Das ungewohnte Online-Format für die Generalversammlung biete die Chance, ein breiteres Publikum als «nur» die Mitglieder von Scienceindustries zu erreichen, erklärte Scienceindustries-Präsident Matthias Leuenberger im Livestream auf Youtube. Entsprechend lud der Wirtschaftsverband verschiedene Persönlichkeiten ein, um über die anstehenden Initiativen zu diskutieren.

Im Gespräch mit Schweizer Syngenta-Kunden auf dem Feld

Eingeladen war neben Bundesrat Guy Parmelin und Klaus Moosmayer von Novartis auch Syngenta-CEO Erik Fyrwald. Er habe im Juli viele Schweizer Landwirtinnen und Landwirte besucht, erzählte Fyrwald. Alle seien ihrer Arbeit «voller Leidenschaft» nachgegangen.  Jedoch habe man ihm auch von den Herausforderungen berichtet: Von Wetterextremen, den Ansprüchen von Abnehmern und Regulationen, die immer mehr wichtige Werkzeuge unverfügbar machten. Einmal habe er bei einem Gemüsebauern gesehen, dass grüne Bohnen nicht richtig gekeimt waren. Darauf angesprochen habe ihm der Bauer erklärt, er habe die Bohnen ohne schützendes Insektizid säen müssen, da das üblicherweise verwendete Pflanzenschutzmittel verboten worden sei. In der Folge hätten Schädlinge sie gefressen, der Ertrag werde um 40 Prozent sinken.

Weniger toxisch und in kleineren Mengen ausgebracht

«So ergeht es nicht nur Schweizer Bauern», meinte der Syngenta-CEO. Er betonte aber auch die Errungenschaften der Agrochemie. So seien heutige Wirkstoffe weniger toxisch und die ausgebrachten Mengen pro Hektaren habe man seit 1950 um 95 Prozent reduzieren können.

Es braucht nach Meinung von Erik Fyrwald einen sorgfältigen Umgang mit verschiedenen Interessen. «Wer aber eine klimaschonende Landwirtschaft will, muss akzeptieren, dass es dazu auch unter Verwendung der neuesten Technologien Herbizide braucht. Wer eine biodiversitätsfreundliche Produktion will, muss die Landwirtschaftsfläche möglichst effizient nutzen.»

«Die Schweiz kann diese Zahlen nicht ignorieren»

Im Folgenden appellierte er an die Verantwortung der Schweiz. Das Land könne die steigenden Zahlen von Menschen, die von Hunger betroffen oder bedroht seien. Genauso wie die Zunahmen und Ausbreitung von Pflanzenkrankheiten und -schädlingen. «Die Schweiz muss ihre guten und fruchtbaren Böden optimal und nachhaltig nutzen», so Erik Fyrwald.

Die grosse Herausforderung der Landwirtschaft bestehe darin, die bisherige Erfolgsgeschichte (steigende Produktion auf gleichbleibender Fläche) weiterzuführen. «Schliesslich müssen bis 2050 60 Prozent mehr Menschen ernährt werden», argumentierte er. «Angemessen regulierte» Innovationen und neue Technologien seien der Schlüssel dazu.

«Verbote ohne wissenschaftliche Basis schaden dem Wohlstand und führen zum Stillstand», schloss Fyrwald mit einer eindringlichen Warnung.

Bessere Produkte durch strenge Regulation

Es sei richtig, um die Umwelt besorgt zu sein, antwortete der Syngenta-CEO auf die Frage, wie der Konzern mit den Sorgen aus der Bevölkerung umgehe. «Auch Syngenta ist sehr besorgt um die Umwelt», versicherte er. Bei der Festlegung sicherer Grenzwerte seien kundige Wissenschaftler am Werk, die den «Safe level» nochmals um den Faktor 100 verringern, um Schäden absolut ausschliessen zu können. Fyrwald verglich das mit einem Sicherheitsabstand im Verkehr: «Wenn man Ihnen sagt, ein Abstand zum nächsten Fahrzeug von 60 Metern sei sicher, entspricht unser Vorgehen einem Sicherheitsabstand von 6 Kilometern.» Der Trend zu nicht-wissenschaftsbasierten Verboten sei gefährlich, weil Ersatzprodukte weniger effizient sein und neue Probleme bringen könnten. Durch strikte Regulationen könne man sicherstellen, dass neue Produkte stets besser würden. 

Es brauche vor allem Überzeugungsarbeit

Bundesrat Guy Parmelin erläuterte seine Ansicht, die grösste Herausforderung in der Agrarpolitik bestünde darin, die Bevölkerung von deren Fortschritt und ihrer guten Richtung zu überzeugen. «Wir müssen zeigen, was bereits erreicht wurde», so Parmelin. In seinem eigen Rebberg habe er in den letzten 20 bis 25 Jahren z. B. die Stickstoffdünger-Menge drastisch auf «praktisch nichts» reduzieren können. Auch Insektizide kämen keine mehr zum Einsatz, stattdessen natürliche Feinde zur Schädlingsbekämpfung.

Die beiden anstehenden Pflanzenschutz-Initiativen bezeichnete der Bundesrat als «hyperkritisch», sie würden unter anderem den Selbstversorgungsgrad reduzieren. 

In Parmelins Büro gibt es kein Mineralwasser mehr

 «Ich habe beschlossen, in meinem Büro nur noch Hahnenwasser zu trinken», schilderte Guy Parmelin weiter. Damit wolle er demonstrieren, dass das Trinkwasser in der Schweiz sauber sei. Innovationen und neue Technologien sieht auch er als wichtig an für den Fortschritt in der Landwirtschaft. «Die Technologien werden immer besser, neue Produkte sind immer besser – und sicher, muss man klar sagen.»

«Man blockiert ja auch nicht die medizinische Forschung»

Scienceindustries-Präsident Matthias Leuenberger betonte zum Schluss, es handle sich eben um PflanzenSCHUTZmittel (PSM). Das sei wie in der Medizin, Pflanzen würden auch krank und müssten behandelt werden «und man blockiert ja auch nicht einfach die medizinische Forschung in der Schweiz», erklärte er. Jede neue Generation von PSM sei per Definition besser und habe weniger «Nebenwirkungen» als die vorherige. Wenn die Hürden für den Pflanzenschutz höher würden, stiege auch die Belastung der Böden und der Umwelt.

Die beiden Pflanzenschutz-Initiativen sind für Leuenberger radikal. «Die Regale bei Coop, Migros oder Denner wären halbleer, weil man auch keine mit Pflanzenschutzmitteln hergestellte Produkte mehr importieren dürfte», warnte er. Es brauche Aufklärungsarbeit, denn er sei überzeugt, dass Schweizer Bürgerinnen und Bürger «richtig» abstimmen werden, wenn sie sich ein vollständiges Bild von den Konsequenzen der Initiativen machen könnten.