Im ersten Moment scheint die Frage im Titel seltsam zusammenhangslos – was haben Primatenrechte mit der Landwirtschaft zu tun? Aber die kantonale Initiative, über die zu einem noch unbekannten Zeitpunkt in Basel-Stadt abgestimmt wird, bedeutet einen Paradigmenwechsel: Vom Tierschutz zum Tierrecht. Die Initiative stammt von Sentience Politics und der Verein lud zusammen mit der Ideenschmeide Reatch Vertreterinnen und Vertreter aus den Bereichen Zoo, Landwirtschaft und Forschung zu einem Workshop ein. Dabei ging es um die Frage, was Grundrechte für nicht-menschliche Primaten in den verschiednen Bereichen verändern könnten.

30 Jahre in die Zukunft blicken

Die Teilnehmenden waren aufgefordert, sich ins Jahr 2051 zu denken. Im Szenario von Sentience Politics war nicht nur die Basler Initiative angenommen, sondern diese auch schweizweit ausgedehnt worden. Primaten (d.h. über 300 Affenarten) hätten also in der ganzen Schweiz ein Recht auf Leben und geistige sowie körperliche Unversehrtheit. Die 30-jährige Zeitreise sollte es ermöglichen, sich von den heute herrschenden Beschränkungen gedanklich zu lösen. Sie stellte sich aber auch als grosse Herausforderung dar, da es einerseits schwierig war, nicht vom Heute aus zu denken und andererseits wegen der vielen Unbekannten. Wer weiss schon, wie die Schweiz und die Welt in 30 Jahren aussehen und funktionieren?

Vielfältige Diskussionsgruppe

In der Gruppe Landwirtschaft diskutierten neben der Schreibenden Meinrad Pfister, Präsident von Suisseporcs und selbst Schweinehalter, Sarah Heiligtag vom Lebenshof «Hof Narr» und Silvano Lieger, Geschäftsleiter von Sentience Politics. Anders als diese Zusammensetzung es vielleicht vermuten lässt, war der Austausch in der Gruppe äusserst konstruktiv und es entspann sich ein Gespräch über die mögliche Zukunft der Landwirtschaft. Da bei der Veranstaltung die Regel galt, dass man im Nachhinein zwar über das Besprochene reden und berichten darf, aber ohne die Aussagen einzelnen Teilnehmenden zuzuschreiben, wird dies auch im Folgenden so gehandhabt.

Fleisch von Tieren wird zur Nische

Man konzentrierte sich in der Gruppe Landwirtschaft in erster Linie darauf, wie sich die Verankerung der Primaten-Grundrechte auf die Schweizer Bevölkerung auswirken würde. Schliesslich sind es Konsumentinnen und Konsumenten, die über ihre Nachfrage die landwirtschaftliche Produktion formen. 

Es herrschte Einigkeit darüber, dass nach der Diskussion über Affen eine weitere über die Nutztierhaltung folgen wird. Man würde hinterfragen, wie und wie viele Kühe, Schafe, Ziegen oder Hühner noch gehalten werden sollten oder dürften. Die Landwirtschaft im Jahr 2051 stellte man sich so vor:

  • Schweizerinnen und Schweizer ernähren sich primär pflanzlich.
  • Industriell hergestelltes Laborfleisch ist billig und hat einen grossen Marktanteil.
  • Fleisch von Nutztieren ist ein hochpreisiges Qualitätsprodukt, das in kleinen Mengen produziert wird.
  • Das Haupteinkommen für Bäuerinnen und Bauern stammt aus dem Ackerbau, wo Proteinpflanzen wie auch Getreide angebaut werden.
  • Mischkulturen dominieren, da deren Vorteile erwiesen sind und es passende Maschinen für Anbau und Ernte gibt. 
  • Damit die Bevölkerung noch einen Bezug hat zur Landwirtschaft, gibt es vor allem rund um Städte Projekte der solidarischen Landwirtschaft (Solawis)
  • Permakultur und andere neue Systeme wie Agroforst ermöglichen es, Gemüse und Ackerkulturen auch auf bisher reinen Grasflächen ökologisch anzubauen. 

