Seit August weilt Linus Schneider bei Andrea und Hanspeter Roth auf der Chällerweid in Ohmstal. Bereits seine älteren Schwestern schlossen das Agriprakti erfolgreich ab, jedoch auf anderen Betrieben. Obwohl Linus im thurgauischen Wallenwil ebenfalls auf einem Bauernhof aufwächst, findet er es schön, mal etwas anderes zu sehen.

Neue Perspektiven

Bis zur Zeit vor Corona dachte Linus nicht daran, jemals Landwirt zu lernen. Doch während der Pandemie, als er viel Zeit zu Hause verbrachte, mithalf und auch die Traktorenprüfung bestand, packte es ihn dann doch. Sein Ziel ist es, nach dem Zwischenjahr und einem erfolgreichen Maurerabschluss, die Ausbildung zum Landwirt anzuhängen.

Er hat sich für das Agriprakti entschieden, weil er seine Lehrstelle zum Maurer EFZ erst im Sommer 2022 antreten kann. «Ich habe mich gleichzeitig mit einem guten Kollegen beworben, aber der Chef wollte nicht zwei Lernende im gleichen Jahrgang anstellen. Da war für mich schnell klar, dass ich ein Zwischenjahr mache. Mein Kollege hat bereits diesen Sommer die Lehre angefangen und wird nächstes Jahr dann mein Oberstift sein», erklärt Linus.

Kurz darauf bewarb sich Linus bei Familie Roth für das Agriprakti. Als Junge ist er dort immer noch ein Exot: Nur gerade zwei junge Männer kommen im Schuljahr 2021/ 22 auf 25 junge Frauen. Aber auch für die männlichen Teilnehmer bietet das Hauswirtschaftsjahr ein schönes Rundumpaket fürs Leben: Von Gartenbau über textiles Gestalten bis hin zu Ernährung und Verpflegung eignet man sich in diesem Jahr viel brauchbares Rüstzeug für die Zukunft an.

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Ausbildnerin werden

Andrea Roth wusste schon lange, dass sie gerne Jugendliche ausbilden möchte. Allerdings hatte sie früher zu viel auswärts gearbeitet, denn an mindestens drei der vier Tage pro Woche, an denen die Lernenden auf den Bauernbetrieben mithelfen, muss auch die Ausbildnerin daheim sein, um eine gute Einführung und Begleitung der Arbeiten gewährleisten zu können.

Das Bildungsjahr Agriprakti darf anbieten, wer über den Abschluss Bäuerin FA oder HFP verfügt oder den Abschluss einer gleichwertigen Ausbildung vorweisen kann. Zudem darf nur in Haushalten ausgebildet werden, die garantieren, dass das vollständige Ausbildungsprogramm vermittelt werden kann. Oft werden Agripraktikant(innen) auf Betrieben mit grossen Familien auch zur Kinderbetreuung eingesetzt, Kinder sind jedoch keine Bedingung, um als Ausbildner(in) tätig zu sein.

Die ausgebildete Fachlehrerin für textiles und nichttextiles Werken, Andrea Roth, schmunzelt und meint: «Im Moment ist draussen viel los. Aber wenn es im Winter im Garten ruhiger wird, kommt Linus wohl auch in den Genuss des Nähens und Strickens.»

Verschiedene Angebote

Spannend ist die Vielfalt der Betriebe, die Ausbildungsplätze anbieten – so findet jede und jeder interessierte Jugendliche sicher einen Ort, der zu ihm oder ihr passt.

Laut Andrea Roth ist die Hauptvoraussetzung für Ausbildnerinnen ein Interesse an Jugendlichen und die Bereitschaft, sich menschlich auf einen Teenager einzulassen und ihn ein Jahr lang eng zu begleiten. «Die Entwicklung, die bei den Kids in diesem einen Jahr zwischen Schule und Lehre geschieht, ist eindrücklich. Unsere Praktikant(innen) starten nachher in handwerkliche Berufe und werden im Agriprakti nicht nur ein Jahr älter, sondern auch ‹ein Jahr kräftiger›. Die Umstellung von der Schule auf eine körperliche Arbeit sollte nicht unterschätzt werden», meint sie.

