Das Interessanteste liegt oft unter der Oberfläche begraben. Jetzt wird es nicht etwa psychologisch: Es geht im Folgenden natürlich um Kartoffeln.

Die Kartoffelernte hat bei uns begonnen. Es gilt Ähnliches wie bei der Getreideernte, bei den Kartoffeln ist die Spannung bei mir aber noch etwas grösser.

Der Ertrag ist bis zur Ernte nicht direkt sichtbar. Was nützen schöne Stauden, wenn unten die Stückzahlen fehlen oder die Kaliber zu klein sind? Nicht viel, ausser dass man sich den ganzen Sommer auf einen Wahnsinns-Ertrag gefreut hat. Zu-dem gibt es – anders als etwa beim Raps –zahlreiche Faktoren, welche die Qualität der Ernte massiv beeinträchtigen können: Schnecken, Drahtwürmer, Schorf, Rhizoctonia, faule Kartoffeln, Mäuse …

Klar, wer nicht zu faul ist, kann regelmässig mit der Grabgabel schauen gehen, wie sich die Sache in etwa entwickelt. Das mache ich in der Tat ziemlich gerne. Es ist aber nicht ganz einfach, von ein paar Stauden auf mehrere Hektaren zu schliessen, besonders wenn die Bodenverhältnisse wie bei uns üblich sehr verschieden sind, sogar innerhalb ein und derselben Parzelle. So grabe ich und interpretiere tendenziell nach folgendem Schema: Finde ich schöne, gesunde und grosse Kartoffeln, dann neige ich dazu, mir einzureden, dass das bestimmt eine ziemlich repräsentative Probe war.

Finde ich eine Knolle mit Drahtwurmloch, eine Staude mit kleinen Kartoffeln oder gar eine faule Knolle, so bin ich sehr gut im Suchen nach Gründen, weshalb genau diese Probe jetzt nicht repräsentativ war und darum auch kein Grund zur Sorge besteht.

Früher oder später folgt dann aber mit der Ernte doch der Tag der Wahrheit. Bei kaum einer Kultur zeigt es sich so schön wie bei den Kartoffeln, wo der Boden bestens im Schuss ist und wo etwas nicht stimmt.

Die Kartoffelernte ist wie eine Ertragskartierung beim Mähdrescher: Man sieht gut, wie viel von jeder Reihe abgeführt werden kann und an welchen Stellen plötzlich mehr Erde als Kartoffeln auf dem Sortierband liegt.

Die Ernte von Kulturen, die im Boden wachsen, ist daher immer ein persönliches Highlight. Zudem ist der Aufwand doch ziemlich gross, den Kartoffelproduzenten für ihre Ernte betreiben.

Da steigt die Spannung, ob bis am Ende alles gut ging und sich die Arbeit letztendlich auch gelohnt hat. Bis jetzt sieht es bei uns nicht schlecht aus.

Ausser auf einem Feld. Das ist zwar noch nicht geerntet, aber dort gibt es gemäss meiner Probegrabung einige Probleme mit Drahtwürmern. Aber zum Glück weiss ich ja: Meine Stichprobe war bestimmt nicht aussagekräftig ...

Übrigens habe ich neulich gelernt, dass es sich mit einer Kolumne ganz ähnlich verhält wie mit Kartoffeln. Ja, das ist ernst gemeint. Der Satz stammt nicht von mir, sondern von Harald Martenstein, einem bekannten deutschen Kolumnisten.

Er hat an einer Weiterbildung erzählt, dass man eine Kolumne wie Kartoffeln auch eine ganze Weile hegen und pflegen muss, bis sie reif zur Niederschrift ist. Am Anfang steht keine Knolle, sondern eine Idee, die auf fruchtbaren Boden fallen muss. In diesem Sinne ist also die Kartoffelerntezeit auch bereits wieder die Zeit der Aussaat.

 

 

«Plötzlich Bauer»

Sebastian Hagenbuch ist Landwirt und Agronom. Er bewirtschaftet mit seinen Eltern einen Betrieb mit zwei Standorten im Freiamt AG. Er arbeitet in einem Teilzeitpensum als Redaktor Pflanzenbau für «die grüne».

Hagenbuch begann sich erst spät für die Landwirtschaft zu interessieren. In seiner Kolumne erzählt er von Alltäglichem und Aussergewöhnlichem, wechselt ab zwischen Innen- und Aussensicht, immer mit kritischen Blick und einem Augenzwinkern.