Seit Generationen arbeiten die Rindviehrassen daran, die Zwischenkalbezeiten der Kühe zu verkürzen. Denn je schneller die Kuh wieder tragend wird, umso wirtschaftlicher sei sie. Jedes Jahr pro Kuh ein Kalb, tönt es aus der Praxis. Ist diese These aber überhaupt noch zeitgemäss bei den immer höheren Milchleistungen? Vor allem in Deutschland findet nun ein Umdenken statt. Immer mehr Milchbauern verlängern dort die Zwischenkalbezeit ihrer Kühe.

Vor 30 Jahren noch anders

Die BauernZeitung hat mit Gerd Karch, Züchter und Milchviehhalter aus dem süddeutschen Bundesland Rheinland-Pfalz, gesprochen. Er definiert das Zuchtziel Zwischenkalbezeit ganz anders. Schon seit 30 Jahren gönnt er seinen Kühen mehr Zeit von der Abkalbung bis zur ersten Besamung. Zusammen mit seinem Sohn Luca bewirtschaftet er einen Betrieb mit 170 Holsteinkühen. Im Laufe der Jahre steigerten sie die Leistung der Herde auf über 11 500 kg Milch bei 4 % Fett und 3,6 % Eiweiss.

«Seit 30 Jahren züchten wir nicht nur auf die Milchleistung, sondern auch auf die Persistenz und auf die Nutzungsdauer»

Gerd Karch, Rheinland-Pfalz

 

1982 hatten Karchs bei ihrer Herde noch eine Zwischenkalbezeit von 352 Tagen. Heute beträgt sie fast 500 Tage. Das sind sage und schreibe 120 Tage mehr als in einem durchschnittlichen Milchviehbetrieb. «Als ich in den 90er-Jahren merkte, dass unsere Kühe immer mehr Milch geben wollten, dachte ich, es wäre gesünder, sie erst später nach dem Abkalben wieder zu besamen.» Denn Karch fiel bei seinen leistungsstärksten Kühen auf, dass diese, wenn er sie zu früh besamte, häufiger Aborte machten. Frisch gekalbt, viel Milch und nach 60 Tagen wieder tragend, das sei für einige Kühe einfach zu viel. «Da merkte ich, dass ich ihnen mehr Zeit geben musste, auch wenn das Zuchtziel genau das Gegenteil anstrebt», sagt der Landwirt, der auch den Doktortitel in Agrarwissenschaften hat. «Eine Kuh, die in der Startphase 50 kg Milch gibt, muss nach drei Monaten doch nicht schon wieder trächtig sein, hält der Milchviehhalter fest.

Höhere Nutzungsdauer und bessere Gesundheit

«Mich stört es überhaupt nicht, wenn solche Kühe auch nach drei Monaten nach dem Abkalben noch nicht brünstig werden», sagt Gerd Karch. Denn wegen der hohen Leistungsbereitschaft komme oft der Brunstzyklus durcheinander. Solche Kühe werden einfach später brünstig, ohne dass man sie durch den Tierarzt behandeln müsse. «Lässt man den Kühen mehr Zeit, ist auch die Trächtigkeitsrate deutlich besser als wenn man die Kühe nach 60 Tagen nach dem Abkalben schon wieder besamt», ist der Landwirt überzeugt. Vor allem den Erstlingskühen gönnt Karch mehr Zeit als gewöhnlich. «Wir haben nicht selten Rinder, die ihre erste Laktation mit 20 000 kg Milch abschliessen, bevor sie in die zweite Laktation starten», sagt er. Diese Leistung haben sie dann nicht in 305 Tagen, sondern in 450 Tagen erreicht. Da Karchs ihre Rinder schon mit 22 bis 24 Monaten abkalben lassen, seien diese noch stark in der Entwicklung und geben dabei über 30 kg Tagesmilch. «Ich habe die Erfahrung gemacht, dass, wenn man den Tieren nach dem Abkalben mehr Zeit für die erste Besamung gibt, sie eine höhere Nutzungsdauer, eine bessere Gesundheit und auch eine bessere Fruchtbarkeit haben», sagt der Milchviehhalter.

