Mit Beginn des Lockdowns diesen Frühling, waren Schweizerinnen und Schweizer vor die Tatsache gestellt, zu Hause zu bleiben. Ohne die Ablenkungen des üblichen, geschäftigen Alltags, blieb auf einmal viel Zeit für alltäglichere Dinge. Unternehmungen in der schönen Schweizer Landschaft, haben die Natur wieder ein Stück nähergebracht. So mancher hat ein lange geplantes Heimwerkerprojekt in Angriff genommen und das Gärtnern hat sich zum neuen Volkssport etabliert. So überrascht es nicht, dass die Nachfrage nach Setzlingen einheimischer Gemüse- und Wildpflanzen in diesem Frühjahr besonders hoch war.

In den vergangenen Jahren haben sich die Setzlingsmärkte von Pro Specie Rara wachsender Beliebtheit erfreut. Laut Nadja Kalmbach-Wyss, Projektleiterin Vermarktung und Anlässe bei Pro Specie Rara, ist dieser Trend schon seit einigen Jahren zu beobachten. Auch für die Bäuerinnen und Bauern, die zum Wochenmarkt gehen, ist der Verkauf von Setzlingen im Frühjahr ein lohnendes Geschäft. Nun mussten aber diese Märkte dieses Jahr abgesagt werden. Konnte der findige Bauer aus der Not eine Tugend machen? Und wie sieht die Bilanz Ende Jahr aus?

«Richtiggehend überrumpelt»

Ilze Eichholzer, Biobäuerin aus Elsau ZH verkauft normalerweise ab Anfang Mai ihre Setzlinge auf dem Winterthurer Wochenmarkt.«Diesen Frühling wurde ich beim Setzlingsverkauf richtiggehend überrumpelt», sagt sie.  Schon zu Beginn des Lockdowns Mitte März wollten Kunden bei ihr Tomatensetzlinge kaufen. «Die Menschen hatten Angst, dass alle Setzlinge bald ausverkauft wären». Da sie aber als Biobäuerin über kein beheiztes Gewächshaus verfügt, waren ihre Tomatensetzlingen noch zu klein. Als dann im Mai die Märkte wiedereröffneten, hatten die Kunden ihre Tomatensetzlinge bereits anderswo gekauft. Eichholzer versuchte mittels einer Wegrandtafel auf den Verkauf ab Hof aufmerksam zu machen, da der Biobauernhof aber ansonsten keinen Direktverkauf betreibt, war er nicht sehr stark frequentiert. So mussten viele Tomatensetzlinge kompostiert werden.

 

 

Hilfe von Gebana

Sibylle Siegrist, Biobäuerin aus Küttigen AG, verkauft seit 20 Jahren Setzlinge auf dem Aarauer Gemüsemarkt, aber vor allem auch auf den grossen Pro-Specie-Rara-Setzlingsmärkten auf den Schlössern Wildegg und Wartegg. Jedes Jahr pflanzt sie 30‘000 Setzlinge. Davon ca. 150 Sorten Tomaten. Als dieses Jahr die Märkte abgesagt waren, wurde sie von Anfragen förmlich überrannt. «Ich hatte riesiges Glück», meint sie. Hanspeter Hediger, ein Kollege, der auf dem Markt in Wildegg Edeldestillate verkauft, habe ihr von der Aktion von Gebana erzählt.

Die Organisation, die normalerweise Produkte aus Entwicklungsländern auf ihrem Online-Shop anbietet, unterstützte mit der Aktion «Bauern suchen Kunden», Bauernfamilien, denen der Absatz während des Lockdowns fehlte. Obschon sie anfangs etwas skeptisch gewesen seien, ob der Online-Handel funktioniert, hatte Siegrist ab der zweitletzten Aprilwoche 40 bis 50 Bestellungen pro Tag. «Wir verkauften Tomatensetzlinge im gemischten 6er-Pack. Alles musste mit Zeitungspapier in Schachteln verpackt werden, das war ein riesiger Aufwand», meint Sibylle. Die Unterstützung von Gebana mit zusätzlichem Personal und Wissen half dabei sehr. Um viertel vor sechs musste alles bei der Post in Aarau sein. «Auch dort bin ich an eine nette Frau geraten, die sich persönlich dafür eingesetzt hat, dass der Lastwagen auf unsere Pakete wartete. Ich bin sehr überrascht, das wir von den ca. 2000 Paketen nur 3 Rückmeldungen wegen beschädigten Pflanzen erhielten.»

Online-Shop mit riesiger Nachfrage

Ihre Freundin und deren Lebenspartner erstellten innert 3 Wochen einen eigenen Online-Shop für Siegrists Hof. Dort konnten die Kunden Setzlinge einzeln nach Sorte zum gewünschten Abholtermin bestellen. Dieser lief so gut, dass der Shop vorübergehend wieder geschlossen werden musste. «Aufgrund der überwältigenden Nachfrage nach unseren Tomaten- sowie Peperoni- und Auberginen- Setzlingen waren wir logistisch, personell und zeitlich überfordert», sagt die Biobäuerin.

