Keine Perspektiven, Kündigung der Pacht, Landverlust und die Einführung der Milchkontingentierung 1977 zwangen viele Bauern dazu, in den 70er-Jahren nach Kanada auszuwandern. Zwischen 1973 und 1980 verliessen so über 500 Familien die Schweiz. Eine davon waren auch Daniel und Anna Fankhauser aus Grosshöchstetten BE. 1977 wanderten sie mit ihren sechs Kindern in die kanadische Provinz Québec nach Sainte-Sabine aus. Québec liegt im Osten Kanadas, ist 37 Mal grösser als die Schweiz und die Provinzsprache ist hauptsächlich Französisch. Fast 50 Jahre später machte sich die BauernZeitung auf die ­Suche nach Fankhausers. Sie wollte wissen, wie es ihnen heute geht, warum sie damals die Schweiz verliessen, welche Anfangsschwierigkeiten sie hatten undob Daniel und Anna Fankhauser überhaupt noch am Leben sind.

Während fünf Generationen

Wer kannte sie nicht, die Chüjer-Familie Fankhauser aus Grosshöchstetten BE? Von 1851 bis 2001 gingen sie im Sommer mit ihren schwarzen Kühen und Rindern auf den Rämisgumme z Bärg. Während fünf Generationen waren sie Pächter der 130 ha grossen Alp, welche der legendären Berner Aristokratin Madame Elisabeth de Meuron bis zu ihrem Tod 1981 gehörte. Die Gebrüder Daniel und Bernhard Fankhauser waren in den 70er-Jahren Pächter des Rämisgummens und führten diesen in der vierten Generation zusammen mit ihrem elterlichen Talbetrieb in Grosshöchstetten. Daniel Fankhauser war jeweils mit seiner Familie von Mai bis Oktober auf der Alp, während sein Bruder Bernhard mit seiner Familie auf dem Talbetrieb zum Rechten schaute. Hunderte Schaulustige säumten jeweils die Strassen, wenn der alljährliche Alpabzug von Fankhausers stattfand. 27 Kilometer weit ging es vom Rämisgumme über Eggiwil, Schüpbach nach Grosshöchstetten. Mit ihren schwarzen Holsteinkühen gehörten sie in den 70er-Jahren fast zu den Exoten im Bernbiet. Der lange Zügelzug, mit über50 Kühen und Rindern, das Treichel- und Glockengeläut und am Schluss der Zügelwagen mit dem Zweispänner vorne dran, drückten manchem Schaulustigen eine Träne ins Auge.[IMG 3]

Ein grosser Zeitunterschied

Der Zeitunterschied zwischen der Schweiz und Québec beträgt sechs Stunden. 15 Uhr wäre deshalb eine gute Zeit, um die Familie Fankhauser telefonisch erreichen zu können. Neun Uhr morgens ist es jetzt dort – ideal, um jemanden ans Telefon zu kriegen. Oder doch nicht? Nach drei Versuchen gebe ich auf und beschliesse, es am Abend um 18 Uhr noch einmal zu versuchen, da wären Fankhausers am Mittagessen. Und siehe da, Marlyse Fankhauser nimmt den Hörer ab. Nach einem kurzen Kennenlernen sagt sie: «Auch meine Eltern Otto und Irene Aeschlimann sind 1975 von Erlach BE nach Kanada ausgewandert und bewirtschafteten hier eine Farm.» Es sei eine harte Zeit gewesen, mit viel Arbeit und grosser Einge-wöhnungsphase, erzählt sie. «Ich war damals 15 Jahre alt», sagtsie am Telefon. Ihre Eltern leben noch und in all den Jahren sei Kanada auch zu ihrer Heimat geworden. «Am besten gebe ich ­Ihnen jetzt aber meinen Mann, der weiss noch viel mehr über die ­Auswanderung der Schweizer», sagt sie.

Nun kommt Jakob Fankhauser, der älteste Sohn von Daniel und Anna Fankhauser an den Apparat. Ob es am gleichen Namen liegt, oder, dass Fankhauser und der Schreibende ihren Heimatort im Emmental haben – man weiss es nicht, auf jeden Fall versteht man sich auf Anhieb. Und vorneweg: Dass spannende Telefongespräch dauerte fast zwei Stunden lang. Jakob Fankhauser war 17 Jahre alt, als seine Eltern seinerzeit die Schweiz verliessen. Fast 44 Jahre ist es nun her und Jakob Fankhauser spricht immer noch ein reines Berndeutsch, als hätte er Grosshöchstetten nie verlassen. «Nein, meine Eltern leben nicht mehr», bedauert er. «Aber ich bin mit meiner Familie immer noch auf der gleichen Farm, die meine Eltern damals 1977 gekauft haben», hält er fest. Und schon stehe die dritte Generation Fankhauser in den Startlöchern. «Unser Sohn Joël ist mit seiner Familie mitbeteiligt an der 180 ha grossen Farm mit den 240 Tieren, davon 120 Kühe», sagt Jakob Fankhauser, der dieses Jahr seinen 60. Geburtstag feiern darf.

