Es ist nach wie vor ein Thema, über das nicht einfach so gesprochen wird. Und das, obwohl es die landwirtschaftliche Bevölkerung ganz stark betrifft. Die aktuelle Situation, mit dem medial weit verbreiteten «Bauernbashing», wie es gerne genannt wird, entschärft die Lage kaum. Suizid in der Landwirtschaft betrifft alle. Und was es brauche, sei ein Hinschauen und ein Thematisieren und ganz sicher kein Tabuisieren. Das wurde auch am Donnerstagabend vergangener Woche auf dem Waldhof in Langenthal bestätigt. Der Oberaargauische Bauernverein lud unter Mitwirkung der Emmental Versicherung zu einem Anlass, an dem Andri Kober, Pfarrer und Mediator, referierte.

Zehn ausgebildete Personen im Einsatz

Andri Kober erzählte aus seinem Alltag als Präsident des Bäuerlichen Sorgentelefons. Dieses sei das niederschwelligste Angebot, «wenn einem der Kragen platzt». Zehn dafür ausgebildete Personen mit landwirtschaftlichem Hintergrund, im Alter zwischen 48 und 75 Jahren, nehmen bei dieser Institution Telefonate entgegen. Diese würden alle anonym geführt, und das sei wichtig. Unter den Hilfesuchenden befänden sich 39% Männer und 61% Frauen, erklärt Kober. Unter den Problemen stehen Beziehungsprobleme, zu denen auch Generationenkonflikte zählen, an erster Stelle. Der Mensch sei ein Beziehungswesen und brauche daher ein Du, erklärte der Pfarrer. Fehlende oder gestörte Beziehungsverhältnisse seien daher sehr belastend.

Existenzielle Lebenskrise als Ursache

Dass es zu einem Suizid kommen kann, den Andri Kober übrigens nicht mit dem Begriff Selbstmord gleichsetzt, braucht es eine existenzielle Lebenskrise. Suizid passiere im Affekt. Selbstmord hingegen sei eine generalstabsmässig vorbereitete Tat, die kaum Einflussmöglichkeiten von aussen bietet, erklärt der Pfarrer. Teilweise sei auch eine genetisch bedingte Schwermütigkeit Auslöser, aber einfach so passiere ein Suizid nicht. Es seien Vorboten spürbar oder sichtbar. «Wenn nichts mehr Freude bereitet, dann ist etwas gar nicht mehr gut», sagt der Pfarrer und rät, sollte man im Umfeld solche Stimmungen wahrnehmen, nachzufragen. «Hast du dir schon mal Gedanken zu einem Suizid gemacht», sei einer von möglichen Sätzen, einen Menschen konkret darauf anzusprechen. Mit Aufmerksamkeit und Beziehungsaufnahme könne man einen Menschen «zurückholen», wenn er entsprechende Gedanken hegt.

Bei sich selber hinschauen 

Andri Kober rät zudem, auch bei sich selber und nicht nur bei anderen, hinzuschauen. Dabei steht das Erkennen von Depressionen und Krisen im Vordergrund. Hauptsymptome einer Depression führte Mediator Kober die Folgenden auf: Herabgestimmtheit, die meiste Zeit, fast täglich, mindestens seit zwei Wochen, Interessensverlust, Freudlosigkeit, Aktivitätseinschränkung, Antriebslosigkeit, schnelle Ermüdbarkeit, Müdigkeit. Hat jemand erkannt, dass er sich in einer schwierigen Lebenssituation befindet, ist das Bäuerliche Sorgentelefon eine der möglichen Anlaufstellen. Dort wird nach einem ersten Gespräch auch ein mögliches weiteres Vorgehen besprochen. Denn an Anlaufstellen fehlt es nicht, wie am Anlass wieder einmal aufgezeigt werden konnte.

Das Inforama, das die Räumlichkeiten für die Durchführung des Anlasses in Langenthal zur Verfügung stellte, hat unter der Leitung von Ernst Flückiger ebenfalls ein Angebot, das in Krisensituationen genutzt werden kann. Ernst Flückiger erzählte wie zuvor Andri Kober, wie wichtig es sei, eine mögliche Gefährdung für Suizid zu erkennen und anzusprechen.

Was tun?

«Ich kann nicht mehr», ist ein Satz, den der Coach und Interventionsspezialist immer wieder hört. Oft würden vorgeschobene Probleme geäussert, bis man der Sache nach einem ersten Gespräch dann erst auf die Spur komme. Ernst Flückiger hat es nach jahrelanger Arbeit nun auch geschafft, die Branche nachhaltig auf die Problematik aufmerksam zu machen. So hat erst jüngst eine Tagung stattgefunden, an der Tierärzte zum Thema zusammenkamen. Der Inforama-Coach hat in der Folge zwei Kärtchen kreiert, die als erste Hilfestellung bei Alltagsproblemen dienen. Zum einen handelt es sich um eine Visitenkarte, die sinnvollerweise im Portemonnaie oder in der Handtasche stets mitgetragen wird (siehe Abbildung). Zum anderen handelt es sich um eine Karte, die zu Hause (gut sichtbar) aufbewahrt werden könne mit einer entsprechenden Check-Liste zur Wahrnehmung der eigenen Befindlichkeit und Krisen-Erkennung (siehe Kasten).

Karten im Umlauf

Die Karten sind bereits zum zweiten Mal in Druck. Eine entsprechende Nachfrage bestehe, wie Flückiger ausführte. Sie wurden an Tierärzte und Besamer verteilt, die diese an die Kundschaft, die Bauern, abgeben kann. Zudem sind sie auch am Inforama erhältlich. 

 

Erkennen und Handeln

Das Inforama hat einen Notfallplan erarbeitet. Auf der Karte, die auch bei Tierärzten und Besamern erhältlich ist, sind wichtige Punkte zum Erkennen einer Krise aufgeführt.

Wie ich eine Krise erkenne

Ich schlafe schlecht und habe Mühe, am Morgen aus dem Bett zu kommen. Ich kann mich nicht entspannen, bin oft gereizt. Ich vergesse wichtige Dinge und kann mich schlecht konzentrieren. Meine Kräfte reichen nicht mehr, die täglichen Arbeiten zu erledigen, die Arbeiten werden mir zur Qual. Ich trinke mehr Alkohol als noch vor einigen Monaten. In der Ehe/Partnerschaft ist Sand im Getriebe.

Was ich selbst tun kann

Ich mache pro Halbtag eine kurze Pause und entspanne mich kurz. Ich plane am Vorabend die Tätigkeiten des nächsten Tages und nehme mir bewusst nicht zu viel vor. Mindestens über das Wochenende mache ich bewusst ein paar Stunden frei und tue mir etwas zuliebe. Ich vergleiche mich nicht dauernd mit den Nachbarn und stehe zu mir selber. Ich gehe auf meine beste Kollegin/meinen besten Kollegen zu, der/dem ich vertraue und schildere ihr/ihm meine Not.