«Wegen der vielen Gebana-Bestellungen hatte ich einfach den Überblick verloren. Es ist unmöglich, bei 150 Sorten jeden Tag ein Inventar über die noch vorhandenen Pflanzen zu machen.» Da sie Perfektionistin ist, war es ihr Anspruch, alle Kunden nach ihren Wünschen beliefern zu können. Dazu kam der Direktverkauf, wo sie den Kunden auch eine gewisse Auswahl anbieten wollten. Bis Mitte Mai konnte die Biobäuerin nahezu alle ihre Setzlinge verkaufen.

 

 

Auch im November höhere Gemüse-Nachfrage

Die anderen Setzlinge wie z.B. Salate fanden ab Mai auf den wieder eröffneten Märkten sehr guten Absatz, sagt Ilze Eichholzer Auch der Gemüseverkauf lief sehr gut. «Ich war immer ausverkauft. Auch jetzt Ende November läuft der Markt besser als in anderen Jahren.» Mit dem guten Herbstwetter gab es eine reichhaltige Ernte an Äpfeln, Zwetschgen und Nüssen, die nun zusätzlich auf dem Markt angeboten werden können. So erwartet Ilze Eichholzer die Ausfälle vom Frühjahr zu kompensieren und voraussichtlich Ende Jahr gleichviel oder eventuell sogar etwas mehr verdient zu haben.

Sibylle Siegrist verzichtete zu Beginn darauf, wieder auf den Markt zu gehen. Sie hatte genug mit den vielen Bestellung zu tun.. Das führte dazu, dass sie einen schlechteren Standplatz ganz am Ende der Marktstrasse erhielt, als wie wieder auf dem Markt präsent war. Sie konnte deshalb dieses Jahr nur zwei Drittel ihres üblichen Umsatzes beim Gemüseverkauf erreichen.

Der Online-Shop soll bleiben

«Ich werde alles so machen wie bisher», sagt Ilze Eichholzer. Um Tomatensetzlinge früh genug anbieten zu können, müsste zuerst in ein neues Gewächshaus investieren werden. Auch die Arbeitsbelastung würde erhöht. Für Eichholzer ist der Verkauf von Setzlingen ein gutes Geschäft im Frühjahr, wenn sie noch wenig Gemüse im Angebot hat - dennoch wird der Gemüseanbau ihr Hauptgeschäft bleiben.

Sibylle Siegrist will den Online-Shop auf jeden Fall weiter betreiben, allerdings keine Abholtermine später als 7. Mai mehr anbieten. Dies, um nicht wieder den Überblick über die noch vorhandenen Sorten zu verlieren. Die Zusammenarbeit mit Gebana möchte Siegrist gerne in kleinerem Rahmen weiterführen. Für sie war der Verkauf von gemischten 6-er Paketen sehr erfolgreich, da so auch Sorten, die normalerweise auf dem Markt weniger gut laufen, verkauft werden konnten. «Auf jeden Fall möchte ich nächstes Jahr wieder auf den Markt gehen, allein schon deswegen, weil ich gerne berate und Kundenkontakt habe. Ausserdem macht es einfach Spass, auf den Markt zu gehen.»

Ausbau: eher nicht

Recherchen mit anderen Betriebsleitern haben gezeigt, dass die Nachfrage nach Setzlingen im Allgemeinen sehr hoch war. Besonders spezielle Sorten wie Pro-Specie-Rara-Tomaten waren sehr gefragt. Mittels Online-Handel und Vorbestellungen konnte viel abgesetzt werden. Dies allerdings mit erheblichem Mehraufwand für die Produzenten. Das Bearbeiten von Bestellungen, das Bereitstellen und der Postversand sind sehr arbeitsintensiv. Die Ausnahmesituation mit der Corona-Pandemie hat aber gezeigt, dass vielfältige, kreative Lösungen und Absatzwege möglich sind. Die Solidarität unter allen Beteiligten war überwältigend.

Auf die Frage hin, ob auf Grund der nachweislich gestiegenen Nachfrage geplant sei, mehr zu produzieren, war aber keiner der Befragten gross daran interessiert. Die Leidenschaft und die Freude für die Vielfalt alter Pflanzensorten scheinen für einmal den Gedanken an Kapitalmaximierung und Wachstumssteigerung zu verdrängen. Mehrere Standbeine zu haben sowie regionale Absatzkanäle sorgen für eine gewisse Resistenz in Krisenzeiten. Das Ambiente, das geschäftige Treiben, der Austausch mit Kollegen und Kunden sind mindestens genauso wichtig. Es ist eine Passion z’Märit z‘gah. Nadja Kalmbach-Wyss, Projektleiterin Vermarktung und Anlässe bei Pro Specie Rara, ist jedenfalls schon dabei die Märkte für nächstes Jahr zu planen.