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Es war eine schöne Zeit

Am besten fangen wir mit der Fankhauser-Geschichte von vorne an. Ich möchte von Jakob Fankhauser wissen, ob er sich an die Rämisgumme-Zeit noch erinnern könne. «Natürlich kann ich mich noch erinnern. Es war eine schöne, aber auch strenge Zeit für uns Kinder gewesen», hält er fest. «Auf dem Rämisgumme liefen wir im Sommer fast immer barfuss umher und während der Alpzeit hatten wir sogar eine Lehrerin bei uns. Wir erhielten sozusagen Privatunterricht», erinnert er sich. Da Fankhausers neben den 40 eigenen Kühen, auch noch über 200 fremde Rinder sömmerten, gab es auf der Alp immer viel zu tun. «Auf der hinteren Rämisgumme waren die schwarzen und auf dem vorderen Rämisgumme die roten Rinder eingestallt», weiss Jakob Fankhauser noch. Sogar von Hand Melken habe er auf der Alp noch gelernt. «Mein Vater Daniel war Züchter, Käser und Chüjer durch und durch», hält er fest. Aber: «Er hatte auch seinen eigenen Kopf.» Dass seine Eltern damals nach Kanada auswandern wollten, konnte Grossvater Fankhauser überhaupt nicht verstehen. Die Gründe seien vielfältig gewesen. «In Grosshöchstetten wurde es immer enger, den Betrieb in Gebrüderform zu führen, war für meine Eltern und meinen Onkel nicht einfach und die heranwachsende Jungschar beider Familien löste gewisse Ängste bezüglich der Nachfolgeregelung aus», zählt Jakob Fankhauser die damaligen Kriterien auf.

«Macht mit ihr eine Reise»

Für viele Bauernfamilien war Kanada in den 70er-Jahren der grosse Traum. Dank dem sinkenden Dollarkurs war es den Schweizer Bauern möglich, für zirka 500 000 Franken eine100 Hektaren grosse Farm zu kaufen. Von 1973 bis 1980 wanderten so über 500 Bauernfamilien aus. Es seien vor allem Pächter gewesen, welche ihre Pacht verloren hatten. Auch die Einführung der Milchkontingentierung war mit ein Grund, dass viele Schweizer Bauernfamilien die Heimat verliessen.

Unterstützt durch Makler
Damit die Auswanderungsträume Realität wurden, engagierten viele Bauern einen sogenannten Makler. Diese reisten mit ihnen durch Kanada, vermittelten den Auswanderern die Farmen und unterstützten die Familien zwei Jahre lang in der neuen Heimat. In den 70er-Jahren kamen die Makler sogar in die Schweiz und versuchten an Veranstaltungen potenzielle Auswanderer zu gewinnen.

Die Frau will nicht
Wie in alten Dokumenten zu lesen ist, sagten damals viele Bauern: «Ich würde schon gehen, aber meine Frau will nicht.» Daraufhin erwiderten die Makler oft: «Am besten macht ihr mit ihr eine Reise durch Kanada. Da sieht sie am besten, welchen Komfort sie dort hat.» So fanden doch viele Auswanderer in Kanada eine neue Heimat. Einige hatten aber mit Heimweh zu kämpfen oder fanden sich im neuen Land nicht zurecht. Für viele war dann die Rückkehr in die Schweiz die einzige Lösung.

Begeisterter Holsteinzüchter

[IMG 4]«Meine Eltern flogen vor der Auswanderung dreimal nach Kanada, um jeweils das Land und die verkäuflichen Farmen besichtigen zu können», weiss Jakob Fankhauser heute noch. «Mein Vater war ein begeisterter Holsteinzüchter und als er sah, dass in Kanada die Zucht viel weiter war als in der Schweiz, war er Feuer und Flamme. Und: Meine Eltern wollten auswandern, sie mussten nicht», sagt Jakob Fankhauser deutlich. Am 14. April 1977 war es dann soweit. Die Koffer waren gepackt, der Container mit ihrem Hab und Gut verschifft. Der damals 43-jährige Daniel und seine Frau Anna Fankhauser flogen mit ihren sechs Kinder von Zürich Richtung Kanada nach Montreal. Weiter ging es dann mit dem Auto zu ihrer Farm nach Sainte-Sabine. «Die Farm war damals 80 ha gross, dazu gehörte ein Anbindestall mit 42 Kuhplätzen», sagt Jakob Fankhauser. Zirka 200 000 kanadische Dollar (CAD), haben seine Eltern damals für die Farm bezahlt, was seinerzeit 350 bis 400 000 Franken entsprach. Dies bei einem Zinssatz von 15 bis 20 % für ein Darlehen.

