Tiergesundheit ist kein Modewort der jüngsten Entwicklungen in der Schweizer Landwirtschaft und erst recht kein durch die wachsenden gesellschaftlichen Ansprüche neu aufgekommenes Thema. Während sich beispielsweise die Aufgaben des vor über 100 gegründeten eidgenössischen Veterinäramts am Anfang im Wesentlichen auf die Tierseuchenbekämpfung konzentrierte, zeigten Ausbrüche von BSE, Tuberkulose oder auch Tollwut, wie eng Tiergesundheit auch mit der Lebensmittelsicherheit und der Gesundheit des Menschen verbunden ist. Daneben haben Landwirtinnen und Landwirte auch schon lange erkannt, dass Tiergesundheit untrennbar mit Tierwohl und schlussendlich auch mit Wirtschaftlichkeit verbunden ist: Nur ein gesundes Tier kann gute Leistungen erbringen.

Dachorganisation soll Synergien schaffen

Gesundheitsdienste und andere Verbände, die sich im Rahmen ihres Tätigkeitsbereiches auch um Nutztiergesundheit kümmern, gibt es in der Schweiz entsprechend quasi «en masse». Um die Verantwortlichkeiten und die Fachkompetenz zu bündeln, wurde vor gut einem Jahr die Organisation Nutztiergesundheit Schweiz (NTGS) gegründet. Die 16 Gründungsmitglieder vereinen nationale Organisationen von Tierhaltern, Tierzüchtern und Viehhändlern über Tierärzte, der Vetsuisse-Fakultät und der Vereinigung der Schweizer Kantonstierärztinnen und Kantonstierärzte.

Mehr Effizienz

Unter dem Dach der NTGS soll die Tiergesundheit in der Schweiz über alle Nutztierarten und Organisationen besser koordiniert werden und Synergien genutzt werden, erklärt Lukas Perler, Geschäftsführer der NTGS: «Es geht darum, Aktivitäten und Vorhaben zur Förderung der Tiergesundheit der einzelnen Organisationen miteinander zu vergleichen und allen, die mit der Förderung der Tiergesundheit zu tun haben und beteiligt sind, einen Austausch zu bieten.» Die Tiergesundheit in der Schweiz soll so nachhaltiger und effizienter werden.

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Hoher Koordinationsbedarf bei Rindern und Schweinen

Rund sieben Wochen nach der Gründung hat die NTGS auf der Geschäftsstelle am Inforama in Zollikofen im Kanton Bern am 17. August 2020 ihre Arbeit aufgenommen. Vieles sei seither gelaufen und die NTGS stosse auf eine grosse Nachfrage was ihre Arbeit betreffe, sagt Lukas Perler: «Wir haben bemerkt, dass wir im Bereich der Rinder- und der Schweinegesundheit auf mehr Fragen und mehr Koordinationsbedarf stossen als vielleicht bei den Kleinwiederkäuern oder dem Geflügel – aber das haben wir so erwartet und entsprechend geplant.» Im Rinder- und Schweinebereich gäbe es grundsätzlich mehr Organisationen und mehr Aktivitäten – je grösser ein Bereich sei und je mehr Organisationen tätig seien, desto grösser werde auch der Koordinationsbedarf.

Reagieren und Kräfte bündeln

In der Anfangsphase stand so vor allem die Tiergesundheitsförderung im Rinderbereich im Fokus: In der Schweiz gibt es verschiedene Tiergesundheitsdienste und im letzten Jahr trat eine neue Verordnung zu den Tiergesundheitsdiensten in Kraft. Neu wird auch der Rindergesundheitsdienst auf Verordnungsstufe geregelt. Das bedeutet, dass die staatliche Unterstützung der Tiergesundheitsdienste in der Schweiz – der Gesundheitsdienst für Kleinwiederkäuer, der Schweinegesundheitsdienst, der Bienengesundheitsdienst und der Rindergesundheitsdienst – nun einheitlich geregelt werden.

Neue Organisation für Rinder

«Damit verbunden haben wir den Auftrag bekommen, den bisherigen Rindergesundheitsdienst unter eine neue Trägerschaft zu stellen und die Tätigkeiten des Rindergesundheitsdienst mit denjenigen des Kälbergesundheitsdienst zusammenzuführen», erklärt Lukas Perler. In Zusammenarbeit mit allen Akteuren hat die NTGS den Tiergesundheitsdienst im Rinderbereich neu organisiert und der Zusammenschluss als Rindergesundheit Schweiz wird am 1. Oktober 2021 lanciert. Damit werde der Gesundheitsdienst im Rinderbereich auf die zukünftigen Herausforderungen gerüstet und für die Zukunft richtig und nachhaltig aufgestellt.

Im laufenden Jahr noch gibt es auch eine Veränderung beim Schweinegesundheitsdienst: Dort werden zwei Gesundheitsprogramme miteinander verschmelzt – das langjährige Basisprogramm und das Schweine-plus-Gesundheitsprogramm, das einen Schwerpunkt auf die Antibiotikaproblematik setzt. Die NTGS unterstützt den Prozess mit den direkt betroffenen Beteiligten.

Austauschplattform

Durch Nutztiergesundheit Schweiz sollen also mittel- und langfristig Synergien geschaffen werden, unter anderem auch indem identifiziert wird, was die einzelnen Tiergesundheitsdienste gemeinsam haben, um dies schlussendlich auch gleich anzupacken und dadurch einen Mehrwert zu schaffen. Und Potential für Mehrwert bietet sich genug: Wenn beispielsweise Tiergesundheitsdaten gleichartig erfasst werden oder indem die NTGS für konkrete Anliegen als Ansprechpartner für Bund und Kantone auftritt und so die Kommunikation effizienter gestaltet.

