Rund 150 Interessierte haben am Inforama Zollikofen an einer Diskussionsveranstaltung zum Thema "Sündenbock Landwirtschaft - Kommunizieren und Argumentieren" teilgenommen. Ganz nach dem Motto des Veranstalters "wo Zukunft wächst" suchten 70 Studierende des Bildungsganges Agrotechniker/in HF und 80 weitere Teilnehmende Antworten, wie die Landwirtschaft neue Wege zur Gesellschaft finden und wie der gemeinsame Dialog gefördert werden könnte.

Dem Alptraum Bauer sein ein Ende setzen

Kaspar Grünig, Leiter Fachbereich Höhere Berufsbildung am Inforama, zitierte zum Start einen Betriebsleiter, der ihm gegenüber sagte, dass er seinen Betrieb nicht an einen Nachfolger übergeben werde. Er wolle dem Alptraum ein Ende setzen, in der Öffentlichkeit  als Verursacher von Bienen- und Insektensterben oder Brunnenvergifter angeklagt zu werden. Wie Bauernfamilien mit der öffentlichen Kritik umgehen können, war eine Frage, die den ganzen Abend prägte.

Zum Einstieg hielten drei Redner kurze Inputreferate, dann startete der Austausch in Gruppen im Publikum und mit dem Podium. Jürg Jordi, bis 2019 Pressechef beim Bundesamt für Landwirtschaft (BLW), befasste sich mit "Agieren, reagieren, argumentieren in Gesprächen mit kritischen Fragen". Fritz Rothen, Geschäftsführer IP-Suisse zeigte das Bild der Landwirtschaft in der Kommunikation aus Sicht der Labelorganisation IP-Suisse auf und Ueli Schmezer, Moderator Kassensturz SRF, forderte den bis auf den letzten Platz gefüllten grossen Saal zum "Umgang der Landwirtschaft mit Kritik" heraus.

 

 

Bauer mit Doppelrad sucht Gespräch

Landwirt Fred Grunder aus Belp schilderte eine Begegnung mit zwei Konsumentinnen, die ihn am Feldrand zur Rede stellen wollten, weil er für die Bewirtschaftung seines Feldes am Traktor Doppelräder montierte, um die Bodenbelastung zu reduzieren. Die Passantinnen ahnten das Gegenteil und beschwerten sich über das schwere Gefährt, das den Acker belaste. Grunder ging auf sie zu und erklärte ihnen den Sachverhalt. In diesem Sinne riet er seinen Berufskollegen, auf die Konsumenten zuzugehen und die vielen Gelegenheiten des direkten Gesprächs bei persönlichen Begegnungen zu nutzen.

 

 

Lobbyisten setzen BLW unter Druck

Jürg Jordi betonte, es gebe immer weniger Landwirtschaftsspezialisten unter den Journalisten, zudem hätten sie immer weniger Zeit, Themen zu recherchieren und zu verarbeiten. Das wirke sich mehrheitlich nicht positiv auf die Berichterstattung aus. An den Beispielen der Pressearbeit zu den Themen Herkunftsschutz für Raclette AOP, Landschaftsqualitätsbeiträge und Glyphosat erläuterte Jordi die Rolle der Medien und des BLW. Kommunikation müsse bei anspruchsvollen Prozessen von Anfang an mit einbezogen werden, Argumentarien verständlich sein und taktische Spiele müssten durchschaut werden, riet der langjährige BLW-Pressechef. Wenn Interessengruppen aus Tier- oder Naturschutz mit Briefen an das BLW gelangten sei es vorgekommen, dass zwei Stunden nach Eintreffen eines Briefes bereits Journalisten anriefen und eine Stellungnahme dazu verlangten. Dies weil die Inhalte dieser Briefe von den Organisationen direkt auch einzelnen Journalisten gesteckt wurden und diese dann einen Primeur witterten. Jordi unterstrich, dass sich landwirtschaftliche Themen bestens eigneten, um Aufmerksamkeit zu generieren und Empörung zu bewirtschaften. Er sieht aber auch Chancen für die Branche: Sie könne von der Aufmerksamkeit für Landwirtschaftsthemen profitieren, wenn sie offen damit umgehe, sogar wenn die Berichte kritisch daherkämen.

Überforderung der Konsumenten

Für IP-Suisse-Chef Fritz Rothen sind die Konsumenten und Mitglieder die wichtigsten Zielgruppen seiner Kommunikationsbemühungen. Für ihn ist es zentral, immer authentisch und ehrlich zu sein und in der Krisenkommunikation rasch und transparent zu kommunizieren. Rothen stellte fest, dass "viele Konsumentinnen und Konsumenten schlicht überfordert sind". Einerseits weil Themen komplex seien und Medien widersprüchlich berichteten. Andererseits weil die Landwirtschaft nicht oder zu spät reagiere und dadurch Vertrauen verspiele.

 

 

Eine exponierte Branche

Ueli Schmezer ist seit 24 Jahren das Gesicht der Konsumentensendung Kassensturz beim Schweizer Fernsehen SRF. Er warb für einen souveränen Umgang mit Kritik. Oft sei es für ihn schwierig, die richtigen Experten für anspruchsvolle Themen der Land- und Ernährungswirtschaft zu finden. Für ihn als Journalist sei es das Schlimmste, zu vernehmen, dass an einem Bericht etwas nicht stimme, betonte Schmezer. Bei einer Sendung dürfe nichts Wesentliches für das Verständnis eines Themas fehlen. Berechtigte Kritik soll, wenn sie wahr sei, in den Medien angebracht werden. Ueli Schmezer betonte, der Bauernverband habe gute Rhetoriker in seinen Reihen, die manchmal über Dinge redeten, die nicht gefragt seien und dadurch vom Thema ablenkten. Da müsse er als Journalist nachfassen.

Kritik als Motor für Fortschritt

Er gebe sich im Kassensturz immer grosse Mühe, dass alles stimme und die geäusserte Kritik in einer Sendung gerechtfertigt sei. Kritik sei für ihn der Motor, etwas besser zu machen. "Unser Publikum sind eure Kunden", rief er in den grossen Rütti-Saal. Diese ernst zu nehmen und auch die vorgebrachte Kritik nicht abzulehnen sei ein Gebot der Stunde für die Landwirtschaft. Die Kritikkultur der Branche müsse verbessert werden, ist der Fernsehmoderator überzeugt. Und er gab auch seine Ratschläge, wie das gemacht werden sollte. Seine Checkliste lautet: "Cool bleiben / Nicht persönlich nehmen / Was wird kritisiert? / Nachfragen / Berechtigt? Ehrlich! / Fehler zugeben / Inhaltlich ergänzen / Missstand beheben und dann Üben und ernst nehmen."

Aufbruch statt Abwehr

Für Schmezer macht die Landwirtschaft oft auf Druck hin bloss kleine Schrittchen, sei aber zu wenig aktiv und mutig, um aus Kritik aktiv zu lernen oder Neues zu wagen. Natürlich sei die heutige Welt komplex und anspruchsvoll, aber das sei nicht nur in der Landwirtschaft so. Deshalb sei es für die Konsumenten schwierig, überall dran zu bleiben. Aber solange die Lebensmittelregale voll seien und die Landschaft gepflegt werde, sähen viele Konsumenten wenig Anlass, sich aktiv mit der Landwirtschaft zu auseinanderzusetzen.