Gemeinderätin Susanne Stamm stellt der Gemeindeversammlung die Pläne für den Altersheim-Neubau vor. Der Saal ist voll. Es ist ein emotionales Thema. Ruhig beantwortet sie Fragen und ist erleichtert, als der benötigte Kredit genehmigt wird. 

Das hätte sich die 49-jährige Susanne Stamm, die sich eher als scheu beschreibt, früher nie träumen lassen. «Ich war nie an einer Gemeindeversammlung», gesteht sie. Das Soziale hat sie aber schon immer interessiert. Aufgewachsen in einer Schaffhauser Arbeiterfamilie, lernte sie Arztgehilfin. Ein Beruf, den sie mit Freude bis 2010 ausübte. Landwirtschaft war für sie eher etwas Exotisches. Dann lernte sie Erich Stamm in der Schleitheimer Dorfmusik kennen. «Ich wusste schon, dass er Bauer ist, aber ich verdrängte es ein wenig», lächelt sie. 

Grosse Kühe machten Angst

Für das Stadtkind war es eine echte Herausforderung, auf den Bühlhof am Hang ausserhalb Schleitheim SH zu ziehen. Sie kündigte ihre Arbeit, die Geburt der ersten von drei Töchtern stand bevor. An das enge Zusammenleben mit den Schwiegereltern musste sie sich gewöhnen. Sie beteuert aber, dass die Schwiegermutter nie aufdringlich war. Vor den grossen Kühen hatte sie eher Angst. Auf dem Bühlhof werden heute nebst dem Futter- und Ackerbau 120 Rinder gemästet. «Ich bin die Frau vom Bauer, nicht die Bäuerin», bestätigt Susanne Stamm. Sie erledigt jedoch die Buchhaltung sowie die ganze Dateneingabe auf Agate und der Tierverkehrsdatenbank und hilft mit beim Heuen. 

Susanne Stamms Hauptaufgabe ist ihr Amt im Gemeinderat und seit diesem Jahr auch der Einsitz im Kantonsrat. Alles fing damit an, als der Gemeinderat die Beiträge für die örtliche Bibliothek streichen wollte. Sie schrieb einen Leserbrief. Dieser löste eine Welle aus, die in einer emotionsgeladenen Gemeindeversammlung endete. Der
Gemeinderat zog sein Vorhaben zurück. Das beeindruckte sie. Kurz danach wurde das Amt des Sozialreferats im Gemeinderat frei. Ein Jahr nach ihrem ersten Gemeindeversammlungsbesuch sass sie selbst vorne auf dem Podest. 

Amt ist wie eine Lehre

«Der Gemeinderat war und ist für mich immer noch wie eine Lehre», sagt die Politikerin. «Das Amt gibt mir viel – wie beispielsweise das Mitbestimmen und -gestalten von wichtigen Themen, die jedermann etwas angehen, und viele verschiedene Schichten von Menschen betreffen.» Als sie vor zehn Jahren das Sozialreferat übernahm, wurde sie sehr gefordert. Die schwierigen Situationen in der Sozialhilfe bedrückten sie. Vor allem auch im Vormundschaftsbereich kam sie immer wieder an ihre Grenzen: zerstrittene Familien, leidende Kinder. Mühe hatte sie bei Menschen, die scheinbar schamlos das Sozialsystem ausnutzten. Sie konnte nicht immer alles verstehen, hatte noch ein «Schubladendenken» wie sie es heute bezeichnet. «Jetzt weiss ich, dass diese Menschen ihren Rucksack haben – zum Beispiel von ihrem Elternhaus – und nichts anderes kennen. Man muss diese Leute so nehmen, wie sie sind.» Wenn ein Mensch es wieder auf den Arbeitsmarkt schafft oder eine alleinerziehende Mutter ihre Kinder gut betreut und fördert, freut sie sich sehr. 

Kantonsrat ist anspruchsvoll

Der geplante Altersheim-Neubau nahm viel Zeit in Anspruch. Susanne Stamm vergleicht den Altersheim-Betrieb gerne mit einem Hotel – Küche, Hotellerie, Kunden und Management. Strategien müssen entwickelt und Themen wie Demenz und Demografie bearbeitet werden. Mit Freude besucht sie die Bewohner an hohen Geburtstagen. «Alte Menschen verdienen es, an einem schönen Ort und gut betreut alt zu werden.» 

Als FDP-Kantonsrätin lernt Stamm, wie anspruchsvoll es ist, den Spagat zwischen Stimmbürger, Gemeinden, Kanton und Parteien zu meistern. «In der Gemeinde sind es kurze Wege, du kannst viel schneller etwas umsetzen. Im Kantonsrat kann es Jahre dauern, daran muss man sich erst gewöhnen.» Manchmal kann sie auch etwas im Gemeinderat einbringen, das im Kantonsparlament behandelt wird. 

Mal glatt, mal steinig

Abschalten und auftanken tut Susanne Stamm bei ihren Blumen auf der grossen Terrasse, beim Basteln von Betonfiguren, beim Lesen oder Schreiben. Das gemeinsame Musizieren verbindet die Eheleute: Susanne Stamm spielt Saxofon in der Dorfmusik, die ihr Mann dirigiert. Und zusammen spielen sie in einem Saxofon-Quartett. 

«Ich vergleiche das Leben mit einem Weg: Mal ist er glatt asphaltiert, mal ist er steinig oder matschig», reflektiert Susanne Stamm. Auf dem Lebensweg kommen Abzweiger. Man kann jeden Abzweiger nehmen, auf
jedem lernt man etwas dazu. Abkürzungen sind vielleicht nicht so erlebnisreich, dafür schneller. Auf Umwegen lernt man viel Neues oder nette Menschen kennen.

Marianne Stamm