Es ist kühl in dem kleinen Raum mit den vielen Regalen, im Hintergrund surrt leise eine Klimaanlage. Am Boden ein paar Kisten mit getrockneten Blütenständen, die von Weitem an kleine Igel erinnern. Es sind Lauchblüten, die auf ihre Verarbeitung warten. Ihre Samen werden fein erlesen und landen wie alle anderen Samen in diesem Raum, verpackt in braune Papiertütchen in einem der vielen Gestelle.

In der Samenbibliothek am Hauptsitz von Pro Specie Rara in Basel  lagern Samen von etwa 1700 Kulturpflanzen-Sorten. Seit neun Jahren ist Mira Langenegger verantwortlich für diese Bibliothek der besonderen Art. Sie ist sozusagen die Hüterin der sortenreinen Kulturpflanzen in der Schweiz. "Hier drin herrschen konstant 15 Grad und die Luftfeuchtigkeit beträgt 15 Prozent. Das ist für die mittelfristige Lagerung fast aller Samen ideal", sagt Langenegger.

Kulturpflanzen mit Bezug zur Schweiz

Alle Samen, die bei Pro Specie Rara angeliefert werden, kommen als erstes ins "Labor". Ein unauffälliger Raum, in dem das Saatgut kontrolliert und gereinigt wird. Hier steht auch eines der wichtigsten Arbeitsinstrumente der Bibliotheksleiterin: Ein Computer, mit dem auf die umfangreiche Datenbank von Pro Specie Rara zugegriffen werden kann. Vor zwei Jahren ist sie komplett neu aufgebaut worden und umfasst jetzt den gesamten Pflanzenbereich von Pro Specie Rara - von Blumen über Gemüse bis hin zu Obst und Beeren.

In die Datenbank kommen beispielsweise Bilder der Pflanzen oder auch Notizen zu deren Geschichte und Eigenschaften. Auch wer die Sorte abgegeben oder eingeschickt hat, wird vermerkt. "Wenn zum Beispiel jemand eine seltene Bohnensorte vorbeibringt, möchte ich gerne wissen, wie lange diese Sorte in dieser Familie schon kultiviert wird und falls noch eruierbar, wo sie ursprünglich herkam", sagt Langenegger. Denn viele Sorten werden von Generation zu Generation weitergegeben - insbesondere, wenn in der Familie ein klassischer Bauerngarten vorhanden ist.

Eingelagert werden vor allem Samen von Kulturpflanzen-Sorten mit einem gewissen Bezug zur Schweiz. So stammen Bohnen, Kartoffeln und Tomaten zwar alle ursprünglich aus Südamerika, werden in der Schweiz aber schon seit Jahrhunderten genutzt und so sind entsprechend viele Sorten erst hier entstanden. Diese Vielfalt, die heute von wenigen Standardsorten bedrängt wird, soll ihren Weg in die Samenbibliothek finden.

 

Kurzgeschichte der Samenbibliothek

1991: Schaffung der Samenbibliothek von Pro Specie Rara in St. Gallen
1994: Umzug der Samenbibliothek nach Kölliken AG
1994: Die Schweiz ratifiziert die Biodiversitätskonvention von Rio de Janeiro. Dies hat die systematische Erfassung des Saatgutes in einer Datenbank zur Folge.
1999: Umzug der Samenbibliothek nach Aarau
2012: Die Stiftung Pro Specie Rara bezieht ihren heutigen Hauptsitz in den Merian-Gärten in Basel. Auch die Samenbibliothek zieht mit.

Die Samenbibliothek wird von der Hauser-Stiftung in Weggis finanziell unterstützt.

Weitere Informationen: www.prospecierara.ch

Auch wer in der Stadt lebt, kann mitwirken: www.stadt-tomaten.ch

 

Eine lebendige Bibliothek

Nachdem das Saatgut abgegeben ist und die Angaben dazu ins System eingelesen worden sind, sät Mira Langenegger die Sorte zuerst selber aus, um zu sehen wie der Wuchs ausfällt und um die Sorte beurteilen und beschreiben zu können. Nicht jede Sorte kann in die Erhaltung aufgenommen werden. Manchmal ist das Saatgut zu alt und nicht mehr keimfähig oder die Pflanzen zeigen nur noch eine geringe Vitalität, beispielsweise weil der Inzuchtgrad zu hoch ist. "Dann können wir diese Sorte leider nicht weiterverfolgen", sagt Mira Langenegger, die vor allem auf der Suche nach sortenreinen, offen abblühenden Sorten ist.

