Für die Schweizer Landwirtschaft wird das Jahr 2020 ungemütlich. Und für einmal sind daran nicht die tiefen Milchpreise schuld, und auch nicht die Klimaveränderung. Grund dafür sind zwei Volksinitiativen, die am 13. Juni 2021 zur Abstimmung kommen:

  • «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide»
  • «Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung» («Trinkwasser-Initiative» oder TWI)

Diese beiden Agrar-Initiativen sind radikal. Bei einer Annahme hätten sie weitreichende, schädliche Folgen für die Schweizer Landwirtschaft, die Umwelt und die Ernährungssicherheit. Studien von Agroscope und der HAFL gehen von folgenden Annahmen aus:

 

  • Die Produktion würde durch den Verzicht auf Pestizide und zugekauftes Futter auf vielen direktzahlungsberechtigten Betrieben abnehmen.
  • Als Konsequenz würden diese Betriebe aus dem Direktzahlungssystem aussteigen und müssten die Anforderungen des ökologischen Leistungsnachweises (ÖLN) nicht mehr erfüllen.
  • Damit würde die Umweltbelastung nicht zurückgehen, sondern absurderweise sogar noch zunehmen.

 

Die grundsätzlichen Anliegen der Initiativen sind legitim, aber…

Die Forderungen dieser beiden Agrar-Initiativen sind so radikal, dass teilweise sogar die Initianten «zurückrudern» und einzelne Forderungen relativieren müssen.

So wollen die Initianten der Initiative «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» im Nachhinein im Bio-Landbau zugelassene Mittel aus der Definition «synthetische Pestizide» herausnehmen. Denn ohne diese würden auch im Bio-Landbau die Erträge sinken. Eine nachträgliche Änderung ist juristisch aber undenkbar.

Trotzdem ist alles andere als sicher, dass die beiden Volksinitiativen von den Stimmbürgern abgelehnt werden. Denn die grundsätzlichen Anliegen der Initiativen – gesundes Essen und rückstandsfreies Trinkwasser – sind in der Bevölkerung ebenso wie in der Landwirtschaft breit abgestützt.

Dummerweise gibt es ein «aber», ein sehr grosses «aber»: Bei einer Annahme durch die Stimmbürger haben die beiden Volks­begehren das Potenzial, die Schweizer Landwirtschaft in ihren Grundfesten zu erschüttern.

Kommt aus dem Parlament ein indirekter Gegenvorschlag?

Das Parlament dürfte deshalb beide Initiativen ablehnen. Noch offen ist, ob es einen indirekten Gegenvorschlag ausarbeitet – anders, als es Bundesrat und Bauernverband vorschlagen.

Für einen Gegenvorschlag plädieren nicht nur links-grüne Kreise, sondern auch die IG Detailhandel (mit ­Migros, Coop, Manor und Denner) sowie der Trinkwasserverband SVGW, der die Qualität des Trinkwassers in der Schweiz überwacht. Ein Gegenvorschlag könnte fordern, dass Pflanzenschutzmittel verboten werden, die Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen wiederholt beeinträchtigen oder die in zu hohen Konzen­trationen gemessen werden. Davon wären mindestens 25 Prozent der Pflanzenschutzmittel betroffen.

Ergänzend dazu könnte der Gegenvorschlag einen gesetzlich verankerten Absenkpfad fordern – und Korrekturmassnahmen bei verfehlten Zielen für den Stickstoffverbrauch sowie den Einsatz synthetischer Pestizide.

 

 

Die umstrittenen Agrar-Initiativen

Die Initiative «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» und die «Trinkwasser-Initiative» (kurz TWI) werden die Schweizer Landwirtschaft im Jahr 2020 beschäftigen.

«die grüne» macht in diesem Heft eine erste Auslegeordnung und «sortiert» in den Monaten bis zur Abstimmung mit kompetenten Fachleuten alle Fakten rund um den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft.

Alle Beiträge zu den Agrar-Initiativen finden Sie gesammelt auf der Website: www.dgrn.ch/agrarinitiativen

 

 

 

Volksinitiative «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide»

Was will die Volksinitiative«Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide»?

Die Volksinitiative «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» verlangt:

  • ein Verbot von synthetischen Pestiziden in der landwirtschaftlichen Produktion
  • ein Verbot von synthetischen Pestiziden in der Verarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse
  • ein Verbot von synthetischen Pestiziden in der Boden- und Landschaftspflege und
  • ein Verbot von synthetischen Pestiziden in der Einfuhr oder Herstellung von Lebensmittel

Die Volksinitiative will dafür den Umweltschutzartikel 74 in der Bundesverfassung ändern. Die Umsetzungsfrist beträgt zehn Jahre.

Die Volksinitiative nimmt ein Anliegen auf, das in der Bevölkerung verbreitet ist. Der Bundesrat ist sich dessen bewusst und hat deshalb im September2017 den Aktionsplan Pflanzenschutzmittel verabschiedet. Mit diesem sollen die Anwendungen und die Risiken von Pflanzenschutzmitteln (PSM) reduziert werden.

Im Rahmen der Agrarpolitik AP22+ ist ein zusätzliches Paket als Alternative zur «Trinkwasserinitiative» (TWI) mit folgenden Massnahmen vorgesehen:

  • Direktzahlungen erhalten nur noch Landwirte, die auf Pflanzenschutzmittel mit erhöhtem Umweltrisiko verzichtet.
  • Dieser Verzicht soll Teil des ökologischen Leistungsnachweises (ÖLN) werden, einer Grundanforderung für den Erhalt von Direktzahlungen.
  • Zudem sollen Anbauverfahren mit weniger oder keinen Pflanzenschutzmitteln verstärkt mit Direktzahlungen gefördert werden.

