Seit Stunden sass er auf dem Dachbalken, und blickte hinunter auf die schlafenden Kühe. Ihr Atmen erfüllte den grossen, nur schwach beleuchteten Stall. Ab und zu stand eine auf, um am Fressgitter etwas Heu zu holen, oder sich die Füsse zu vertreten. Ruhe lag über den Tieren.


Paul war müde. Und er war traurig. Als die Dunkelheit hereinbrach, hatte er gewusst, dass es nun keinen Weg mehr für ihn gab, aus dem Stall herauszukommen. Zu gross war seine Angst gewesen. Er war noch jung und zu unerfahren, um dem lästigen, laut schimpfenden, immer schlecht gelaunten Rabenschwarm zu entkommen, der ihn jagte. Ihr gehässiges Gekrächze verfolgte ihn immer noch. Und an seinem Herzen nagte der Zweifel, ob er je der mutige und starke Mäusebussard werden konnte, der er eigentlich sein wollte. Er hatte sich in diesen Stall geflüchtet, aus dem er nun keinen Ausweg mehr fand!


Paul dachte daran, wie das Licht im Stall angezündet wurde, kaum dass es draussen dunkelte. Er drückte sich in eine Ecke, um nicht gesehen zu werden. Duftendes Heu raschelte, sein Magen knurrte!


Bewegung kam in die Kuhherde, und kurz darauf hörte er ein lautes, gleichmässig dröhnendes Geräusch. Der Bauer begann zu melken. Etwas später, Paul hatte sich vorgewagt, vernahm er laute Kinderstimmen. Schaufeln kratzten auf dem Boden, und Strohstaub lag in der Luft. Die Kinder redeten miteinander, während sie die Schlafplätze für die Kühe in Ordnung brachten und die Tränken reinigten.

Er bekam es wieder mit der Angst zu tun. Irgendwie musste er hier raus! Paul flog zwischen den Dachbalken hindurch in der Hoffnung auf einen Ausweg. Der Junge blickte nach oben, als er den Flügelschlag hörte. «Schau», rief er seinem Bruder zu, «ein Mäusebussard!» Er rannte durch den Stall. «Wir müssen ihm helfen, dass er den Weg nach draussen findet», meinte der andere Junge aufgeregt.


Tore und Türen öffneten sie. Sie riefen nach ihm, versuchten ihm den Weg zu zeigen    Aber Paul hatte zu viel Angst. Es war stockdunkel und er konnte sich nicht orientieren. Er hockte sich auf einen Dachbalken, und dort blieb er. Erst am nächsten Tag, als es hell geworden war, und der Bauer die Tore wieder öffnete, flog er hinaus in die Freiheit, dem Wald zu, wo er zu Hause war. Der Wind trug sein lautes befreites «Bijüü» zum Kuhstall. Die Bäuerin hörte es, und lächelte vor sich hin.


Und weil sie ein Schreiberling ist, beschloss sie, die Geschichte von Paul aufzuschreiben. Eine klitzekleine, schöne Geschichte mit einem Happy End.

Sie ist nicht weltbewegend, aber meine Welt hat sie bewegt, weil Paul für mich etwas Besonderes war! Eine Perle im Alltag, die ich sorgsam in meinem Schatzkästchen aufbewahre    Und heute habe ich es geöffnet, weil es schön ist, seine Schätze mit andern zu teilen.

Therese Looser