Offene Fragen zu Sömmerungsgebieten

Wie genau die restlichen Bauernhöfe mit Tieren bzw. deren Haltung genau aussehen wird, blieb unklar. Wird man Rinder und Co. in Hofgemeinschaften wie Lebenshöfen halten und erst am Ende ihres Lebens nutzen? Oder nicht einmal das?  Wie und ob Sömmerungsgebiete bewirtschaftet und vor der Vergandung geschützt werden, war eine weitere offene Frage. Dies auch im Hinblick auf Interessen des Tourismus und der Biodiversität. Auch 2051 wird die Diskussion um die Nutztierhaltung noch nicht abgeschlossen sein, so die allgemeine Schlussfolgerung. 

Die Rolle der Politik und die genaue Ausgestaltung der Initiative «Grundrechte für Primaten» auf Landesebene war nicht Gegenstand des Gesprächs in der Gruppe Landwirtschaft. Allgemein schätzten die Teilnehmenden den Einfluss der gesellschaftlichen Veränderung grösser ein, als jenen der Politik – vielleicht gibt es 2051 sowieso keine Direktzahlungen mehr und es herrscht Kostenwahrheit. 

Die Landwirtschaft passt sich an

In den übrigen Gruppen (Zoo und Forschung) wurde z. T. heftig diskutiert. Darüber, ob es in Zukunft überhaupt noch Affen in Schweiz geben würde und inwiefern Zoos ihre Aufgaben als Botschafter für den Tierschutz und ihre Funktion im Artenschutz noch spielen können. Und ob ohne Versuche mit nicht-menschlichen Primaten in der Schweiz die entsprechende Forschung und Pharmabereiche einfach ins Ausland verlagert würden. 

Die Landwirtschaft ist da sehr anpassungsfähig, so mein persönliches Fazit. Sollten tierische Produkte in Zukunft weniger gefragt sein, können die Betriebe sich auf Acker- und Gemüsebau konzentrieren. Die Zusammenarbeit im Rahmen von Solawis, neue Anbautechniken und die Konzentration auf die optimale Haltung weniger Tiere bieten Chancen. Die Existenz der Landwirtschaft wird nicht in Frage gestellt – sondern ihre Form.  

Was die grosse Unsicherheit beim Blick in die Zukunft betrifft, formulierte ein Teilnehmer im Workshop ein passendes Schlusswort: «Das sind spannende Szenarien. Nur leider befürchte ich, dass wir in 30 Jahren noch ganz andere Probleme haben werden – Stichwort: Klimawandel.»

Wie stellen Sie sich die Landwirtschaft in 30 Jahren vor? Beschreiben Sie Ihre Vision oder Ihr Szenario in den Kommentaren!

 

Über die Initiative

Der Einsatz von Affen in der Biomedizin oder deren Haltung in Zoos sei angesichts ihrer Fähigkeiten und Eigenschaften kaum moralisch zu rechtfertigen, so die Begründung der Initiative «Grundrechte für Primaten». Daher verlangt das Komitee, für nicht-menschliche Primaten das Recht auf Leben und geistige sowie körperliche Unversehrtheit einzuführen. 

Im September 2020 hat das Bundesgericht entschieden, dass die Initiative zulässig ist. Bei einer Annahme wären die kantonalen und kommunalen Organe von Basel-Stadt dazu verpflichtet, Affen die oben genannten Grundrechte zu garantieren. Private wie Zoos oder die Pharmabranche wären nur indirekt betroffen. Denkbar wäre laut den Initianten aber eine indirekte Drittwirkung, die Schaffung einer unabhängigen Obmudsstelle für Affenrechte oder ein eigenständiger Beistand für diese Tiere. 

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