Linus hat bei der Auswahl seiner Ausbildungsstätte darauf geachtet, dass auch die Mitarbeit im Stall erwünscht ist. So ist er auf seiner Suche auf Andrea und Hanspeter Roth gestossen. Dem Betriebsleiterpaar ist es wichtig, dass die Praktikant(innen) auf dem Betrieb mithelfen und das bäuerliche Jahr mit allen saisonalen Arbeiten hautnah erleben. Die Ausbildnerin ist aber dafür verantwortlich, dass die hauswirtschaftlichen Arbeiten nicht zu kurz kommen: Mindestens die Hälfte der Arbeitszeit verbringt Linus im Garten, in der Küche oder im Haushalt. Von Hemden bügeln, über Kuchenbacken bis zur richtigen Anwendung der Waschmaschine – Linus profitiert in allen Belangen von dem Aufenthalt, obwohl er nach eigenen Aussagen die Arbeiten draussen bevorzugt, besonders das Bobcat fahren und das Melken.

Einen Tipp für zukünftige Ausbildnerinnen hat Andrea Roth noch: «Von Anfang an mit den Jugendlichen, aber auch mit den Eltern offen und klar kommunizieren. Auch Unangenehmes soll angesprochen werden, denn nur so kommt man zu einer Lösung.» Beim mehrtägigen Schnuppern wird schnell klar, ob die Chemie stimmt, denn für ein einjähriges Zusammenleben ist das eine wichtige Voraussetzung. «Wir haben einmal einer Schnupperpraktikantin abgesagt, weil es für uns einfach nicht gepasst hat, obwohl sie gern zu uns gekommen wäre. Aber es ist besser, gleich von Beginn an mitzuteilen, wenn es nicht funkt. Besonders schön ist es, wenn alle den gleichen Humor haben.»

Eigenverantwortung gefragt

Regeln gibt es im Hause Roth nur wenige. «Wir erwarten, dass die Jugendlichen ein gewisses Mass an Eigenverantwortung und einen Grundanstand mitbringen. Linus hat bereits einmal verschlafen. Da mache ich keinen Aufstand, solange es nicht regelmässig passiert.»

Mit Linus hat Andrea und Hanspeter Roth einen zuverlässigen, interessierten und anpackenden Praktikanten gefunden. Auf die Frage, was sie bereits Amüsantes zusammen erlebt haben, erzählt Linus von einer seiner ersten Reisen nach Ohmstal. «Eigentlich sollte ich jeweils am Sonntagabend um 22 Uhr hier sein. Ich bin mit dem Bus, der Bahn und dem Töffli unterwegs und muss drei- oder viermal umsteigen. Irgendwie habe ich in Olten den Schnellzug nach Bern erwischt anstatt die S-Bahn nach Luzern. So war ich um 22 Uhr nicht in Nebikon, sondern in Bern, wo ich dann prompt noch den Zug zurück verpasst habe. Schlussendlich bin ich dann erst kurz vor Mitternacht in der Chällerweid angekommen.»

Die beiden lachen, als Linus die Geschichte erzählt. Heimweh kennt Linus nicht. Er fühlt sich sehr wohl in seinem vorübergehenden Zuhause. «Und ich weiss ja, dass ich jedes Wochenende nach Hause kann. Zudem arbeite ich den ganzen Tag und erlebe viel. Da bleibt keine Zeit für Heimweh.»

Wer Interesse daran hat, junge Menschen ein Jahr im bäuerlichen Haushalt anzuleiten, kann sich unter folgender Adresse anmelden und Agriprakti-Ausbildnerin werden: www.agriprakti.ch