Damit sollen die Kernanliegen der Volks-initiative «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» aufgenommen werden. Die jüngsten Entwicklungen der Pflanzenschutzmittel-Verkäufe zeigen, dass bereits mit der aktuellen Agrarpolitik ein Abwärtstrend eingesetzt hat.

In der konventionellen Landwirtschaft werden 27 Prozent weniger Pflanzenschutzmittel angewendet als vor zehn Jahren. Im Gegensatz dazu werden40 Prozent mehr PSM verkauft, die auch in der biologischen Landwirtschaft eingesetzt werden.

Welche Folgen hat die Volksinitiative «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» bei einer Annahme?

Bei einem vollständigen Verzicht auf synthetische Pflanzenschutzmittel würden die Erträge massiv zurückgehen, auch im Bio-Landbau. Denn viele im Bio-Landbau zugelassene PSM sind synthetisch: Kupfersalze, Schwefel, Kaliumbicarbonat, Kaliseife und Eisenphosphat usw.

Diese Pflanzenschutzmittel sind nicht grundsätzlich unbedenklicher als die PSM in der konventionellen Landwirtschaft. So wird ein Grossteil der Kupfer-Präparate zum Schutz von Obst, Wein und Kartoffeln als gesundheitsschädigend und umweltgefährdend eingestuft.

Dies ist – nach Einreichung der Initiative – auch den Initianten bewusst geworden, weshalb sie im Bio-Landbau zugelassene Mittel im Nachhinein aus der Definition «synthetische Pestizide» herausnehmen möchten.

In der konventionellen Landwirtschaft werden ohne PSM Ertragsverluste von 30 bis 50 Prozent erwartet. Bei Obst und Gemüse sogar bis 80 Prozent.

Der Bio-Landbau hat heute mit den oben erwähnten PSM schon 20 bis 30 Prozent weniger Ertrag als konventionelle Betriebe. Ohne die im Bio-Landbau zugelassenen Mittel würde der Ertrag auch im Bio-Landbau weiter sinken.

Infos

 

 

 

Volksinitiative «Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung» (TWI)

Was will die Volksinitiative «Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung» (TWI)?

Die Volksinitiative «Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung – Keine Subventionen für den Pestizid- und den prophylaktischen Antibiotika-Einsatz» («Trinkwasser-Initiative» oder TWI) fordert:

  • dass nur noch diejenigen Landwirtschaftsbetriebe mit Direktzahlungen oder Subventionen unterstützt werden, die keine Pestizide einsetzen,
  • dass nur noch diejenigen Landwirtschaftsbetriebe mit Direktzahlungen oder Subventionen unterstützt werden, die in ihrer Tierhaltung ohne prophylaktischen Antibiotika-Einsatz auskommen und
  • dass nur noch diejenigen Landwirtschaftsbetriebe mit Direktzahlungen oder Subventionen unterstützt werden, die nur so viele Tiere halten, wie sie ohne Futtermittel-Importe ernähren können.

Das Initiativkomitee argumentiert, dass dadurch Wasser und Nahrungsmittel «wieder zum Standard und für die ganze Bevölkerung erschwinglich würden», die frei von Arzneimitteln, antibiotikaresistenten Bakterien, Pestiziden, Nitrat und anderen Giftstoffen sind. 

Die Volksinitiative will dafür den Landwirtschaftsartikel 104 in der Bundesverfassung ändern. Die Umsetzungsfrist beträgt zehn Jahre.

Wie die Volksinitiative «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» nimmt auch die TWI berechtigte Anliegen der Bevölkerung auf. Diese werden jedoch bereits mit den heutigen agrarpolitischen Massnahmen angestrebt und sollen im Rahmen der Agrarpolitik AP22+ verstärkt und ergänzt werden. So schlägt der Bundesrat vor:

  • den maximalen Tierbesatz pro Fläche zu reduzieren
  • als Voraussetzung für Direktzahlungen nur noch PSM mit geringem Umweltrisiko zuzulassen und
  • den Verzicht auf Pflanzenschutz-mittel verstärkt mit Direktzahlungsprogrammen zu fördern

Wenn trotzdem regional zu hohe Nährstoff- oder Pestizideinträge in Gewässern festgestellt werden, sollen Bund und Kantone gezielt die Anforderungen regional verschärfen können.

Mit dem Massnahmenpaket im Rahmen der Agrarpolitik AP22+ kann die Belastung der Umwelt mit Nährstoffen und Pestiziden wirksam reduziert werden, ohne die Produktion übermässig einzuschränken.

Welche Folgen hat die Volksinitiative «Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung» (TWI) bei einer Annahme?

Eine Annahme der «Trinkwasser-Initiative» (TWI) hätte weitreichende, schädliche Folgen für die Schweizer Landwirtschaft und die Ernährungssicherheit.

Die Produktion würde durch denVerzicht auf Pestizide und zugekauftes Futter auf vielen direktzahlungsberechtigten Betrieben abnehmen.

Es bestünde auch das Risiko, dass Betriebe aus dem Direktzahlungssystem aussteigen und dadurch die Anforderungen des ökologischen Leistungsnachweises nicht mehr berücksichtigen müssen. Dies könnte zur Folge haben, dass die Umweltbelastung nicht zurückgeht, sondern sogar noch zunimmt.

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