Gerade habe ich einen Satz gelesen, der mir ein «ach wie wahr» entlockt. Anstatt den unmittelbaren Moment zu leben, finden sich die meisten von uns mit den Gedanken immer an einem anderen Ort. Das heisst nichts anderes, als dass wir entweder im Geist der Vergangenheit nachhängen, oder gedanklich in der Zukunft flanieren. Der Moment geht dabei verloren, nicht selten, weil wir uns einer Routinearbeit widmen sollten; und das erfordert Disziplin. Was für ein altmodischer Begriff! Dabei werden wir auch noch von allen Seiten in diesem Denkmodell unterstützt und gepusht.


Was haben wir doch gejammert! Ohne Vorweihnachtsschnee sind die Aussichten für das gesamte Wintergeschäft schlecht, grottenschlecht sogar. Skis, Winterkleider usw. wurden schon vor Weihnachten zu Billigstpreisen verschleudert. Sowieso musste jetzt das Schneewittchenkostüm an den Bügel, und Berliner ins Gestell, um Fastnacht nicht zu verpassen.

Und dann – noch im Januar – kommt der Winter trotzdem. Gerade rechtzeitig für die Sportferien. Nur leider führen alle Läden jetzt bereits Osterhasen im Sortiment, die Bank verteilt Primeln zu Valentinstag – die in den geheizten Räumen elendiglich eingehen und draussen erfrieren –, alle Medien werben mit Frühlingsputzmitteln, Detox-Kuren, Treibbeeten und Blumenkübeln. Amerika weckt sein Murmeltier, um das Winter­ende vorherzusagen. Spätestens als meine Chefin dann noch verkündet, sie rieche den Frühling förmlich, sträubten sich mir alle Haare.

Natürlich bin ich vor einer Woche auch vor meinem Kleiderschrank gestanden und habe mir für mein Training eine ¾-lange Hose und ein ärmelloses Top ausgelesen. Dabei kommt mir in den Sinn, dass meine Mutter, als ich Kind war, jeden Herbst die Sommerkleider wegpackte. Wir kamen gar nie auf den Gedanken, im Januar eine ärmellose Bluse als Garderobenbestandteil in Betracht zu ziehen. Die wärmende Sonne lässt mich die Fenster aufreissen und die Wärme wie Nektar aufsaugen. Die Bettwäsche, die am Stewi trocknet, riecht nach Sonne und Wind. Wider besseres Wissen fühlt es sich an wie die ersten Frühlingsboten.

Und doch, es kann nicht sein. Erfahrungsgemäss lehrt uns das eher raue Klima des Toggenburgs und die 1000 Meter über Meer: Es kann locker nochmals mehr als einen Meter Neuschnee im Wechsel mit Regen, Minustemperaturen und Stürmen geben. Zeit also, sich dem Flickkorb nochmals zuzuwenden, Büroarbeit zu erledigen, die Gartenhacke im Keller stehen zu lassen und die dreckigen Fenster, die wechselnd von Schneeflocken oder peitschendem Regen gerziert werden, getrost vom wärmenden Ofen her zu betrachten.

Fraglich ist nur, ob wir so viel Lust verspüren, diese Arbeiten anzupacken, die schliesslich nichts anderes als wiederkehrende Monotonie versprechen. Oder ob wir uns nur allzu gerne davon ablenken lassen.

Und wenn sich dann wirklich Ostern ankündigt, und auch ich befinde, es sei jetzt Zeit, noch den einen oder anderen Schoggihasen zu erstehen, stosse ich statt dessen auf Flossen, Tauchbrille und Badehose. Die Zeitschriften widmen sich bereits übergangslos den neusten Diäten – da bleibt mir die Schoggi, wenn ich, ziemlich gestresst, noch welche ergattert habe, just im Hals stecken – und preisen die angesagtesten Ferienziele an.

Daniela Rutz