Der Verlust an Kulturland dauert an.» Das schreibt der Bundesrat in der Botschaft zur zweiten Etappe der Revision des Raumplanungsgesetzes RPG 2, die er im Oktober 2018 veröffentlicht hat. «Grund für diese Rückgang sind die zunehmende Verstädterung und die Ausbreitung des Waldes», schreibt der Schweizer Bauernverband (SBV) auf seiner Webseite. Der Bauernverband rechnet ausserdem vor, dass jede Sekunde 0,87 Quadratmeter Land verloren gehen. Pro Jahr sind das über 2700 Hektaren. Zum Vergleich: Der Brienzersee im Berner Oberland ist 2981 Hektar gross.

Gebaut wird dabei vor allem auf Kulturland: Zwei von drei Häusern, die zwischen 1985 und 2009 gebaut wurden, stehen nämlich dort, wo einst Äcker und Naturwiesen waren. Knapp 90 Prozent der neuen Siedlungsflächen werden auf Landwirtschaftsflächen gebaut.

Strengere Regeln, um das Kulturland zu schützen

Um das Kulturland zu schützen, will der Bundesrat deshalb mit der zweiten Etappe des Raumplanungsgesetzes das Bauen ausserhalb der Bauzonen mit strengeren Auflagen einschränken.

Wirklich zufrieden ist mit den Vorschlägen niemand – weder die Wirtschaft noch die Umweltverbände. So wählte Markus Ritter im Februar 2019 klare Worte: Der Bund verdiene für die Botschaft für die zweite Etappe der Revision des Raumplanungsgesetzes die «dunkelrote Karte». Der Vorschlag sei in dieser Form «unausgereift, praxisfremd, teils radikal, schädlich und gar landwirtschaftsfeindlich», so der oberste Schweizer Landwirt an der Sitzung der Landwirtschaftskammer in Bern.

Anders sehen das die Umweltverbände Pro Natura, BirdLife Schweiz, die Stiftung Landschaftsschutz und der Schweizer Heimatschutz. Aus ihrer Sicht sind die Vorschläge des Bundesrates unzureichend und gefährlich.

Der Unmut ist so gross, dass die Verbände eine Volksinitiative vorbereiten. Man will nichts weniger, als die Trennung von Bau- und Nichtbaugebiet sicherstellen und dafür sorgen, dass die Zahl der Gebäude und der Flächenverbrauch künftig nicht mehr zunehmen.

Wie weit soll der Staat ins Leben der Bürgerinnen eingreifen?

Das Stellungsspiel zwischen den verschiedenen Verbänden ist die letzte Episode in einer bald 150 Jahren dauernden Auseinandersetzung. Im Kern geht es um die Frage, wie weit der Staat in das Leben seiner Bürgerinnen und Bürger eingreifen soll – und wie weit er eingreifen muss, um die Ressourcen für die nachfolgenden Generationen zu schützen.

Um eine lange Geschichte kurz zu fassen: Seit 1969 hat der Bund den Auftrag, die Grundsätze der Raumplanung festzulegen, die von den Kantonen umgesetzt werden müssen. Die Raumplanung dient laut Artikel 75 der Bundesverfassung der zweckmässigen und haushälterischen Nutzung des Bodens und der «geordnete Besiedelung des Landes.» Elf Jahre nach dem Verfassungsartikel folgte das Bundesgesetz über die Raumplanung. Seither gilt, dass Bund, Kantone und Gemeinden dafür sorgen, dass der Boden haushälterisch genutzt werden soll.

Auch die Fachleute haben den Überblick längst verloren

Seit 1995 wurden am bestehenden Raumplanungsgesetz immer wieder Änderungen vorgenommen. Die Konsequenz daraus: Selbst die Fachmänner und -Frauen haben den Überblick über die verschiedenen gesetzlichen Vorgaben abhanden gekommen.

Es brauchte den Druck der Strasse: 2008 war es die Landschaftsinitiative, die den Bundesrat dazu anregte, eine Totalrevision des Raumplanungsgesetzes in Erwägung zu ziehen. Aus der Totalrevision wurde aber nichts. Am 21. Oktober 2009 und nach den Rückmeldungen aus den Kantonen beschloss man, «von einer Totalrevision Abstand zu nehmen und das RPG in zwei Etappen zu revidieren.»