Dass setzt aber auch den Austausch zwischen den verschiedenen Nutztiergesundheitsdiensten und deren einzelner Player voraus. «Wir haben bei allen Tierarten – Rinder, Schweine, Kleinwiederkäuer und Geflügel – Plattformen, die wir moderieren und organisieren», sagt Lukas Perler, «dort kann Austausch stattfinden.» Es gehöre zu den wichtigsten Aufgaben der NTGS, Plattformen zu bilden, für alle, die mit der Förderung der Tiergesundheit zu tun haben und beteiligt seien, um Aktivitäten und Vorhaben zur Förderung der Tiergesundheit miteinander zu vergleichen und abzugleichen. «Auf diesen Plattformen besprechen und diskutieren Zucht, Tierärzteschaft und Forschung die aktuellen relevanten Fragen – wie kann man diese besser angehen und wo kann man einen besseren Nutzen daraus ziehen.» Das Angebot werde rege genutzt, meint Lukas Perler zufrieden. 

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Herausforderungen

Eine so breit abgestützte Organisation ist in Bezug auf gute und konsensbereite Zusammenarbeit aber auch Fluch und Segen zugleich, zumal Tierhalter, Tierzüchter, Viehhändler, Tierärzte und die Forschung nicht immer die gleichen Anliegen haben. «Das ist tatsächlich eine Herausforderung, gleichzeitig aber auch die Stärke unserer Organisation», erläutert Lukas Perler. «Die Zusammenarbeit führt zu sehr lebhaften Diskussionen, aber genau das ist es, was die NTGS auch voranbringt. Wir sind überzeugt, dass man den besten Nutzen nur erhält, wenn alle am gleichen Strick ziehen.» Eine Aufstellung in dieser Breite habe ausserdem niemand anderes im Gesundheitsbereich.

Fortfahren ohne neue Agrarpolitik

Lebhafte Diskussionen und kreative Lösungsfindungen dürfte es für das Vorankommen der NTGS auch brauchen. Durch die Sistierung der AP22+ müssten sie nun aufpassen, dass die Wichtigkeit der Tiergesundheit nicht auch in eine Warteschleife gerate, gibt Lukas Perler zu bedenken. «Die AP22+ hätte die Förderung der Tiergesundheit mehr in den Fokus gerückt – zum Beispiel mit Direktzahlungen für Tierhalter zugunsten der Tiergesundheit», erklärt er weiter.

Die Tiergesundheit habe nicht zum umstrittenen Teil der AP22+ gehört und es sei nun eine Herausforderung für die Organisation und die ganze Branche, dass man trotz der Sistierung den Erwartungen entsprechen und das positive Momentum weiterziehen könne. Der Aufwand sei nun bedeutend grösser. «Wir setzen uns aber ganz klar dafür ein, dass die Förderung der Tiergesundheit weitergeht und nicht stillsteht.»

Vorbeugen ist besser als Heilen

Nach einem Jahr Arbeit könne die NTGS aber durchaus ein positives Zwischenfazit ziehen, meint Lukas Perler: «Von allen Seiten ist der Wille da und der Aufwand, den alle betreiben, ist gross.» Vom Willen und von der gemeinsamen Arbeit bis zu einem konkreten Resultat sei es manchmal ein aufwändiger Weg. «Ergebnisse eines solchen gemeinsamen Anlaufes – besonders für mittel- und langfristige Ziele – stellen sich eben nicht sofort und kurzfristig ein», sagt Lukas Perler weiter. Es bedürfe einer grossen Portion Geduld. Das Ziel der Förderung der Tiergesundheit als Ganzes werde aber von allen Partnern gleichermassen begrüsst. Dafür sei beispielsweise die Bestandesmedizin enorm wichtig – dass in der Schweiz noch mehr in die Vorbeugung investiert werde, fordert Lukas Perler: «Das oberste Ziel ist es, die Gesundheit unserer Nutztiere zu erhalten und nicht kranke Tiere therapieren zu müssen.»

Bestandesmedizin
Im Gegensatz zur Einzeltiermedizin fokussiert die Bestandesmedizin auf die Gesundheit einer ganzen Gruppe. Dies können alle Tiere eines Betriebs oder auch nur ausgewählte Tiergruppen, wie beispielsweise laktierende Milchkühe oder Aufzuchtkälber, sein. Das Ziel der Bestandesmedizin ist es, die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der betreffenden Tiergruppe als Ganzes zu verbessern beziehungsweise zu erhalten. Dabei wird die Bestandesmedizin in zwei Teilbereiche unterteilt: Die Bestandesbetreuung und die Bestandesdiagnostik.
Bei der Bestandesbetreuung wird der Bestand mit einem Monitoring eng begleitet, das heisst, der Gesundheits- und Leistungszustand der Tiere wird regelmässig überprüft. Mit gezieltem Management des Betriebes werden die Teilbereiche der Tiergesundheit, wie Fütterung, Fruchtbarkeit, Euter- und Klauengesundheit abgedeckt und so Erkrankungen früh erkannt oder idealerweise vorgebeugt.
Die Bestandesdiagnostik setzt sich mit der Abklärung eines Bestandesproblems auseinander. Treten auf einem Betrieb beispielsweise Probleme mit Fruchtbarkeit, Eutergesundheit oder Stoffwechsel auf, wird das Problem analysiert, Problemlösungsziele definiert und dann eine Strategie erarbeitet, wie diese Ziele erreicht werden können.