Heutzutage eine schwierige Aufgabe, da bei manchen Arten fast nur noch Hybridsorten auf dem Markt sind, welche nicht selbst vermehrt und nachgezogen werden können. "Schön wäre, wenn Züchter, die Ihre Arbeit aufgeben müssen, ihre Sorten an uns weitergeben würden oder auch Saatguthändler, die Sorten aus ihrem Sortiment streichen. Doch leider kommt dies bisher nur selten vor", sagt die Pflanzenexpertin.

Regelmässige Aussaat

"Anders als bei der Langzeitlagerung der meisten Genbanken, wird unser Saatgut regelmässig ausgesät, um frisches Saatgut daraus zu gewinnen und dieses wieder einlagern zu können", so Langenegger. Nur dank vielen fleissigen, freiwilligen "Sortenbetreuern" ist es möglich, das Saatgut der 1700 Sorten immer wieder zu erneuern. Die Sortenbetreuer werden von Pro Specie Rara in Samenbaukursen gezielt geschult, damit das gelieferte Saatgut in optimalem Zustand in der Samenbibliothek eintrifft. Wer sich interessiert, Sortenbetreuer zu werden, erhält zuerst einmal ein Probierset mit zwei einfach zu vermehrenden Sorten. "So sieht man, ob die Tätigkeit einem zusagt", sagt Langenegger.

Ist man motiviert, sich künftig der Sortenerhaltung zu widmen, lernt man im Samenbaukurs das dazu nötige Wissen, also zum Beispiel wie die genetische Breite erhalten werden kann. Denn in Anbetracht klimatischer Veränderungen oder neuer Schädlinge ist es wichtig, dass eine möglichst breite genetische Vielfalt innerhalb der Nahrungspflanzen vorhanden ist, um züchterisch auf die neuen Anforderungen reagieren zu können.

Winterzeit ist Planungszeit

Ein wichtiger Teil von Mira Langeneggers Arbeit ist die Planung der Pro-Specie-Rara-Gärten beim Hauptsitz von Pro Specie Rara in den Merian-Gärten in Basel und beim Schloss Wildegg. Im Winter ist die Planung der Gärten eine der wichtigsten Aufgaben für Langenegger. Im Frühling ist sie dann vor allem mit dem Versand des Saatgutes an die Sortenbetreuer beschäftigt und im Sommer mit der Überwachung der Gärten sowie dem Ernten der Samen.

Dann ist ihr Arbeitsplatz oft draussen an der frischen Luft. Die Winterzeit nutzt die Samenbibliothekarin auch, um mit ihrem Team die Sortenvielfalt genauer unter die Lupe zu nehmen. Welche Gemüsesorten könnten für die Gastronomie und den Handel interessant sein? Dazu werden auch Degustationen durchgeführt. Für die Erhaltung der Sortenvielfalt steht Pro Specie Rara in ständigem Austausch mit der Schweizer Genbank und arbeitet bei EU-Projekten mit. 

All dieses Fachwissen hat sich Langenegger vor allem bei ihrer langjährigen Tätigkeit bei Pro Specie Rara angeeignet. Ursprünglich hatte sie beruflich wenig mit Pflanzen und Gemüse zu tun. Nach einer kaufmännischen Ausbildung hat sie in der Textil- und Papierindustrie gearbeitet. Dann absolvierte sie ein Studium in Umwelttechnologiewesen an der ZHAW in Wädenswil. Zuvor hat sie zur Vorbereitung auf das Studium bei Pro Specie Rara ein Praktikum gemacht. "Als gleich im Anschluss an das Studium hier eine Stelle frei war, bin ich hierher zurückgekommen", sagt sie.

Auch privat gärtnert die Samenbibliothekarin noch immer gerne, auch wenn sie selber keinen grossen Garten hat. "Dafür haben wir drei Hühner, die den Garten beleben", sagt sie schmunzelnd. Von ihrem Privatgarten lagert sie jedoch kein Saatgut ein - dort steht das Gärtnern an sich an erster Stelle.