Auf dem Mühlehof bin ich selten allein. Da ich nicht allen Platz selber beanspruche, tummeln sich zahlreiche andere Nutzerinnen und Kostgänger auf dem Hof: Kollegen, die Dinge unterstellen; Vereine, die Lagerraum benötigen; Bekannte, die Werkzeug deponieren; Mieter, die einen Teil des Hauses bewohnen – und natürlich die Rösselerinnen, die eigentlich zwei Ställe bräuchten: Einen für die Tiere und einen, um das ganze Zubehör für ebendiese zu verstauen.

Mir ist dabei etwas aufgefallen. Ohne aktive Gegeneinwirkung meinerseits dehnen die meisten Gäste ihr Territorium auf dem Mühlehof schleichend aus. Da stehen plötzlich mir unbekannte Fahrräder im Veloständer. Neben der Heizung finde ich Holzwerkzeug, das ganz bestimmt nicht mir gehört. Im Schopf steht eine mir unbekannte Schubkarre. In der Scheune lehnt eine Mini-Kutsche an der Wand und überall sind Spezial-Einstreuprodukte für Pferde deponiert. Die Mieter mutieren zu Super-Spreadern, die nach und nach in jeden Winkel des Hofes vordringen.

Es ist schwierig abzuschätzen, ab wann ich eingreifen soll. Ich will ja nicht kleinlich sein, und ob jetzt ein Velo mehr oder weniger dasteht, ist irgendwie doch eher nebensächlich. Das habe ich übrigens herausgefunden, als ich mich zum Jahreswechsel gefragt habe, was im letzten Jahr eigentlich wirklich Wichtiges in meinem Leben passiert ist. So viel sei verraten: Untergestellte Fahrräder ge-hören nicht dazu.

Aber ich schweife ab. Die meisten Besucherinnen und Besucher auf dem Mühlehof halten Ordnung, und Platz genug ist eigentlich vorhanden. Wo also ist das Problem?

Es beginnt damit, dass ein kleines blaues Fass in einer Ecke steht. Wenn ich nach einer Woche nicht reklamiere, dann ist Person X, Eigentümerin des Fasses, der Meinung, dies sei nun offensichtlich ihre Ecke. Schliesslich wurde sie mit einem Fass markiert. Also stellt sie noch ein Velo dazu. Nun entgeht das natürlich nicht den Argusaugen von Person Y. Sie will auch zusätzlichen Platz für Ihren Karsumpel. Also wird schnell eine andere Ecke beansprucht, und sei es nur deshalb, damit X sich nicht auch noch dieser Ecke bemächtigt.

Von Zeit zu Zeit kommt es dann vor, dass ich eine Räumung veranlasse, weil ich Eigenanspruch geltend machen muss oder mir das Treiben zu bunt wird. Das ist dann gar keine so einfache Sache:

«Aber ich hatte diesen Platz doch schon IMMER …», mault etwa X. Und ergänzt: «Und warum darf Y weiterhin seinen Plunder dort drüben stehen lassen? Das ist unfair, ich werde immer benachteiligt und die anderen immer bevorzugt …»

Toleriere ich etwas vorübergehend, bloss deshalb, weil es gerade nicht stört oder für mich während der Saison keine Priorität hat, so macht sich schnell das Gewohnheitsrecht bemerkbar. Es entstehen Ansprüche.

In Teufels Küche käme ich, wenn ich von Fall zu Fall unterschiedlich urteilen würde. Tun Sie das nie! Auch wenn sich für alle anderen nichts ändert, eine Person aber ein zusätzliches Privileg erhält, so fühlt sich der Rest der Super-Spreader-Gemeinschaft automatisch benachteiligt.

Das ist irgendwie menschlich und auch unter Landwirten anzutreffen. Ich hatte schon den Eindruck, dass ein Geschäft oder eine Zusammenarbeit nicht zustande kommt, obwohl alle Seiten davon profitiert hätten. Der Grund: Eine Partei hätte womöglich sogar noch ein kleines Bisschen mehr profitiert als die andere.

Saudumm, nicht? Aus diesem Grund bin ich noch immer von der Fruchtfolgegemeinschaft «Association du Grillon» in Orges VD beeindruckt. Da hatte ich selbst nach mehreren Stunden hartnäckigem Nachfragen das Gefühl, dass alle von der Zusammenarbeit derart überzeugt sind, dass es keine Rolle spielt, ob jemand jetzt noch ein kleines bisschen mehr davon profitiert als man selbst. Chapeau!

 

«Plötzlich Bauer»

Sebastian Hagenbuch ist Landwirt und Agronom. Er bewirtschaftet mit seinen Eltern einen Betrieb mit zwei Standorten im Freiamt AG. Er arbeitet in einem Teilzeitpensum als Redaktor Pflanzenbau für «die grüne».

Hagenbuch begann sich erst spät für die Landwirtschaft zu interessieren. In seiner Kolumne erzählt er von Alltäglichem und Ausser-gewöhnlichem, wechselt ab zwischen Innen- und Aussensicht, immer mit kritischen Blick und einem Augenzwinkern.