Fische aus Schweizer Fischfarmen sind hinsichtlich der Bedeutung im Detailhandel nicht der grosse Fisch an der Angel. Dennoch sind  Schweizerinnen und Schweizer Fischliebhaber. Der Expertenbericht "Standortbestimmung zur Fischerei in Schweizer Seen und Fliessgewässern" aus dem Jahr 2017 im Auftrag des Bundesamts für Umwelt (BAFU) präsentiert Zahlen zum Fischkonsum in der Schweiz: Daraus geht ein klarer Langzeittrend hervor. Die in der Schweiz konsumierte Menge an Fisch, Fischprodukten und Schalentieren hat zugenommen und zwar von 46'000 Tonnen im Jahr 1988 auf über 74'000 Tonnen im Jahr 2016. Auch der Konsum von Süsswasserfischen hat von 7'000 auf 12'000 zugenommen. Rund 80 Prozent davon sind importiert. Die Fangerträge aus Schweizer Gewässern stagnieren bis sinken und Fische aus Zuchtanlagen weisen eine leicht positive Tendenz auf tiefem Niveau aus (ca. 1500 t, das entspricht 2% der Gesamtnachfrage).

Viel Knowhow nötig

Die ökonomische Relevanz von Produkten aus Aquakulturen wird langfristig stark zunehmen, auch in der Schweiz. Davon sind die Exponenten der Fachgruppe Aquakultursysteme an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) überzeugt. Die ZHAW unterhält auf dem Campus Grüental in Wädenswil Fischzuchtanlagen zu Forschungszwecken. Seit Herbst 2016 läuft dort das von Doktorandin Linda Tschirren betreute Projekt "Untersuchung des Fischwohls in der Schweizer Aquakultur".

Der Titel beinhaltet keine Nebensächlichkeit dieser High-Tech-Lebensmittelproduktion. Denn wer mit Erfolg eine Fischfarm betreiben will, muss sich viel Wissen aneignen: Jede Fischart will anders ernährt werden, fühlt sich bei anderen Wassertemperaturen wohl und zeigt bei Stress ein anderes Verhalten. Ein kontrovers diskutiertes Thema in der Branche ist die Besatzdichte. Im Schwarm zu schwimmen bedeutet für manche Fischarten Schutz vor Fressfeinden. Eine hohe Besatzdichte kann unter Umständen den Stress der Tiere reduzieren.

 

 

Kunden erwarten Fischwohl

Das Fischwohl ist somit zentrale Bedingung für ausreichenden Ertrag einer modernen Aquakultur. Wissenslücken und die unterschiedlichen Verhaltensweisen je Speisefischart macht die Etablierung von Standards und Labels für Zuchtfische allerdings schwierig.

"Fish Welfare" gehört zur Erwartung von Konsumenten, wenn diese sich für Produkte aus nachhaltiger Fischzucht entscheiden. Kaum überraschend sind allerdings die wenigsten mit modernen Produktionsverfahren vertraut. Aus wenigen Umfragen weiss man: Bevorzugt werden grosse Naturnähe der Haltungseinrichtung (Begrünung, Nischen in Becken), eine artgerechte Haltung (genug Platz, artspezifisches Verhalten) und ressourcenschonende Futtermittel. Ein einheitliches und starkes Nachhaltigkeitslabel für (europäische) Aquakultur hat sich bislang nicht durchgesetzt. Allerdings gehen Branchenkenner von einer höheren Zahlungsbereitschaft für nachhaltig produzierte Fische aus, sofern diese kurze Transportdistanzen aufweisen.

Die Schweiz vorne dabei

Gemäss Tschirren ist die seit Sommer 2017 aktive Arbeitsgruppe "Fish Welfare" der ZHAW europaweit gut vernetzt. Die ZHAW nutzt die Kontakte, um vorhandenes Wissen in eigene Projekte einzuarbeiten. Zudem gehe es, so Tschirren, um Technologietransfer: "Die Schweiz hat hier die Möglichkeit, Vorreiter in einer jungen und zukunftsorientierten Lebensmittelbranche zu sein." Neue Erkenntnisse sollen bestehende Produktionsverfahren verbessern; ein Knowhow, das eines Tages auch exportierbar wäre.