Der Anfang war schwer

Der Anfang sei für alle schwierig gewesen, nicht nur für die Eltern Fankauser, sondern auch für die Kinder. «Obwohl mein Vater auswandern wollte, hatte er doch am längsten mit der ‹Längizyti› zu kämpfen», weiss Jakob Fankhauser noch. Zirka ein Jahr habe es gedauert, bis er sich langsam an die neue Heimat gewöhnen konnte. «Meine Geschwister mussten damals in Kanada noch in die Schule, ich mit meinen 17 Jahren nicht mehr», sagt er. Auf die Frage, ob er nicht auch Heimweh hatte, meinte Jakob Fankhauser nur: «Bis ich die erste Freundin hatte, dann war es vorbei», sagt er und lacht dabei ins Telefon. Nicht nur das Heimweh, auch das Erlernen der Sprache sei eine grosse Herausforderung gewesen. «Das Français québécois ist ein harter Brocken für die meisten Einwanderer», ist Jakob Fankhauser überzeugt. «Da mein Vater in seiner Jugendzeit im Welschland war, konnte er ein wenig Französisch, aber auch für ihn war es am Anfang schwierig, die Kanadier zu verstehen.» Nicht nur mit dem Heimweh oder mit der Sprache hatten viele Auswanderer damals zu kämpfen, auch das Klima machte einigen zu schaffen. «Hier sind die Sommer kurz, mit Temperaturen bis zu 40 Grad, und die Winter lang», erzählt Jakob Fankhauser. «Vor 40 Jahren hatten wir hier noch bis zu drei Meter Schnee. Aber das hat sich seither auch stark verändert und die Winter sind weniger streng geworden als früher», hält er fest.

Ein Butterkontingent

In all den Jahren hat sich auch auf der Farm von Fankhausers viel verändert. Nicht nur die Kuhanzahl wurde grösser, sondern auch die Fläche. Heute halten Fankhausers 120 Holsteinkühe, die in einem Laufstall untergebracht sind. Gemolken wird in einem Melkstand. «Der Milchpreis betrug letztes Jahr im Durchschnitt 0,77 kanadische Cent (das sind zirka 54 Rappen)», sagt der Betriebsleiter. Sie seien froh, dass es in Kanada immer noch ein Milchkontingent gebe, das aber nicht in Litern Milch, sondern in kg Butterfett (gemäss dem Fettgehalt der Milch) festgelegt ist. «Auf unserem Betrieb haben wir eine tägliche Milchproduktion von etwa 4000 Litern Milch (140 kg Fett/Tag) die wir melken dürfen», sagt Fankhauser. Wer mehr melken möchte, könne zusätzliche Quoten kaufen, diese seien aber sehr teuer. Ein Kilogramm Butterquote koste derzeit umgerechnet 24 000 Franken. Auch der Landpreis sei von 1500 CAD/ha im Jahr 1977 auf 50 000 CAD/ha gestiegen.

«Das ist auch der Grund, warum die Milchfarmen sehr teuer geworden sind», sagt Jakob Fankhauser. Nur schon die Milchquoten kosten einige hunderttausend Franken. Obwohl Fankhausers mit der Quotenregelung in Kanada recht zufrieden sind, bereitet ihnen der Importdruck von ausländischen Milchprodukten immer mehr Sorgen. «Vor allem Produkte aus Amerika und Europa überschwemmen den kanadischen Markt zunehmend», so der Milchfarmer. «Die amerikanischen wie auch die europäischen Milchprodukte werden mit Subventionen und Direktzahlungen hergestellt und dann exportiert», ärgert er sich. Diese Situation habe jetzt auch die kanadische Regierung realisiert. «Seit dem letzten Jahr bekommen wir zum ersten Mal vom Staat einen Check, als Vergütung für den Verlust», hält Jakob Fankhauser fest.

Nicht mehr zurück

Nichtsdestotrotz: Rückblickend sind Jakob und Marlyse Fankhauser froh, dass ihre Eltern seinerzeit den Mut hatten, nach Kanada auszuwandern. «Mein Vater ist erst nach zehn Jahren das erste Mal wieder in die Schweiz gereist», erinnert sich Jakob Fankhauser. Bei ihm habe es nicht so lange gedauert, denn er besuchte kurz danach die landwirtschaftliche Schule in Marcelin in Morges VD. Zurück in die Schweiz möchten Fankhausers nicht mehr, zu eng wäre es ihnen mittlerweile hier. «Nein, nach fast 44 Jahren fühlen wir uns wohl hier in Kanada und sind sesshaft geworden», sagt er bestimmt.