Die Kantone überarbeiten seit fünf Jahren ihre Richtpläne …

Mit der ersten Etappe wurde die «Förderung der Siedlungsentwicklung nach innen und die Reduktion überdimensionierter Bauzonen» angestrebt. Dem Vorhaben stimmte das Volk im März 2013 mit 62,9 Prozent zu.

Seit dem 1. Mai 2014 sind die Kantone nun damit beschäftigt, ihre kantonalen Richtpläne zu überarbeiten und die Nutzungsplanung anzupassen. Schon beim RPG 1 wusste der Bund, dass es auch über den Bereich der Siedlungsentwicklung hinaus zusätzlichen Handlungsbedarf gibt: nämlich beim Bauen ausserhalb der Bauzonen.

... und haben keine Ressourcen für weitere Auseinandersetzungen

Nachdem RPG 1 in die Umsetzung ging, begann der Bund 2014 mit den Arbeiten am RPG 2 und stellte schnell fest, dass es etwas schwieriger werden könnte.

Schon bei den Vor-Konsultationen signalisierten die Kantone, dass sie aufgrund der Arbeiten für RPG 1 kaum Ressourcen hätten, sich mit dem Vor-Entwurf von RPG 2 auseinandersetzen zu können. Als dann das UVEK im Dezember 2014 die Vernehmlassung eröffnete, fielen die Stellungnahmen vernichtend aus: Mit Ausnahme von Basel Stadt haben alle Kantone, die FDP, die SVP und die grossen Wirtschaftsverbände die Vorlage abgelehnt.

Die Vorschläge des Bundes stossen auf wenig Gegenliebe

Die Zusammenfassung in der Auswertung der Vernehmlassung liest sich wie eine Ohrfeige für den Bund: «Insbesondere wurde kritisiert, für die vorgeschlagenen Änderungen bestehe kein ausgewiesener Bedarf, die Vorlage enthalte eine Fülle von Einzelanliegen, jedoch keine übergeordnete Strategie, sie sei zu detailliert, entspreche nicht dem Charakter des Raumplanungsgesetzes als Rahmengesetz und messe den Anliegen der Wirtschaft zu wenig Gewicht bei.»

Im Dezember 2015 beschloss der Bundesrat dann, insbesondere den Themenbereich Bauen ausserhalb der Bauzone zu vertiefen. Erneut eröffnete das UVEK im Sommer 2017 ein verkürztes Vernehmlassungsverfahren. Und wiederum waren die Rückmeldungen «kritisch bis ablehnend», heisst es in der dazugehörigen Auswertung.

Der Bund wagt den Hosenlupf und übergibt RPG 2 ans Parlament

Die Ansprechpartner «attestierten der Vorlage einen hohen Reifegrad. Gleichwohl stellten insbesondere die Wirtschaftsverbände die Notwendigkeit der Vorlage weiterhin in Frage, während bei den Umweltverbänden eine gewisse Skepsis gegenüber der mit dem Planungs- und Kompensationsansatz ermöglichten Flexibilität beim Bauen ausserhalb der Bauzonen bestehen blieb», heisst es im Auswertungsbericht zur zweiten Runde.

Der Bund beschloss, den Hosenlupf zu wagen und überwies die Botschaft am 31. Oktober 2018 an das Parlament.

Die Ansprüche an den Boden sind unterschiedlich

Die Kritik der Landwirte zeigt exemplarisch, warum es mit dem Raumplanungsgesetz – wenn überhaupt – langsam vorwärts geht: Die Ansprüche, die an den Boden gestellt werden, sind unterschiedlich.

Einerseits will man gesunde Böden für die Produktion vonLebensmittel. Andererseits schreibt der Schweizer Bauernverband im Argumentarium für das Nicht-Eintreten auf das RPG 2: «Die Tierhaltung gehört auf die Bauernhöfe.»

Ähnlich sieht es Hansuli Huber, der langjährige Geschäftsführer des Schweizer Tierschutzes (STS): Tierwohl und Tiergesundheit riefen danach, dass Wohnhaus und Stall möglichst nahe beieinander lägen, schrieb er in einem Gastbeitrag in der «BauernZeitung».