Die Corona Krise bewirkte ein frisches Bewusstsein für Schweizer Lebensmittel. Hofläden bekamen viele neue Kunden. Könnte ein näherer Bezug zur Nahrungsmittelproduktion nachhaltig eine Veränderung im Essverhalten und der Beziehung zur Ernährung bewirken? Ein Besuch bei der Bioloca Gemüse Kooperative in Neuhausen SH und bei der Bezügerin einer Gemüsekiste der Stiftung Altra könnte Mut machen.

Solidarische Landwirtschaft liegt im Trend

Bioloca ist eine von gut 60 Gemüse Kooperativen in der Schweiz. Die Tendenz solcher, nach dem Prinzip der Solidarischen Landwirtschaft (Solawi - oder in der Romandie FRACP) geführten Betriebe, steigt. Durchschnittlich haben die Kooperativen etwa 200 Mitglieder. Auf dem Betrieb von Bio-Demeter Landwirt Roland Weber werden auf 0.7 Hektaren 80 Gemüsesorten angebaut. Bearbeitet wird die Fläche mit Hilfe der 66 Mitglieder und zwei, zusammen zu 80 Prozent angestellten Gärtnerinnen. Die Mitglieder bezahlen einen Jahresbeitrag welcher je nach gewünschter Anzahl von Arbeitseinsätzen höher oder tiefer angelegt ist. Die meisten Mitglieder verpflichten sich zu einem Minimum von acht halbtägigen Einsätze pro Jahr. «Die Mitglieder schätzen es sehr, dass sie mitbekommen, wie ihre Nahrungsmittel wachsen», sagt Nora Winzeler, die Präsidentin von Bioloca.

Die Ernte wird unter den Mitgliedern aufgeteilt

Ausser in den Weihnachtsferien wird die Ernte jede Woche in 66 grosse Taschen verteilt. «Die Mitglieder bekommen das, was wir anbauen. Wir kaufen nichts dazu», erklärt Nora Winzeler. Kohlrabi haben manchmal Risse oder Flecken. «Wenn die Mitglieder eine Tasche entgegennehmen, können sie abschätzen was dahintersteht. Sie sind toleranter, wenn das Gemüse nicht so perfekt aussieht». Die Präsidentin stellt noch fest: «Wenn wir die Ernte der Woche ausstellen würden zum Auslesen, würde es nicht funktionieren». Im Winter gibt es vorwiegend Wintersalate, Kohlarten und Lagergemüse vom Landwirtschaftsbetrieb. Dafür ist im Hochsommer die Tasche nebst dem Feldgemüse prall gefüllt mit verschiedenen Sorten Tomaten, Gurken, Auberginen und Peperoni.

Das Essen, was auf den Tisch kommt, wird vielseitiger

Es ist Einsatztag. Fünf Bioloca Mitglieder diskutieren engagiert während der Znünipause. Sie sind sich einig: Seit sie Mitglieder sind, essen sie vielseitiger. «Wir haben neue Gemüsesorten kennengelernt. Vorher hatten wir immer so das gleiche gekauft», sagt die Abonnentin Peppina Livers. «Wir lernten, vielseitiger zu kochen», so Livers weiter. Sie schätzt es, genau zu wissen was in den Brei für ihr Baby kommt. Ihr Partner Cyrill Kern fügt hinzu: «Die Gemüsetasche gibt den Takt für das Essen an». Nur das zu Essen und zu Kochen, was in der Tasche ist, kann eine Herausforderung sein.  «Es ist halt nicht das Verwöhnte ‘Ich kann alles haben’», sagt Peppina Livers. «Manchmal hat es viel von etwas, dass einem nicht so passt». Müjgan Ötzunali, die erst beim Corona-Lockdown Mitglied wurde sagt «Die Mitarbeit schafft mehr Bewusstsein für die Wertschöpfung von Gemüse». Für alle ist klar, das Wegwerfen von Gemüse ist ein Tabu. «Man hat Respekt. Das Gemüse wurde von meinen Kollegen und Kolleginnen mit viel Liebe und Mühe angezogen, geerntet und abgepackt», sagt Solawi-Mitglied Kathrin Frey. Bioloca Mitglieder helfen bei der Kartoffelernte des Landwirts oder im seinem Erdbeerfeld. Meistens sind an Einsatztagen auch Kinder dabei. «Die nächste Generation wächst mit einem anderen Verständnis zu Nahrungsmitteln auf», ist sich Kathrin Frey sicher und steht auf. Die Pause ist vorbei, Jäten ist wieder angesagt.

Ein neuer Bezug zur Saisonalität entwickelt sich

Auch bei Martina Salathé wird wöchentlich eine Kiste frisches Obst und Gemüse von der Stiftung Altra aus Neuhausen SH an die Tür geliefert. Die Gemüsekiste bringt  bei Familie Salathé ebenfalls mehr Vielfalt auf den Tisch. «Ich probiere Sachen aus, die ich vorher nicht kannte», sagt Martina Salathé. «Im Laden kaufte ich keine Knollensellerie und schon gar keine Schwarzwurzeln». Ihr Mann Patric sagt dazu: «Wir bekamen einen neuen Bezug zur Saisonalität. Du bekommst drei- oder viermal Krautstiel und merkst, aha, jetzt ist Krautstiel Saison. Dann musst du eben überlegen, was machen wir damit». Auch bei Salathés wird möglichst nichts weggeworfen. «Nahrungsmittel haben eine Geschichte. Auch in der Grossproduktion sind sie für uns gewachsen», ist Martina Salathé überzeugt. Anders als bei den Gemüsetaschen von Bioloca, gibt es nicht nur immer saisonales, sondern im Winter auch mal Bananen oder Orangen. Die Inhaltsmenge wird vom Wert der Produkte bestimmt (die Kiste kostet Fr. 34 pro Woche) und es gibt keinen direkten Bezug zum Anbau.

Intensives Aroma bei feldfrischem Obst und Gemüse

Und die Qualität? Martina Salathe behauptet: «Ruebli von der Gemüsekiste haben ein viel intensiveres Aroma als vom Laden». Dazu ein Bioloca Mitglied: «Kaufen wir einmal etwas im Laden, weil wir es noch nicht auf dem Feld haben, sind wir dann meist doch enttäuscht.»

 

Zwischen der BauernZeitung und «Agri» findet ein Artikeltausch zum Thema Regionalität in der Ernährung statt. In der Ausgabe vom 27. Juli erscheint der zweite Teil zum Label «Fourchette verte».

 

 

Der Schweizerische Bäuerinnen- und Landfrauenverein unterstützt die folgenden beiden Projekte im Kampf gegen Foodwaste: