«28-Jähriger stirbt beim Mähen», «Mann von Heuballe erdrückt», «Landwirt unter Ladewagen geraten»: Diesen Sommer scheinen die Nachrichtenspalten der Schweizer Presse

voll zu sein mit Meldungen über Unfälle in der Landwirtschaft. Kurze, nüchtern abgefasste Artikel, hinter jeder einzelnen steht ein Schicksalsschlag  und unfassbares Leid für die Familie, Freunde und Umfeld der Verunfallten.


Im Trend leicht rückläufig

Ist es nur der subjektive Eindruck der Schreibenden, dass sich die Unfallmeldungen derzeit häufen, oder ist das doch eine Tatsache? «Im Sommer passieren mehr Unfälle in der Landwirtschaft», bestätigt Rudy Burgherr, Geschäftsführer der Beratungsstelle für Unfallverhütung in der Landwirtschaft (BUL). 
Pro Jahr verunglücken in der Schweizer Landwirtschaft rund 40 Menschen tödlich. Schaut man sich aber den langfristigen Trend über die letzten zehn, 20 Jahre an, sinkt die Zahl leicht. Nicht zu vergessen ist allerdings: Auch die Anzahl Landwirtschaftsbetriebe geht stetig zurück. Zwischen 2014 und 2015 wurden laut Zahlen des Bundesamts für Statistik (BFS) 814 Betriebe weniger gezählt, was einem Strukturwandel von –1,5% oder einem Verlust von 16 Bauernhöfen pro Woche entspricht.


Beim Mähen abrutschen


Gefahren lauern auf einem Bauernhof vielerorts. Im Sommer häufen sich insbesondere die Unfälle beim Heuen. Dieses Jahr kamen schwieriges Wetter und Stress während der wenigen kurzen, sonnigen Zeitfenstern hinzu. Beim Mähen an nassen Hängen passieren schneller Unfälle. Oft genug wird laut Rudy Burgherr aber auch mit der falschen Ausrüstung gearbeitet: «Wer an einen Hang mit mehr als 30 Prozent Steigung fährt und keine Doppelräder montiert, provoziert geradezu einen Unfall.»

Der Löwenanteil an tödlichen Unfällen – nämlich die Hälfte – geschieht mit Fahrzeugen und Maschinen. Besonders häufig sind  Traktorenstürze. Die anderen 50 Prozent entfallen unter anderem auf Stürze (so sind zum Beispiel Leitern ein Gefahrenherd), Unfälle mit Gas, Strom oder Tieren  und auf Brände. Recht häufig verunfallen Landwirte auch im Wald bei Forstarbeiten.


Verletzungen und Todesfälle bei Traktorenstürzen liessen sich einerseits durch Fahrerschutz (Kabinen, Überrollbügel) vermeiden. Seit 1978 besteht beim Traktor ein entsprechendes Obligatorium. Fahrzeuge älteren Baujahrs mussten allerdings nicht nachgerüstet werden, ausser auf Lehrbetrieben oder auf freiwilliger Basis. «Sicher die Hälfte der tödlichen Stürze passieren mit Traktoren ohne Kabine», sagt Rudy Burgherr. Die andere Hälfte liesse sich durch das Tragen der Sicherheitsgurte vermeiden. Neue Traktoren sind damit ausgerüstet. Aber laut Burgherr ist die Gurten-Tragequote viel zu tief.

Laut Gesetz muss der Traktorfahrer den Gurt nämlich nur bei einer Geschwindigkeit von mehr als 25 Stundenkilometern tragen. An gefährlichen Hängen ist niemand so schnell unterwegs, doch gerade dort wären die Gurten umso wichtiger. 
Ein Problem ist auch die Sicht, da die heutigen Traktoren und Maschinen immer grösser werden. Dadurch gibt es immer mehr tote Winkel.

