Wer weiss schon, welche landwirtschaftlichen Kulturen uns der Klimawandel in Zukunft bescheren wird. Mehr Melonen oder Maniok vielleicht. Ob der in den letzten Jahren erfolgte Einzug der Süsskartoffeln auf Schweizer Äckern bereits eine Folge der tendenziell wärmeren Temperaturen ist, sei hier einmal dahingestellt. Tatsache ist, dass viele Schweizer Bauern in diesem Jahr versuchsweise ein paar Reihen der länglichen Knollen anbauten und diese nun in diesen Wochen ernten.

Keine Nachtschattengewächse

Sie gehören übrigens nicht wie die "normalen" Kartoffeln zu den Nachtschattengewächsen, sondern zur Pflanzenfamilie der Winden und bilden knollenförmige Speicherwurzeln. Die Gemüse-Direktvermarkter haben schon seit längerem gemerkt, dass die Süsskartoffeln bei ihrer Kundschaft gut ankommen.Auch die Grossverteiler führen Süsskartoffeln im Angebot, allerdings kommt der grosse Teil davon aus fernen Ländern wie beispielsweise den USA.

Die Importmengen haben sich seit dem Jahr 2000 mehr als verzehnfacht. Nur rund 15 Prozent des Angebotes komme aus dem Inland, sagt Roman Gander von Coop auf Anfrage. Die Nachfrage nach Schweizer Süsskartoffeln sei aber grösser als das Angebot. Kein Wunder, wittern hier viele Bauern ihre Chance.

Achtung vor Frost

Gepackt hat diese bereits Landwirt Simon van der Veer aus Sutz-Lattrigen BE. Vor ein paar Jahren führten er und sein Schwager Christian Hurni bei ihnen im Berner Seeland erstmals Versuche in kleinerem Rahmen durch. Informationen über den Anbau holten sie sich im Internet vor allem auf amerikanischen Seiten. Der erste Versuch allerdings ging noch in die Hosen, alle Stecklinge waren prompt verfroren: Süsskartoffeln sind extrem kälteempfindlich. Nach dem Motto "Ein Versuch ist kein Versuch", wiederholten die beiden Bauern den Anbau im darauf folgenden Jahr, was schon deutlich besser funktionierte. Mittlerweile verkaufen sie ihre Knollenwinden – wie sie auch genannt werden – unter der eigenen Marke Batati im grossen Stil im Detailhandel.

Doch was braucht es, um ein erfolgreicher Süsskartoffelproduzent zu sein? Sicher eine gewisse Risikobereitschaft. "Die Kultur eignet sich nicht für Bauern, die bereits das erste Gewitter fürchten", sagt van der Veer. Denn nur schon die Kosten für die Setzlinge seien relativ hoch und wirkten auf viele abschreckend. Zudem besteht kein Grenzschutz. Schweizer Süsskartoffeln stehen deshalb im direkten Wettbewerb mit deutlich günstigerer Importware. Man ist voll auf den Goodwill der Konsumenten angewiesen und deren Bereitschaft, die teureren Süsskartoffeln aus der Region zu kaufen. Zurzeit funktioniert das wie erwähnt ganz gut. 

Boom auch in anderen Ländern

Aber was macht den Anbau der Süsskartoffel so speziell? Da ist zum einen eben die bereits erwähnte Frostempfindlichkeit: Sie brauchen während mindestens vier Monaten ausreichend warme Temperaturen. Mittlerweile ist der Anbau dank robusteren Sorten aber auch in Norddeutschland oder Grossbritannien möglich.

Zum anderen ist es relativ schwierig, überhaupt an Pflanzmaterial zu kommen. Denn auch in anderen europäischen Ländern besteht ein Boom nach Süsskartoffeln und die Setzlinge sind knapp und teuer. Die Triebe können auch selbst vermehrt werden. Dazu legt man eine Mutterknolle in eine Substratschicht und lässt sie rund drei Wochen bei Temperaturen um die 20 Grad austreiben. Dann schneidet man die Ranken in 20 bis 25 cm lange Stücke, die zwei Nodien enthalten müssen. Danach werden die Stecklinge etwa eine Woche in Wasser gelegt, bis sie Wurzeln entwickeln und dann in die Dämme - ähnlich wie bei den «normalen» Kartoffeln - gesetzt.

Lizenzierte Sorten

Doch grosse Anbauer und Profis wie Simon van der Veer und Christian Hurni kaufen die Jungpflanzen üblicherweise pflanzfertig in sogenannten kleinen Speedy-Töpfen ein. Damit haben sie die Gewissheit, dass die Qualität stimmt und die Pflanzen nicht mit Viren befallen sind. Bis jetzt blieben die in der Schweizer Agrarlandschaft neuen Süsskartoffeln noch weitgehend von grösseren Krankheiten und Schädlingen verschont, deshalb sind sie auch im biologischen Anbau beliebt.

"Wir müssen mit präventiven Massnahmen wie beispielsweise der Verwendung von zertifizierten, gesunden Jungpflanzen dafür sorgen, dass dies möglichst lange so bleibt", sagt van der Veer. Dass er die Jungpflanzen beim Spezialisten einkauft, hat aber noch einen anderen Grund: Die meisten Süsskartoffeln unterliegen komplizierten Lizenzregelungen, deren Einhaltung der Jungpflanzenhersteller garantiert. "Ich möchte auf keinen Fall Probleme mit amerikanische Anwälten bekommen", sagt van der Veer. Die eigene Vermehrung ist nur bei der einzigen lizenzfreien Sorte Bauregard erlaubt, die in Europa zu den ertragreichsten Süsskartoffelsorten zählt.

Süsskartoffeln mögen in der Schweiz noch Exoten sein. Weltweit gehören sie aber nach den Kartoffeln und Maniok zu den wichtigsten Knollen- und Wurzelkulturen. Mit Abstand grösstes Produktionsland ist China, wo die Süsskartoffel in fast jedem Garten angebaut wird. In der Schweiz werden vor allem Sorten mit orangenfarbiger Schale und Fruchtfleisch angebaut. Besonders beliebt sind Süsskartoffelgerichte an Weihnachten. Allerdings dürften diese Knollen dann bei uns bereits wieder aus fernen Ländern herangekarrt werden. "Wir waren letztes Jahr an Weihnachten bereits ausgeschossen", sagt van der Veer. Dank mehr Anbauflächen sollte es künftig aber möglich sein, zur Weihnachtsgans auch einen Schweizer Süsskartoffelstock zu servieren.

David Eppenberger, lid