Das ZHAW-Forschungsprojekt hat aber in erster Linie das Ziel, ein digitalisierbares Protokoll zu entwickeln. Damit sollen Schweizer Fischfarm-Betreiber das Wohl ihrer Tiere besser einschätzen und beurteilen können. Dies je nach Anlagetyp und Speisefischarten (Forellen, Zander, Egli).

 

 

Trend zu mehr Technik

Auch in der europäischen Aquakultur für Süsswasserfische geht der Trend - weg von extensiven Verfahren - in Richtung semi-intensiven Produktionsmethoden mit u.a. moderner Fütterungstechnik, Versorgung mit technischem Sauerstoff und Mehrfachnutzung des Wassers. Man unterscheidet zwischen Durchflussanlagen (z.B. Forellenteiche mit mittlerem Technikeinsatz und Aufzucht mit Alleinfuttermitteln) und Kreislaufanlagen (hoher Technikeinsatz, geringer Wasserbedarf). Die Produktion wird kalkulierbar, die Betriebssicherheit erhöht. Andererseits kann es vermehrt zu verfahrensbedingten Missbildungen oder Verhaltensstörungen, so genannten Technopathien kommen.

Gelegenheit zum internationalen Fachaustausch bot im Februar 2019 die von der ZHAW durchgeführte Fachtagung "Fischforum Schweiz". Dort sprach u.a. auch Gregor Schmidt von der bayrischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL). Dessen Institut für Fischerei in Starnberg gilt als angesehene Referenz in der Aquakultur-Szene.

Einfache Massnahmen helfen

Schmidt, Leiter Forellenteichwirtschaft an der LfL, beobachtete mechanische Verletzungen, verursacht durch permanenten Abrieb am Beckenboden bei den Fischarten Zander oder Flussbarsch. Durch Versuche anhand von Regenbogenforellen fand man heraus, dass die Rundströmung in den Intensivbecken zu vermehrten Schäden an den Brust- und Bauchflossen führt. Im Vergleich zur Rundströmung verbessert eine diffuse, also ungerichtete, Strömung den Zustand der Flossen und die Futterverwertung, ergo die Wachstumsleistung der Fische.

In einem weiteren Versuch mit Bachforellen untersuchte man den Einfluss der Beleuchtung auf das Wachstum und die Gesundheit des Fischbestands. Eine Aufzucht unter hellen Bedingungen favorisiert zwar das Wachstum der Fische und führt zu weniger Abrieb bei Brust-, Bauch- und Afterflossen, hingegen zu höherem Verbiss bei Rückenflossen. Als Schlussfolgerung richtete man Rückzugsorte ein (stehende Flosse, kleine Brücken). Dies reduziert die mechanischen Verletzungen markant, bietet Schutz vor Fressfeinden und vor Sonnenbrand. Schmidt zeigte sich zuversichtlich: "Die Schadbilder lassen sich durch einfache Massnahmen und Umbauten markant reduzieren."

 

Neue Forschungsgelder für Stressforschung bei Fischen

Stressempfindung bei Fischen und deren Messung ist momentan das prioritäre Thema der Gruppe von Forschenden an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Unter dem Titel "Fish Welfare Assessment - Development of Innovative Tools for the Field" startet ein neues Forschungsprojekt im April 2019. Es dauert vier Jahre und wird vom Bund mit insgesamt 850'000 Franken unterstützt. Das Schweizer Unternehmen Lucerna-Chem und die englische Firma OptiGene sind die Kooperationspartner aus der Wirtschaft.

Ermöglicht wurde diese Forschungsarbeit durch das Sonderprogramm "Bridge" des Schweizerischen Nationalfonds SNF und der Agentur für Innovationsförderung Innosuisse. Der Bund stellt für das Programm von 2017 bis 2020 insgesamt rund 70 Mio. Franken zur Verfügung. 2018 wurden in diesem Rahmen zwölf so genannte Discovery-Projekte, wie jenes der ZHAW, bewilligt. Bei diesen Projekten werden erfahrene Forscherinnen und Forscher unterstützt, deren Arbeit ein Anwendungspotenzial in Form eines Produktes oder einer Dienstleistung birgt.

Quelle: ZHAW Wädenswil, 27.3.2019

 

 Mehr Zucht, weniger Fangerträge