In wenigen Tagen präsentiert der Weltbiodiversitätsrat IPBES seinen Bericht über den Zustand der weltweiten Artenvielfalt. Erste Inhalte, die bereits durchgesickert sind, zeichnen ein verheerendes Bild des Niedergangs der Natur. Doch neben dem Aussterben von Arten findet noch ein anderer Verlust statt: der an indigenem Wissen um den Nutzen dieser Arten für den Menschen - als Nahrung, Werkzeug, Medizin, Baumaterial und vieles mehr. Den Zusammenhang zwischen dem biologischen und dem kulturellen Verlust haben Forscher um Jordi Bascompte von der Universität Zürich unter die Lupe genommen.

Insbesondere der gleichzeitige Verlust an Biodiversität und indigenem Wissen, das meist nirgends schriftlich festgehalten ist, gefährdet demnach das wirtschaftliche Überleben indigener Gemeinschaften, wie die Universität am Donnerstag mitteilte.

Wissen über Palmen

Gemeinsam mit seinem Mitarbeiter Miguel A. Fortuna und Rodrigo Cámara-Leret von den Royal Botanic Gardens in Grossbritannien sammelte Bascompte das Wissen von 57 indigenen Gemeinschaften im Amazonasbecken, in den Anden und in der Chocó-Region über Palmen und ihren Nutzen. Beispielsweise verwendeten die Menschen die Früchte als Nahrung, getrocknete Blätter für Hängematten oder gespaltene Stämme als Hüttenboden.

Im Durchschnitt kannte jede Gemeinschaft etwa 18 Palmenarten und 36 verschiedene Verwendungsmöglichkeiten, wie die Forscher im Fachblatt „PNAS“ berichten. Dieses gesammelte indigene Wissen stellten die Forscher in einem Netzwerk dar, das zeigt, wie die Kenntnisse lokal und regional miteinander verknüpft sind.

Die Kenntnisse verschiedener Gemeinschaften überschneiden sich demnach nur mässig. Selbst dann, wenn es sich um die gleiche Palmenart handelte, schrieb die Uni Zürich.

Fragiles Netzwerk

Anhand des Netzwerks konnten die Forschenden simulieren, welche Auswirkungen das Verschwinden einzelner Arten oder des Wissens um bestimmte Verwendungen haben können. Dabei stellte sich das Netzwerk als äusserst instabil heraus: Schon der Verlust weniger Komponenten hat grosse Auswirkungen. "Besonders der gleichzeitige Verlust von Pflanzenarten und kulturellem Erbe führt zu einer viel schnelleren Auflösung des indigenen Wissensnetzwerks" liess sich Bascompte zitieren.

Den Forschern zufolge wurde kulturellen Faktoren bisher zu wenig Beachtung geschenkt. Normalerweise liege der Fokus eher auf dem Aussterben von Pflanzenarten, so Bascompte. Aber das unersetzliche Wissen, das nach und nach aus indigenen Gemeinschaften verschwinde, sei genauso wichtig für den Dienst, den das Ökosystem dem Menschen leiste.

Der Weltbiodiversitätsbericht, der am Montag vorgestellt werden soll, entstand nicht allein aus der Auswertung wissenschaftlicher Studien sondern berücksichtigt auch das Wissen indigener Gemeinschaften. So schwingt neben dem Fachbegriff der Ökosystemleistungen auch der indigene Begriff vom "Geschenk der Natur an den Menschen" mit. Beispiele dafür sind die Regulierung von Luft- und Bodenqualität oder eben die Bereitstellung von Nahrung, Baumaterial und Medizin.