?


Da gibt es etwa die Antibiotikafrage, wo wir stark involviert sind. Dabei gibt es manchmal ganz interessante Erkenntnisse, zum Beispiel, dass der Antibiotikakonsum unserer Tiere lückenlos dokumentiert ist. In der Humanmedizin ist man da noch viel weniger weit. Ich will damit nur sagen, dass wir viele unserer Hausaufgaben gut machen.  
   
Interview Adrian Krebs