Manche Namen des Chörblichruts kann man für bare Münze nehmen: Die Süssdolde oder auch Aniskerbel riecht und schmeckt süss nach Anis, ist ein Doldenblütler und hat gefiederte Blätter ähnlich wie der Kerbel. Damit ist das Chörblichrut vielseitig nutzbar, von der Küche bis zur Arznei.

Süss und herzhaft einsetzbar

Besonders auffällig sind die langen Samen, die im Juni aufrecht auf den Dolden stehen. Sie werden bis zu zwei Zentimeter lang und können im Sommer direkt ab Pflanze gegessen, frisch oder getrocknet, ganz oder gemahlen in Salaten oder Gemüse- und Kartoffelgerichten verwendet werden. Die Blätter landen zum Beispiel in einem Rhabarbergratin, wo sie mit ihrem süssen Geschmack die benötigte Menge Zucker reduzieren können. Das gleiche funktioniert auch mit Konfitüre und Kompott. Die Süssdolde verfeinert Smoothies, Parfaits oder Tortillas. Wie der Anis passt sie zu Kohlgerichten und beugt dort unangenehmen Blähungen vor. Franzosen backen die Blätter wie Holunderblüten in einem Pfannkuchenteig aus. Eichenmöbel werden mit dem Laub des Aniskerbels poliert wieder blank.

Als Wildkraut eingebürgert

Ursprünglich kommt das Chörblichrut aus der Region der Voralpen, Pyrenäen und dem Kaukasus. Es wird auch Römerkraut genannt, da es möglicherweise von den Römern über die Alpen gebracht worden ist. Anderen Quellen zufolge waren es Mönche, die der Süssdolde im Mittelalter den Weg ins Emmental bahnten. Aus den Gärten kam das Kraut in die  Wildnis und etablierte sich dort. Heute gilt es als einheimische Wildpflanze und ziert in kühleren Gegenden und höheren Lagen Weg- und Waldränder, Bachufer, Wiesen und Weiden mit seinen weissen Dolden und federigen Blättern.

Alle Teile der Pflanze sind essbar und haben ein anisartiges Aroma. Die Wurzel auszugraben sollte man sich aber gut überlegen, denn das Chörblichrut ist mehrjährig und kann bis zu
150 Zentimeter gross werden.

 

Einzigartiger Geruch nach Anis

Auf den ersten Blick sehen sich alle Doldenblütler mit weissen Blüten ziemlich ähnlich. Das Chörblichrut
ist allerdings der einzige Vertreter dieser Familie in der Schweiz, der von oben bis unten einen süssen Duft verströmt und nach Anis schmeckt.

Vom weitverbreiteten Wiesenkerbel unterscheidet es sich ausserdem mit seinen grösseren Blättern. Auch die Samen des Chörblichruts sind grösser und ausserdem kantig, während die des Kerbels glatt und etwas kleiner sind.

Wer sensible Haut hat, bei dem kann der Kontakt mit Kerbel-Laub Hautreizungen hervorrufen. Diese Gefahr besteht bei der Süssdolde nicht.

 

Ein altes volkstümliches Heilmittel

Das aus dem frischen Grün der Pflanze destillierte Chörbliwasser ist eine alte volkstümliche Arznei. Seine ätherischen Öle sollen schleimlösend wirken, die Verdauung unterstützen und gegen Blähungen, Bluthochdruck und Husten helfen. Das milchig-weisse Getränk wird pur getrunken, in der Tiermedizin als Umschläge oder Bäder bei Klauenleiden eingesetzt. Es ist sogar ein kulinarisches Erbe der Schweiz. In der Schulmedizin ist die Süssdolde nicht anerkannt, aber die Homöopathie nutzt sie gegen Hämorrhoiden und Krampfadern.

Die Renaissance des Chörblichruts

Heute wird das Chörbliwasser auf etwa zwölf Berner und St. Galler Betrieben hergestellt, die es an einige ausgewählte Apotheken liefern. Dieses Jahr erlebt das Chörblichrut eine Renaissance. Zwei Emmentaler Landwirte pflanzen im Rahmen des Projekts «Perlenkette Emme» die Süssdolde an. Dazu nutzen sie Samen, die aus der Region Lueg-Eggiwil von wilden Pflanzen stammen. Einer der beiden neuen Chörblichrut-Produzenten ist Joel Lehmann aus Eggiwil BE. Er pflegt in der Bergzone I auf dem Schweissberg 120 Pflanzen. «Ich dachte, das würde noch passen», erklärt er sein Engagement für das halbvergessene Kraut. Der Biobauer kultiviert auch andere Kräuter. Ausserdem habe ihn die lange Tradition und die Heilwirkung der Pflanze angesprochen. Noch sind seine Süssdolden etwa 20 Zentimeter gross, die erste richtige Ernte kommt im nächsten Sommer.

Dank der Anstrengungen des Vereins «Perlenkette Emme» tüftelt die Berner Apotheke Ballinari derzeit an einer standardisierten Rezeptur für das Chörbli-
wasser. Ausserdem wird die Firma Studer und Co. in Escholzmatt BE bald einen Schnaps aus Süssdoldenblättern herstellen.

Unkompliziert zu Hause

Man muss keine Destillerie zu Hause haben, um von diesem traditionsreichen Kraut zu profitieren; Das Chörblichrut ist anspruchslos und wächst in einem Topf auf dem Balkon oder an einem sonnigen bis halbschattigen Platz im Garten. Ein Topf sollte ausreichend gross sein um Platz zu bieten für die lange Pfahlwurzel. Ob als Samen oder Blatt, die Verwendung der Süssdolde ist unkompliziert: Einfach wie Kresse aufs Butterbrot oder als Gaumenfreude auf einem Spaziergang von der Pflanze geklaubt (zu Verwechslungsmöglichkeiten siehe Kasten) – der süsse Anisgeschmack erfrischt.