LID: Wie gross ist das Problem in der Schweiz mit Grossraubtieren?

Baumann: "Im Vergleich zu anderen Ländern halten sich bei uns die Probleme im Rahmen. Es gibt aktuell in der Schweiz insgesamt etwa 250 Grossraubtiere und jedes dieser Grossraubtiere verursacht im Durchschnitt 1,1 Nutztierrisse, das heisst wir sprechen von rund 270 Nutztierrissen pro Jahr. Volkswirtschaftlich stellt dies kein eigentliches Problem dar und dennoch ist der Konflikt hoch emotional und wir haben deshalb tatsächlich ein gesellschaftliches Problem. Der Wolf trennt nämlich die Bevölkerung in Befürworter und Gegner, wobei die Befürworter vermehrt in den Städten und Agglomerationen, die Gegner dagegen mehr in den Landgebieten leben".

Aktuell ist eine Anpassung des Jagdgesetzes im Gange. Was soll sich künftig ändern?

"Allfällige Änderungen des eidgenössischen Jagdgesetzes werden durch das Parlament beschlossen und deshalb kann ich nur vom Änderungsvorschlag des Bundesrates sprechen: Die wichtigste vom Bundesrat vorgeschlagene Änderung stellt einen Strategiewechsel dar, wann diese Eingriffe bei Grossraubtieren möglich sein sollen. Bisher waren solche Eingriffe nur im Nachgang zu grossen Schäden möglich, neu sollen Eingriffe vorausblickend zur Verhütung grosser Schäden möglich werden. Mit anderen Worten: weg von einer reaktiven hin zu einer proaktiven Lösungsstrategie. Sobald ein Wolf also beispielsweise lernt, wie Herdenschutzmassnahmen umgangen werden können und in Ställe eindringt oder über Herdenschutzzäune springt, dann verlernt er dieses Verhalten nicht mehr. Deshalb soll eine solcher Wolf erlegt werden können, um weitere Schäden zu verhüten. Bedingung ist aber, dass die Herdenschutzmassnahmen auch umgesetzt sind. Wir brauchen keine Wölfe, die dauernd in Siedlungen kommen oder die den Herdenschutz umgehen können. Von der Landwirtschaft wird verlangt, dass sie ihre Nutztiere schützt. Das ist leider häufig noch nicht der Fall".

Wird künftig der Schutzstatus des Wolfes reduziert?

"Das eidgenössische Parlament hat bislang jeden Vorstoss abgelehnt, den Wolf in der Schweiz jagdbar zu machen. Somit ist für die Behörden von Bund und Kantonen klar, dass der Wolf vorderhand in der Schweiz ein geschütztes Wildtier bleibt. Bereits in der Bundesverfassung ist festgehalten, dass der Bund bedrohte Arten vor Ausrottung schützt. Trotzdem wird der Bundesrat bei der Berner Konvention einen Antrag stellen, damit der Wolf bald möglichst von einer streng geschützten zu einer geschützten Art heruntergestuft wird. Damit würde für die Vertragsstaaten der nötige Handlungsspielraum vergrössert, wie man bei künftig weiter zunehmenden Wolfsbeständen allfällige Konflikte lösen könnte. Aber auch in diesem Bereich wird das letzte Wort stets beim eidgenössischen Parlament liegen, das die Jagdgesetzgebung bestimmt".

Was sind die wichtigsten Punkte in Sachen Herdenschutz?

"Die wichtigsten Punkte im Herdenschutz sind Folgenden: 1. Der Landwirt ist durch den Kanton über das Grossraubtier-Risiko seines Betriebes informiert und er kann seinen Bedarf an Herdenschutz-Massnahmen eigenständig abschätzen. 2. Bei Unsicherheit weiss der Landwirt, dass er beim Kanton eine Herdenschutz-Beratung einfordern kann. 3. Der Landwirt weiss, welche Massnahmen er zum Schutz seiner Nutztiere ergreifen kann. Und 4. Der Landwirt kann diese Massnahmen umsetzen und weiss wie er sie durch den Bund entschädigt bekommt".

Was verstehen Sie unter optimalem Herdenschutz?

"Das Ziel ist nicht der maximale Herdenschutz, sondern der optimale. Herdenschutz soll keine übermässigen Kosten und Aufwände generieren, die Massnahmen sollen wirksam, aber gleichzeitig möglichst einfach und dadurch kostengünstig sein. Im Gebiet von landwirtschaftlicher Nutzfläche reicht ein einfaches Weidenetz, das vom Landwirt sauber gespannt, gut unterhalten und genügend elektrifiziert wird. Im Sömmerungsgebiet sind solche Herdenschutzzäune kaum anwendbar, indem zum Beispiel aufgrund des Geländes kein sauberer Bodenschluss möglich ist. Deshalb sind auf den Alpen Herdenschutzhunde das beste und meist einzige Mittel zum Herdenschutz. Damit diese Hunde wirksam schützen können, ist eine kompakte Weideführung der Nutztiere nötig. So sollen die Nutztiere zu keinem Zeitpunkt - grob gesagt - über mehr als 20 Hektaren verteilt sein. Dies bedingt eine weidetechnische Führung der Nutztiere durch einen Hirten oder über Koppelzäune".

Was verstehen Sie unter maximalem Herdenschutz?

"Ein Beispiel für maximalen Herdenschutz stellt für das BAFU der Nachtpferch dar. Damit sei gesagt, dass diese Massnahme zwar enorm effizient ist zum Schutz vor Grossraubtieren, dass aber die Gewichtszunahme der Nutztiere sofort leidet, indem die Schafe während zu langer Zeit vom Äsen abgehalten werden. Will ein Landwirt diese Massnahme ergreifen, dann darf er das. Das BAFU entschädigt ihm auch hier die Kosten des Zaunes, verlangt wird diese Massnahme aber nicht. Aus Sicht des BAFU stellt eine geordnete Nachtweide eine effizientere Lösung dar. Dabei werden die Schafe durch den Hirten für die Nacht zusammengeführt, jedes Schaf kann während der Nacht seinem eigenen Rhythmus nachgehen, die Herdenschutzhunde finden eine optimale Situation vor, um ihre nächtliche Bewachungsarbeit zu leisten. Will ein Landwirt Herdenschutzhunde halten und einsetzen, dann ist dies zwar die beste, aber klar auch die komplexeste Herdenschutzmassnahme. Damit die Hunde optimal schützen können, ist sehr viel Fachwissen gefragt. Zu diesem Zweck unterstützt das BAFU die Landwirte mit einem Team an Fachberatern für Herdenschutzhunde und weiter sorgen die hundezüchtenden Landwirte im Verein Herdenschutzhunde Schweiz für die bestmögliche Ausbildung und Beratung der Landwirte".

lid

Das Dossier Nr. 484 vom 07. Dezember 2017 ist eine Serie mit Artikeln über Wildtiere in der Schweiz.