as Holzhäuschen schmiegt sich an den Waldrand. Davor liegt das weite Feld; darüber der grosse kanadische Himmel. Von der breiten, gedeckten Veranda aus fällt der Blick auf den üppigen Gemüsegarten. In dieser Idylle, ohne Handelsstrom, fliessendes Wasser und Kanalisation lebt Ruth Wolf mit ihrer Familie.


«Ich lebe eigentlich den Traum meiner Kindheit», sagt die 47-jährige Mutter von acht Kindern im Alter von 9 bis 22 Jahren. Es ist der Traum von vielen, die am Stress des modernen Lebens leiden – ein Traum, der mit viel Arbeit verbunden ist.


Geplatzte Träume


Im Sommer 1991 half die junge Schweizerin ihrem Onkel in Kanada auf der Milchfarm. Dort traf sie ihren Mann Bernhard, ursprünglich aus Deutschland. Nach der Heirat zog das Paar auf ein Stück Land ohne jegliche Einrichtungen. Sie hatten viele Pläne.


Das kleine Holzhaus sollte einem grösseren weichen, mit fliessendem Wasser und Abwasser. Die Bisonherde sollte wachsen und das Einkommen sichern. Der Zusammenbruch der Bisonpreise, die Spätfolgen von Bernhards Unfall als 20-jähriger und nochmals einer vor elf Jahren mit schwerer Kopfverletzung, liess Vieles anders kommen. »Man darf nicht denken, dass die ganze Welt böse ist, wenn es nicht geht wie man es eigentlich gern hätte», sagt Ruth Wolf.


Solarzellen mit Batterien


An diesem Sommertag gucken Wicken und Sonnenblumen über den Gartenhag. Zwei Hängematten baumeln um die Veranda. Davor ist eine Feuerstelle. Hier wird im Frühjahr der Höhepunkt des Jahres gefeiert – der Schulabschluss. Wolfs Kinder werden mit Fernkurse zuhause unterrichtet. Während des langen Winters wird gelernt, unter dem wachen Auge der Mutter. Ende April kommt ein gutes Stück Fleisch auf das Feuer, es gibt Pommes und Cola und einen neuen Fussball für den Sommer. Auch der längste Tag des Jahres wird hier gefeiert, mit einem Open-Air Kino und Nachtspielen.


Zweidrittel der 256 ha grossen Farm ist Weide- und Heuland für Mutterkühe. Für Strom sorgen drei Solarzellen mit Batterien. Eine kleine Windmühle vermag bei gutem Wind die Waschmaschine anzutreiben. Als Ergänzung dient ein Stromaggregat. Wasser wird beim Teich geholt; wer zuerst wieder Bedarf hat, läuft mit dem Eimer. Die Gaskochzelle auf der Veranda ist im Sommer eine grosse Erleichterung – im Haus wird mit Holz gekocht und geheizt.


Am Waldrand wühlen vier Berkshire-Schweine mit ihren Ferkeln in einem Gehege. Zuständig für die Sauen sind Mario, 9, und Joseph, 11. Auf der Farm hats noch Kaninchen, Bienen und 20 Hühner. Im Sommer ist die grosse Gemüseernte. Saskatoon (eine Art Felsenbirnen) und Heidelbeeren werden im Wald gepflückt. Das sind schöne Tage. Im Spätsommer fährt die ganze Familie mit Zelten in die Berge zum Fischen und Beerensammeln. «Wir brauchen gar nicht so viele Ferien wie andere Leute», meint Ruth Wolf. Sie müssten nicht um sieben Uhr zur Arbeit fahren und könnten gemütlich auf der Veranda frühstücken.


Sie habe es oft streng, aber wenn sie an eine auswärts arbeitende, alleinstehende Mutter mit Kindern denke – da habe sie es doch schön. Kraft schöpft Ruth Wolf aus der Sonntagsruhe und dem Abendgebet. Es ist ihr wichtig, dass ihre Kinder einen tragenden Gottesglauben haben und aus allen Lebenssituationen das Beste machen können.


Internet gehört zum Alltag


Wolfs leben in vielen Hinsichten noch wie die Pioniere, aber sie sind nicht weltfremd. Smartphones und Internet gehören 
zu ihrem Alltag. Die älteren Jungs sind auf Facebook anzutreffen. So weit weg ist die‚

normale‘ Welt ja gar nicht – nur zehn Fahrminuten. In 40 Minuten sind sie in einer geschäftigen Stadt mit 30 00 Einwohnern.


Was sagen die Kinder zu diesem Leben? Schliesslich wissen sie, dass viele andere in grossen Häusern mit allem Komfort 
wohnen. Die 16-jährige Martha meint: «Ich hätte auch gerne eine Dusche, aber ich liebe dieses Leben.» Die 14-jährige Anna ist uneingeschränkt zufrieden: «Ich möchte kein anderes Leben.»

Und die Mutter? «Manchmal hätte ich schon gerne ein grösseres Haus mit fliessendem Wasser. Aber ich liebe das einfache Leben.»

Marianne Stamm