 

Das sagt die Tierärztin dazu

Eveline Studer ist Fachtierärztin für Wiederkäuer und Herdenmedizin in der Wiederkäuerklinik und gibt Auskunft über die Vor- und Nachteile der Zwischenkalbezeit und wie lange diese sein sollte.
Das Interview: «Die ideale Zwischenkalbezeit, ausgedrückt durch eine Zahl, gibt es nicht»

Zucht muss darauf reagieren

Im Falle, dass sich der Trend in Richtung verlängerte Zwischenkalbezeit bewegen sollte, müsste auch die Zucht darauf reagieren. Denn neben einer hohen Leistungsbereitschaft sei vor allem die Persistenz die Grundvoraussetzung dafür. «Ein Zuchtwert für die Persistenz bei den Stieren ist wichtiger denn je», hält Gerd Karch fest. Hier spiele die USA schon lange eine Vorreiterrolle. «Ich setzte deswegen früher nur Genetik aus Amerika ein», sagt er. Rora Elevation und sein Sohn Very haben diesbezüglich sehr gute Arbeit geleistet. Aber auch Blackstar oder Telstar haben auf seinem Betrieb für langlebige Kühe gesorgt. Aber ein Stier bleibt für Karch bis heute unerreichbar: Der Brite Picston Shottle. «Wir hatten sicher 60 Shottle-Kühe im Stall», sagt er. Neben einer guten Persistenz seien die Shottle-Töchter auch sehr ruhige Kühe gewesen, welche selten krank waren und im Stall einfach nicht auffielen. «Ich teile die Meinung überhaupt nicht, dass eine Kuh «aggressiv» sein muss, um sich im Laufstall behaupten zu können», sagt der Agrarwissenschaftler. Deswegen konnte Karch auch nicht viel mit Goldwyn oder seinen Söhnen anfangen. «Heute setze ich vor allem Stiere ein, die einen hohen deutschen Gesamtzuchtwert (gRZG) haben», sagt der Landwirt.

Eine Kuh mit guter Persistenz sei nicht nur fütterungsmässig leichter zu managen, sondern sie sei auch weniger krankheitsanfällig.

«Was bringt es mir, eine Kuh zu züchten, die nach dem Kalben 60 kg Milch gibt und nach vier Monaten nur noch 20»

Gerd Karch

 

Technisch sollte die Zucht auf Persistenz denn auch nicht so schwierig sein. Die hohe Erblichkeit von 0,25 sei leicht umzusetzen. Und die Persistenz korreliere mit der Milchleistung. Das heisst, steigt die Milchleistung, steigt auch die Persistenz. «Zwei Jahre dauert es, um hier einen Zuchtfortschritt erzielen zu können», hält er fest.

Auf dem Betrieb von Gerd Karch haben schon etliche Kühe die 100 000er-Milchmarke überschritten, einige knackten sogar die 160 000-kg-Grenze. «Weil bei uns die Kühe weniger oft Abkalben als auf anderen Betrieben, führt das zu weniger Stress und zu einem weniger hohen Alterungsprozess», ist der Landwirt überzeugt. «Unser Ziel wäre es, dass in Zukunft eine Kuh mit nur drei Abkalbungen eine Leistung von 80 000 kg Milch erzielen würde», sagt Karch. Das heisst, eine Laktationsdauer von 500 Tagen mit je einer Milchleistung von mindestens 25 000 kg.

 

«Die Zwischenkalbezeit hängt auch vom Betrieb ab»

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Martin Rust, Vizedirektor von Braunvieh Schweiz, erklärt, wie die Betriebsausrichtung die ideale Länge der Zwischenkalbezeit beeinflusst. Weiterlesen

