Bäuerinnen sind in ihrem Alltag stark gefordert. Denn zu Themen wie Zusammenleben und –arbeiten, Mitarbeiterführung, mehrere Generationen auf einem Hof, Partnerschaft oder Freizeit gehören auch belastende Situationen. Das kollegiale Coaching bietet die Möglichkeit, sich mit anderen Frauen auszutauschen.

Andere Sichtweisen

Als der Verband Thurgauer Landwirtschaft (VTL) im Frühjahr 2020 ein Angebot für ein kolle-giales Coaching von Bäuerinnen für Bäuerinnen ausschrieb, meldeten sich acht Frauen. «Eingeniales Angebot», sagt Jungbäuerin Rahel Osterwalder, Präsidentin der VTL-Kommission Frauen in der Landwirtschaft. Sie engagiert sich auf verschiedenen Ebenen für die Bäuerinnen der Region.

Esther Stricker, Bäuerin und Begleiterin für Persönlichkeitsentwicklung und Sozialkompetenz, leitete eine der Gruppen für das kollegiale Coaching. Auch Coach und Bäuerin Christina Kreis aus Engelswilen TG hat erst kürzlich als Leiterin eine Gesprächsrunde abgeschlossen.

Ein ähnlicher Hintergrund hilft

Aus den Rückmeldungen der Teilnehmerinnen weiss sie, dass diese den Gesprächsaustausch unter den Berufskolleginnen sehr geschätzt haben. Es sei von Vorteil gewesen, dass alle Frauen im Kurs einen bäuerlichen Hintergrund hatten, sagt sie.

Im Coaching richtet sich Christina Kreis nach den Zielen, Ressourcen und Bedürfnissen der Teilnehmerinnen aus. Nach Kurs­ende fühlen sich diese bestärkt, an ihren individuellen Entwicklungs- und Veränderungsprozessen anzuknüpfen.

Schwerpunkte setzen

Käthi Vetterli, Bäuerin aus Rheinklingen TG, war eine der Teilnehmerinnen im Kurs von Esther Stricker. Sie beschreibt das Coaching als wertvolle Erfahrung. Nach einem Input durch die Leiterin einigten sich die Teilnehmerinnen auf einige Themen, das Gewichtigere wurde zuerst behandelt. Diskretion und Schweigepflicht in der Runde förderten eine offene Gesprächskultur.

Nach dem gegenseitigen Austausch von Meinungen und Erfahrungen ging es in einem nächsten Schritt darum, eine Lösungsphase zu erreichen. Dabei wirkte es oft als Schlüsselerlebnis, wenn es gelang, mit einer anderen Sichtweise auf die Lage einen Konflikt oder ein Problem gar nicht mehr als so unüberwindbar zu empfinden. Käthi Vetterli sagt, dass sich die Bäuerinnen aus ihrer Coaching-Runde zwischenzeitlich zu sechs Sitzungen getroffen haben.

Kommunikation stärken

Aufgrund der Pandemie fanden die Sitzungen in einem teils gros­sen zeitlichen Abstand statt. «Wir stehen, auch nach dem Besuch der Kursabende, weiterhin in losem Kontakt miteinander. Wir haben zum Beispiel ein Nachfolgetreffen im Spätherbst vereinbart», so Käthi Vetterli.

Bei den Themen, welche die Bäuerinnen besonders bewegten, stand in ihrer Gruppe das Miteinander der Generationen auf einem Hof im Fokus: Die Gruppe stellte fest, dass es durch fehlende Kommunikation zu Kränkungen und Missstimmungen kommen kann. «Dabei wäre es so wertvoll, wenn sich die Generationen verständigen und in ihren Erfahrungen ergänzen könnten.»

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Beim Generationen-Thema schilderten die teilnehmenden Frauen immer wieder Situationen, bei denen es um Fragen der persönlichen und räumlichen Abgrenzung ging, zum Beispiel von Schwiegermutter und junger Bäuerin.

Die Basis für einen konfliktärmeren Umgang miteinander liege meist in der eigenen Person. «Ich kann mein Gegenüber und die Rahmenbedingungen meistens nicht ändern. Aber es lohnt, sich mit der Frage auseinanderzusetzen: Wo könnte ich einen anderen Verhaltensmechanismus lernen?», meint Käthi Vetterli nach der Kurs-Erfahrung.

Akzeptanz fördern

Gelegentlich gab es in ihrer Runde  auch «schwere» Themen,  etwa Gespräche über den Umgang mit Tod oder unheilbarer Krankheit innerhalb eines Familienverbundes. Manchmal flossen bei den Schilderungen auch Tränen und es galt, in der Gesprächsgruppe belastende Situationen miteinander zu tragen.

Aber auch die Arbeitsbelastung und das Zeitmanagement von Bäuerin und Bauer waren häufig wiederkehrende Themen. Die Tatsache, dass auf manchen Betrieben auch die Bäuerin einer (teilweisen) Nebenerwerbstätigkeit nachgeht, erfordere gegenseitige Akzeptanz.

Einen Platz im System

Früher waren die Rollen klar verteilt. Heute sind viele Bäuerinnen ausser Haus erwerbstätig oder haben einen eigenen Betriebszweig.  «Dies wirft neue Fragestellungen auf, unter anderem wie die Bäuerin im ganzen System eines Hofs ihren Platz findet«, so Käthi Vetterli.

Sie selbst arbeitet in einem kleinen Pensum auf ihrem erlernten Lehrberuf an einer Primarschule in der Region. Auf dem Hof übernimmt sie, nebst Haushalt und Garten, diverse Arbeiten im Büro und hilft bei Erntearbeiten auf dem Hof mit.

Sie schätzt am kollegialen Coaching, dass dabei ein offener Austausch auf Augenhöhe stattfindet. Darüber hinaus sei es ein präventives Angebot und eine wertvolle Ergänzung zu den «klassischen» Beratungsstellen.