30 Stunden sind seit Abflug in Kloten vergangen, und alles, aber auch wirklich alles ist anders: Die Temperatur schwül-warm, die Strassen staubig und schlecht, die Autos rar und verbeult, die Menschen schwarz und mausarm, die Vegetation ein Dschungel.

Ein ganz weisser Fleck auf der Landkarte ist der schwarze Kontinent für mich eigentlich nicht. Mit der Familie erlebte ich vor Jahren eine abenteuerliche Reise durch Kenia. Vor meinem Abflug nach Äthiopien habe ich mich zugegebenermassen schlecht vorbereitet, und das aus zwei Gründen: Erstens hatte ich keine Zeit, und zweitens sagte ich mir, dass man sich auf das, was dort kommt, sowieso nicht richtig vorbereiten kann. Damit sollte ich grösstenteils recht behalten.

Die gut sechs Stunden dauernde Reise von der Hauptstadt Addis Abeba zu meinem Arbeitsort rund 250 km südwestlich der Millionenmetropole war eine wilde Flut von fremden Eindrücken. Den äthiopischen Strassen gedenke ich ein eigenes Kapitel zu widmen, weshalb ich direkt beim Projekt einsteige. Nach mehreren Stunden Schotterpiste, einigen Flussdurchquerungen (nicht: Überquerungen) und immer spärlicher auftauchenden mit Lehm und Stroh verputzten Hütten (Tukul) erreichen wir den Betrieb Nono, der mir in diesem Moment wie eine Oase der Zivilisation mitten im Urwald anmutete. Dschungel, so lässt sich die natürliche Vegetation in diesem Gebiet wohl gut beschreiben. Ein Punkt, den ich bei seriöserer Vorbereitung hätte erwarten können - so aber hatte ich peinlicherweise eher mit Savanne gerechnet.

Nono, das ist ein landwirtschaftlicher Betrieb mit rund 250 Hektar Ackerfläche und ebenso viel anvertrautem Waldgebiet. Es werden Mangos, Tef (äthiopisches Getreide), Mais, Weizen, Bohnen, Chili und diverse Gemüse, Kräuter, Sträucher und Bäume angebaut sowie Schafe und rund 70 Zebu-Rinder gehalten. Das Projekt umfasst einerseits die landwirtschaftliche Produktion, andererseits aber auch ein Teaching-Projekt, in dessen Rahmen der lokalen Bevölkerung allerlei Wissen rund um eine ressourceneffiziente Landwirtschaft (z.B. Gemüseanbau, Kompost, biologischer Anbau und Schädlingsbekämpfung, Erosionsschutz, effiziente Bewässerung etc.) vermittelt wird. Auch eine Klinik befindet sich auf dem Areal. Nach zwei Wochen bin ich der einzige Nicht-Äthiopier auf dem Betrieb, der je nach Saison zwischen 30 und 120 Leute beschäftigt.

Es gibt haufenweise neue Gesichter und dazugehörige Namen - alle ebenso freundlich wie schwierig auszusprechen - sowie verschlungene Wege einzuprägen, denn es geht gleich los mit der Arbeit: Neue Bewässerung für die Mangoplantage anlegen, unter Berücksichtigung der Ausbildung der "Daily Worker". Das hiess dann zwei Wochen lang: Fluss umleiten (von Hand Gräben schaufeln), Damm betonieren (Sand und Kies direkt aus dem Fluss gewonnen), 1,5 km 75er-Rohre durch den Dschungel verlegen (Machete und Motorwinde sind unentbehrlich). Klingt recht trivial, das Unterfangen war aber exotisch genug: Anleiten von acht Menschen, welche nur Oromo sprechen. Arbeitsort: Dschungel bei 28 Grad. Hintergrundgeräusche: Keifende Affensippen. Erreichen des Arbeitsortes: Zunächst per Traktor, dann 1 km nur noch zu Fuss erreichbar. Meine erste gelernte Lektion: Ein 50 kg schwerer äthiopischer Mann in zusammengeflickten Flipflops kann einen 50 kg Zementsack deutlich besser den steilen Hang hinuntertragen als ich mit meinen Arbeitsschuhen.

Ich war froh, sogleich einer sinnvollen Arbeit nachgehen zu können, die mich vom Grübeln vorerst etwas abhielt. Grübeln über Heimweh, die unglaubliche Armut im Land, die Unterschiede zwischen Afrikanern und Europäern, Sinn und Unsinn von Entwicklungshilfe oder den Siegeszug der Mobiltelefone und von Coca Cola. Das kommt dann sicher noch früh genug und wird wohl mangels Kommunikationsmöglichkeit mit Menschen aus meinem Kulturraum in Form dieser Blogs verarbeitet.

Sebastian Hagenbuch