Senioren besonders gefährdet

Kommt es zu einem Unfall in der Landwirtschaft, ist überdurchschnittlich oft ein älterer Mensch betroffen. Bei den von der BUL aufgezeichneten tödlichen Unfällen zwischen 2006 bis 2015 betrug der Anteil der über 65-Jährigen 38 Prozent. Das hat verschiedene Gründe, einer davon ist statistischer Natur: Landwirte arbeiten länger als Menschen in anderen Berufen. Unfälle mit Senioren  erscheinen in den üblichen Berufsunfallstatistiken nicht, weil Rentner(innen) nicht mehr beruflich aktiv sind.

Oft arbeiten Senioren auch mit älteren Fahrzeugen und Maschinen. Untersuchungen aus dem Ausland haben laut BUL aber gezeigt, dass sich mehr Unfälle mit älteren Traktoren ereignen als mit neuen.


Weniger beweglich

Ein weiteres Problem: Junge haben oft keine Zeit, Handarbeiten zu erledigen, wie zum Beispiel eine Böschung zu mähen. «Doch für Senioren ist eine vernachlässigte Umgebung ein Dorn im Auge», heisst es im aktuellen Jahresbericht der BUL. Also arbeiten sie etwa mit dem Motormäher dort, wo der Traktor mit Kreiselmäher gar nicht mehr erst hinkommt.

Egal wie fit man ist, im Alter nimmt die Beweglichkeit ab. Mit Muskeltraining lässt sich dieser Rückgang vielleicht verlangsamen, aber nicht aufhalten. Mangelnde Beweglichkeit spielt bei Unfällen oft eine wichtige Rolle. Das zeigen laut BUL vor allem Untersuchungen von Stolperunfällen.


Aus all diesen Gründen sollte sich jeder Senior folgende Fragen stellen:

- 
Bin ich fähig, diese Arbeit sicher auszuführen?
- 
Habe ich die nötige Ausrüstung?
- 
Habe ich die nötigen Fachkenntnisse?
- 
Muss ich die Arbeit einer jüngeren Person übergeben, die sie professionell und sicher ausführt?

Vorsicht bei Kindern


Gefährdet sind in der Landwirtschaft aber auch die Kleinsten: «Kinder auf dem Bauernhof haben ein zwei- bis dreimal höheres Risiko zu verunfallen als andere Kinder», warnt Rudy Burgherr.  Auch bei dieser Altersklasse lauern die grössten Gefahren rund um Fahrzeuge und Maschinen. Zwischen 1985 und 2015 hat die BUL 189 tödliche Kinderunfälle in

der Landwirtschaft verzeichnet.  66 Kinder wurden überfahren. 53 weitere Kinder starben als Beifahrer oder Fahrer, 17 durch ungeschützte Maschinenteile.
Erfreulicherweise zeigen die Zahlen der BUL bei den Kinderunfällen in den letzten 30 Jahren aber einen deutlichen Rückgang.

Wartungs- und Pflegearbeiten

Schlussendlich ist jeder Unfall einer zu viel. Wie aber lassen sich möglichst viele davon verhindern? «Indem die nötigen Vorsichtsmassnahmen getroffen werden», sagt Rudy Burgherr. Hier eine Liste ohne Anspruch auf Vollständigkeit:


- Vorsichtige, überlegte Arbeitsweise

- Vorausschauen, mögliche Konsequenzen abschätzen
- 
Geländer und Leitern sichern

- Wartungs- und Pflegearbeiten regelmässig durchführen (zum Beispiel an Gelenkwellen, Beleuchtung,  Bremsen)
- 
Fahrerschutz beim Traktor, Sicherheitsgurt tragen

- Traktor und Maschinen 
müssen von der Grösse her zusammenpassen
- 
Sicherheitsausrüstung (Schutzkleidung im Wald, Steigeisen in steilen Hängen)

- Aus- und Weiterbildung

Rudy Burgherr ist seit 35 Jahren in der Unfallverhütung in der Landwirtschaft tätig. Er fasst es so zusammen: «Die richtige Ausrüstung ist das A und O.»


Jeanne Woodtli


Ein ausführliches Interview mit Rudy Burgherr finden Sie in der aktuellen grünen vom 25. August 2016.