Annemarie Will aus Ursenbach BE erzählt:

Sie war 27-jährig, als 1971 das Frauenstimmrecht eingeführt wurde. Zwei Jahre zuvor hatte sie auf einen grossen Bauernhof geheiratet. Der Bruder ihrer Schwiegermutter war Bundesrat Rudolf Gnägi, der Schwiegervater im Berner Grossrat; beide in der Bauern-,  Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB), die Vorläuferin der SVP. 1971 gab die BGB nochmals, wie bereits 1959, die Nein-Parole zum Frauenstimmrecht heraus. 

Linke waren dafür, Bürgerliche dagegen

Am meisten erstaunte Annemarie Will, dass ihre starke Schwiegermutter im Nein-Komitee war. Die Schwiegermutter nahm regen Anteil an den politischen Diskussionen am Mittagstisch, an dem auch die Grosseltern sassen. Sie hatte eine klare Meinung zu den verschiedenen Abstimmungen. Warum sie den Frauen das politische Sagen verwehren wollte? «Sie war sicher von ihren Männern beeinflusst und von der Partei», meint Annemarie Will. «Die Abstimmung war parteipolitisch bedingt. Die Bürgerlichen waren dagegen, die Linken dafür.» 

«Hauptargument war, dass es die Frauen zeitlich gar nicht machen können.»

Annemarie Will, Bäuerin aus Ursenbach BE. Ihre Schwiegermutter war aus parteipolitischen Gründen gegen das Frauenstimmrecht.[IMG 2]

Bild Annemarie Will

Annemarie Wills Schwiegermutter, wie so viele Bäuerinnen dazumal, fühlte sich gleichberechtigt. Zu Hause und auf dem Betrieb hatte sie meist das Sagen, da ihr Mann viel für die Politik unterwegs war. «Ihr Spruch war: ‹Die Frau ist der Hals, der Mann der Kopf. Der Hals dreht den Kopf›», sagt Annemarie Will. «Die Bäuerinnen waren der Auffassung: ‹Was mein ist, ist auch dein.› Sie hatten vielfach gar keinen Bedarf für das Stimmrecht.» 

Die Frau füge sich dem Mann

Zu jener Zeit bestätigten die Frauen mit ihrer Unterschrift bei der Heirat, dass der Mann zuständig ist für das Einkommen der Familie und die Frau für den Haushalt und die Kinder. Ebenfalls bestätigten sie damit, dass die Frau sich dem Mann fügen werde. Besonders im bäuerlichen Umfeld war diese Lebensweise stark verankert. Kaum eine Bäuerin ging einer auswärtigen Arbeit nach. Feld, Stall und Haus verlangten viel an Handarbeit, grössere Familien waren die Norm. «1971 war das Hauptargument gegen das Stimmrecht, dass die Frauen es zeitlich gar nicht machen können», erklärt Annemarie Will. «Für die Frauen herrschte die KKK-Kultur: Kinder, Küche, Kirche. Für alles andere schaute der Mann, er war in den Kommissionen im Dorf. Die Frauen konnten nirgends mitreden.» 

Annemarie Wills Mann war sehr für das Frauenstimmrecht. Als es dann eingeführt wurde, war ihre Schwiegermutter auch nicht böse, sondern nutzte es von Anfang an und bis ins hohe Alter. «‹So lange ich Steuern zahle, will ich auch mitreden, was damit gemacht wird›, war ihr Argument», erinnert sich Annemarie Will. 

 

Zwei Gründe zum Feiern

Der Schweizerische Bäuerinnen- und Landfrauen Verband (SBLV) feiert 2021 sein 90-jähriges Bestehen und  50 Jahre Frauenstimmrecht. Testimonials, kurze Porträts von Pionierinnen und eine Frauenpower-Challenge sind auf der Website des Verbands aufgeschaltet. 

Mehr Infos unter: www.landfrauen.ch

Hildegard Bürgi aus Schindellegi SZ erzählt:

war 20-jährig und in ihrer ersten Stelle als Drogistin tätig, als 1959 das Frauenstimmrecht abgelehnt wurde. «Damals war ich sehr enttäuscht über dieses Resultat», sagt sie. «Meine Mutter hätte gern das Stimmrecht gehabt, Grossmutter sowieso. Diese verlor ihren Mann in jungen Jahren. Danach war sie alleine zuständig für eine grosse Familie.» Die Familie betrieb das Elektrizitätswerk von Schindellegi. »Mein Vater war von Anfang an für das Frauenstimmrecht. Für mich war das also normal.» Arbeiterfamilien waren schon immer offener für das Frauenstimmrecht. Sie trugen 1971 wesentlich dazu bei, dass es angenommen wurde.

«Meine Mutter hätte gerne das Stimmrecht gehabt, Grossmutter sowieso.»

Hildegard Brügi, Bäuerin aus Schindelegi SZ. Ihre Familie war für das Frauenstimmrecht 1971.[IMG 3]

Bild Hildegard Bürgi

Hildegard Bürgis Mann war Bauer und im Gemeinderat, der Schwiegervater war in der Politik engagiert. Die Familie ihres Mannes befürwortete das Frauenstimmrecht. «Meine Schwiegermutter war Hoferbin. Sie wusste sehr genau, wen man wählen sollte und wen nicht.» Dass die eigene Familie und jetzt die bäuerliche Familie zu dieser Zeit für das Stimmrecht waren, erklärt Hildegard Bürgi mit der Offenheit des Dorfes. Gerade war die Textil-Fabrik, als grösster Arbeitgeber, in den Konkurs gelaufen. Die Einwohner pendelten nun mit dem Zug zur Arbeit nach Zürich. 

«Politik ist ein Deckgeschäft»

«Unser Dorf war wohl weltoffener als Gemeinden des inneren Kantonsteils», meint Hildegard Bürgi. Auf wirklichen Widerstand stiess sie an der Bäuerinnenschule. «Ihr braucht da nicht mitzureden, die Politik ist ein Dreckgeschäft; ihr jungen Frauen seid mir zu schade dafür», war die Behauptung des Direktors. Immerhin gab es Diskussionsstoff unter den Schülerinnen. Die Nein-Seite argumentierte häufig: «Dann müsst ihr auch Verantwortung übernehmen und ins Militär.» Hildegard Bürgi lacht, sie wäre gerne ins Militär gegangen. 

Grosse Feier erst im Wahlherbst

Gefeiert wurde das eidgenössische Frauenstimmrecht 1971 kaum. Gross gefestet wurde im Wahlherbst 1971. «Da wählten unsere Schwyzer Mannen tatsächlich Frau Dr. Elisabeth Blunschy in den Nationalrat», freut sich Hildegard Bürgi. Im Jahr darauf wurde den Schwyzerinnen auch in Kanton und Gemeinde das Stimmrecht zugestanden. «Die politischen Themen faszinieren mich bis heute, und ich nehme praktisch an jedem Urnengang teil», resümiert die rüstige Bäuerin zum Schluss.