Wer durch die Hintertür des Unverpackt-Ladens «Pfünderli» in Widen AG geht, betritt die Grossküche der Tofurei Engel. Pfannendeckel klappern, man hört Wasser spritzen und überall sind Mitarbeitende unterwegs. Sie arbeiten rasch, aber ohne dass in dem grossen Raum Hektik aufkommt. In der feucht-warmen Luft liegt der unverwechselbare Geruch nach Tofu. Spätestens vor dem grossen Trog mit gerinnendem Sojapüree wird klar: der Einsatz von Maschinen ist auf ein Minimum beschränkt; gerührt wird von Hand.

Philosophie am Löffel

«Die Rührtechnik ist sehr wichtig», erklärte Noemi Kündig. Sie führte die Teilnehmenden des Kurses zur handwerklichen Verarbeitung von Soja des Forschungsinstituts für biologischen Landbau FiBL Mitte November durch den Betrieb. Weil bei der Tofurei Engel auf Handwerk gesetzt wird, kommt es auch auf jeden einzelnen Mitarbeitenden an. «Das ist nicht so, wie wenn man einfach einen Knopf drücken kann und eine Maschine macht den Rest», so Kündig. Es gebe auch unterschiedliche Rührtechniken: Manche machten es wie beim Fondue und zögen den grossen Löffel in einer 8-förmigen Bahn, während andere mit oder gegen den Uhrzeigersinn arbeiteten.

Anfänge in der Waschküche

Die Tofurei Engel kann auf langjährige Erfahrung bauen. 1982 wurde die Genossenschaft gegründet und in den letzten über 30 Jahren hat sie sich stetig weiterentwickelt. 2017 bezog die Tofurei einen Neubau in Widen und damit zum ersten Mal ein Gebäude, das auf den Betrieb zugeschnitten wurde. Schliesslich hatte die Tofurei ihre Anfänge erst in einer Waschküche und später im Keller des Gasthofs Engel in Ottenbach ZH, der der Genossenschaft ihren Namen gab. Seit diesem Jahr übernehmen vier junge Leute die Leitung des Unternehmens gemeinsam.

Alle machen alles

Pro Woche verarbeiten die 17 Mitarbeitenden rund 800 kg Sojabohnen zu zirka 1,3 Tonnen verkaufsfertigem Tofu.  Alle Genossenschafter(innen) sind entweder aktuelle oder ehemalige Mitarbeitende. Bei der Herstellung legt man laut Noemi Kündig Wert darauf, dass jede Person alle Arbeitsschritte kennt und ausführen kann.

«Wir sind ein sehr idealistischer Betrieb», stellte Kündig fest, als sie die Statuten der Genossenschaft vorstellte. Bei der Tofurei Engel werden Entscheidungen kollektiv getroffen, verarbeitet werden – bis auf Kombu-Algen- ausschliesslich biologische Produkte. Ausserdem ist die Selbstverwaltung verankert. Um von Banken unabhängig zu sein, finanzierte man sich über private Darlehen aus dem Familien- und Bekanntenkreis der Genossenschaft.

Italienische Sojabohnen

Auch die Förderung des Anbaus von Biosoja in der Schweiz steht in den Statuten. «Dazu muss man bedenken, dass zur Gründungszeit praktisch noch kein Schweizer oder europäisches Soja verfügbar war», so Kündig. Die Tofurei Engel bezieht ihre Sojabohnen heute von einem 500 ha grossen Betrieb in Italien, in der Nähe von Venedig. Dort wird die Sojaernte getrocknet, gereinigt und abgepackt, ohne dass die Bohnen den Hof verlassen. «Mit dem Umzug, der neuen Geschäftsleitung und dem starken Wachstum der letzten Jahre konnten wir nicht auch noch den Produzenten wechseln», erklärte die Co-Geschäftsleiterin. Zumal die Qualität und Menge konstant und gut sei. «In Zukunft könnten wir uns aber zum Beispiel eine eigene Produkt-Linie mit Schweizer Soja vorstellen», ergänzte sie.

Schonende Verarbeitung

Während sich der Standort und das wirtschaftliche Umfeld der Tofurei änderten, blieb die Herstellung grundsätzlich gleich. Der japanischen Tradition folgend, wird Engel-Tofu schonend produziert. «Das heisst, wir verwenden keine Druckkochtöpfe, keine Zusatzstoffe und vermeiden Food Waste wo möglich», führte Noemi Kündig aus. In neun Schritten werden so Sojabohnen zu Tofu:

  1. Bohnen einweichen (über Nacht)
  2. Pürieren in einer kleinen Mühle (Selbstanfertigung)
  3. In Wasser kochen (schonend, das heisst nicht sprudelnd)
  4. Sieben und Auspressen (es entstehen Sojadrink und Okara)
  5. Gerinnen (mit Nigari, hier ist die Rührtechnik wichtig)
  6. Molke abschöpfen
  7. Pressen des Proteinanteils
  8. Schneiden der Blöcke (von Hand)
  9. Abkühlen und Verpacken (von Hand)

Der Prozess ähnelt teilweise dem Käserhandwerk, allerdings kommt als Gerinnungsmittel nicht Lab, sondern Nigari zum Einsatz. Dabei handelt es sich um Magnesiumchlorid, einem Bestandteil von Meersalz. Die Genossenschaft Engel verwendet japanisches Nigari. 

Okara bleibt als Nebenprodukt fast ungenutzt

«Die Maschinen sind teuer, daher haben wir wo möglich Occasionen eingesetzt», so Noemi Kündig. Manches sind auch Spezialanfertigungen eines Schlossers, Presstücher und Säcke nähen die Genossenschafter(innen) selbst. Okara fällt in etwa gleich viel an, wie Tofu entsteht. «Eigentlich wäre es auch für die menschliche Ernährung geeignet, wir verkaufen aber nur einen Bruchteil davon.» Das Meiste lande in der Schweinemast oder in Biogasanlagen. Der Blick nach
Japan stimme sie aber zuversichtlich: «Dort wird Okara verschiedentlich verarbeitet und gegessen. Bei uns ist es einfach noch nicht so bekannt». Auch die Molke würde man bei Engel eigentlich gerne nutzen, es fehlt aber an der Möglichkeit zur Sammlung und Reinigung. Auch Sojadrink wird zu einem kleinen Teil direkt im Pfünderli verkauft (der Hauptteil zu Tofu verarbeitet).

Tofu macht die Hälfte des Umsatzes der Genossenschaft aus, gefolgt von Seitan (ein Produkt aus Weizenklebereiweiss, 25%) und weiterverarbeitetem Tofu (etwa marinierte Spiessli, 20%). Die wichtigsten Abnehmer sind Gastrounternehmen, Verteiler sowie kleinere Läden und Grosskunden (allen voran Tibits).