Der Zeit voraus

Das Gerd Karch und sein Sohn Luca mit ihrer Strategie auf dem richtigen Weg sind, zeigt sich auch darin, dass sie durch die verlängerte Zwischenkalbezeit die Tierarztkosten senken konnten, weniger Kuhabgänge haben und ihren Deckungsbeitrag steigerten. Auch die Milchinhaltsstoffe wurden durch die verlängerte Zwischenkalbezeit erhöht. Seit 2012 lassen Karchs ihre weiblichen Kälber genomisch testen. «2012 waren wir bezüglich Langlebigkeit, Persistenz und Milchgehalt wahrscheinlich der Zeit voraus», stellt der Betriebsleiter fest. Denn als in dieser Zeit bei den Besamungsstationen ein Umdenken stattfand und die Fitnesswerte in den Vordergrund rückten, war Karch der Betrieb, der den KB-Stationen am meisten Stiere verkaufen konnte. «Heute ist das Niveau in unserer Herde für die Merkmale Leistung, Eutergesundheit und Nutzungsdauer deutlich höher als im deutschen Durchschnitt. Auch betreffend Exterieur hat der Züchter seine eigene Vorstellung: Viele Holsteinkühe seien heute zu gross, haben zu viel Flankentiefe und auch die Hinterbeine seien zu steil geworden. «Bei uns kommt im Laufstall eine mittelgrosse Kuh (145 bis155 cm) am besten zurecht», sagt er. Daher ist Karch auch der Überzeugung, dass sich das heutige Ideal einer Schaukuh nicht mehr mit einer unkomplizierten, wirtschaftlichen Produktions-Kuh vereinen lässt. «Was nützt mir eine 165 cm grosse Kuh mit enormer Flankentiefe, wenn ich dann vermehrt mit Labmagenverlagerungen und zu kleinen Liegeboxen zu kämpfen habe», hält er fest.

Verlängere man die Zwischenkalbezeit, gebe es sicher einige Punkte dabei zu beachten. «Wenn man die Kühe später besamt, werden sie auch häufiger brünstig und das gibt doch eine gewisse Unruhe im Stall», sagt Karch. Auch Dinge wie Körperkondition werden viel wichtiger, weil sich der richtige Besamungszeitpunkt nicht mehr am zeitlichen Abstand von der letzten Kalbung orientiert, sondern am Leistungsniveau und dem Konditionszustand des einzelnen Tieres. «Grundsätzlich macht die Verlängerung der Zwischenkalbezeit auf 450 bis 500 Tage nur Sinn, wenn das Leistungsniveau und die Persistenz der Herde hoch genug sind», ist der Milchviehhalter überzeugt. Die Zuchtphilosophie von Gerd und Luca Karch scheinen aber immer mehr Milchbauern zu überzeugen. Denn das Thema scheint auch die Wissenschaft zu beschäftigen. So ist der der Landwirt und Agrarwissenschaftler auch ein gern gesehener Redner auf Kongressen und Veranstaltungen, denn ihm glaube man doch eher als einem Wissenschaftler.

Auch in der Schweiz ein Thema

Auch in der Schweiz setzen immer mehr Milchviehhalter auf eine längere Zwischenkalbezeit. So auch Christian Jäggi, Züchter und Milchproduzent aus Biel-Benken BL. Ein Kalb pro Jahr: Diese These hat für Jäggi schon lange nicht mehr oberste Priorität.

«Auf unserem Betrieb besamen wir unsere Kühe nach dem Abkalben nicht stur nach 60 Tagen wieder»

Christian Jäggi, Biel-Benken

 

Für ihn spiele es absolut keine Rolle, wenn eine seiner Kühe eine Zwischenkalbezeit von über 400 Tagen aufweisen würde. «Mich stört es überhaupt nicht, wenn eine Kuh mit 50 kg Tagesmilch nach drei Monaten immer noch nicht brünstig wird», sagt der Landwirt. Viel Milch und eine zu frühe Besamung führe oft zu Stress. «Bei einer solchen Situation, wird die Kuh ganz sicher nicht trächtig», sagt Jäggi. «Auch die Rinder leisten heute oftmals 30 kg und mehr. Warum sollen diese nach einem Jahr schon wieder ­abkalben?», fragt er sich.

Auch für Swissherdbook, dem grössten Viehzuchtverband der Schweiz, sind die Zwischenkalbezeiten immer wieder ein Thema: «Je nach Betrieb sind die Voraussetzungen sehr unterschiedlich, bei hohen Leistungen kann es sinnvoll sein, etwas längere Zwischenkalbezeiten anzustreben; saisonale Systeme, insbesondere mit Alpung, sind aber auf ein Kalb pro Jahr angewiesen», hält der Swissherdbook-Direktor Matthias Schelling fest. Damit die Tiere zum richtigen Zeitpunkt ­kalben, streben vor allem Weidebetriebe und Betriebe mit Sömmerung nach wie vor eine kurze Rast- und Zwischenkalbezeit an, insbesondere bei Zweinutzungsrassen. «Für Betriebe mit Abkalbungen während dem ganzen Jahr, intensiver Fütterung und hohen Leistungen ist die Rastzeit dank den züchterischen Verbesserungen im Bereich Persistenz wirtschaftlich weniger bedeutend», ist Schelling überzeugt.

Die Kühe seien heute in der Lage, über eine längere Zeit viel zu leisten, so dass die Betriebe bei einer Verlängerung der Rastzeit die starken Persistenzen nutzen könnten. Für die züchterische Arbeit insgesamt sei es wichtig, dass die Kuh wieder erfolgreich trächtig werde. Deshalb fliessen neben der Rastzeit (Gewichtung 33 %) die Verzögerungszeit (Kühe und Rinder, Gewichtung 33 %) und die Non-Return-Rate (Kühe und Rinder, ebenfalls mit einer Gewichtung von 33 %) in die Fruchtbarkeitsindices der Zuchtverbände ein. «Bei der Zwischenkalbezeit macht es eher Sinn, die Leistung der Betriebe zu berücksichtigen als die Rasse», sagt Matthias Schelling. So habe sich die Zwischenkalbezeit in den letzten Jahren sicher etwas verlängert, vor allem dadurch, dass auf Betrieben mit hohen Leistungen die Kühe nach dem Abkalben eher einige Tage später besamt werden würden.

Haben Sie schon Erfahrungen mit verlängerter Zwischenkalbezeit gesammelt? Berichten Sie uns darüber in der Kommentarspalte unten! 

 

«Immer bedarfsgerecht füttern»

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Mathias Meier, Verkaufsleiter Ostschweiz bei der Meliofeed AG, gibt Auskunft über die richtige Fütterung in der Zwischenkalbezeit. (Bild Melior)

Welche Kühe eignen sich, um die Zwischenkalbezeit verlängern zu können, und welche nicht?

Mathias Meier: Hochleis­tungskühe mit Leistungen über 10 000 kg Milch, mit einer guten Persistenz eignen sich sicher gut. Bei Kühen mit einer 305-Tage-Leistung unter 9000 kg sollte sicher jedes Jahr ein Kalb angestrebt werden. Kühe im Berggebiet, die saisonal abkalben, eignen sich wegen der Alpung auch nicht für eine verlängerte Zwischenkalbezeit.

Was muss bei einer verlängerten Zwischenkalbezeit fütterungsmässig berücksichtigt werden?

Die Kühe müssen über die ganze Laktation bedarfsgerecht gefüttert werden. Das heisst, in der Startphase muss das Energiemanko ausgeglichen und Ende Laktation die Verfettung vermieden werden.

Muss eine Kuh mit einer Zwischenkalbezeit von 365 Tagen anders gefüttert werden als eine Kuh mit einer Zwischenkalbezeit von 480 Tagen?

Ja, immer bedarfsgerecht in Abhängigkeit von der Milch­leistung.

Macht es Sinn, die Zwischenkalbezeit bei einer Kuh zu verlängern, wenn sie Ende Laktation im Normalfall noch 20 kg Milch gibt?

Dies ist stark von den Fütterungskosten abhängig. Mit 20 kg Milch macht es für mich sicher keinen Sinn.

Welche Tendenz beobachten Sie auf den Milchviehbetrieben, wird eine längere oder kürzere Zwischenkalbezeit angestrebt?

Bei Betrieben mit hohen ­Milchleistungen stellen wir fest, dass sich die Zwischenkalbezeit verlängert. Dadurch können auch die Risiken rund um die Geburt minimiert ­werden und das genetische Milchproduktionspotenzial der ­Milchkühe kann voll ausgeschöpft werden.

Weniger ausgeprägt

«Der Trend zu einer späteren Besamung ist in der Schweiz weniger ausgeprägt als in ausländischen Betrieben», stellt Matthias Schelling fest. Betreffend der Zuchtziele würden die Rassen Simmental und Swiss Fleckvieh am Ziel «ein Kalb pro Jahr» festhalten, auch weil die Tiere dieser Rassen mehrheitlich gealpt würden (bei Simmental ~60 % der Kühe!). Eine ungünstige Kalbezeit für Alpkühe könne zu starken Leistungseinbussen führen. Aber: «Neben der Nutzung der immer besseren Persistenz fallen bei einer etwas längeren Rastzeit sicher auch die ­etwas weniger metabolischen Probleme (typisch der Startphase) und die anteilsmässig kürzeren Trockenzeiten ins Gewicht», so Schelling.