AboAnalyseWo bleiben die Menschen, während der Riese auf Effizienz getrimmt wird?Donnerstag, 30. Januar 2025 Die Migros stellt die Weichen für einen radikalen Umbau: Um im Preiskampf mit Discountern wie Aldi und Lidl zu bestehen, sollen die Preise für zahlreiche Produkte massiv gesenkt werden. Doch wie passt dieses Vorhaben zur gleichzeitigen Zusicherung, dass Schweizer Bauern davon nicht betroffen sein sollen?

Viele Landwirtinnen und Landwirte fragen sich, ob und wie dieser Spagat zwischen tiefen Preisen und fairen Konditionen für die heimische Landwirtschaft gelingen kann – oder ob am Ende nicht doch die Produzenten die Zeche zahlen. Wie will die Migros billiger werden, ohne ihre langjährige Zusammenarbeit mit der Schweizer Landwirtschaft zu gefährden? Und wie glaubwürdig ist das Versprechen, dass die heimischen Bauern nicht unter dem Preisdruck leiden werden? Die BauernZeitung hat Mario Irminger, Präsident der Generaldirektion des Migros-Genossenschafts-Bundes, zum Interview getroffen.

Herr Irminger, wie geht es Ihnen aktuell in Ihrer Rolle bei der Migros?

Mario Irminger: Es ist eine grosse Aufgabe, die für mich mit Respekt und Demut verbunden ist und mit viel Verantwortung für die Mitarbeitenden und für die Leistung, die die Migros erbringt. Was mir besonders Freude bereitet: Dass wir es geschafft haben, den Fokus wieder auf das Kerngeschäft zu lenken. Wenn die Migros im Kerngeschäft erfolgreich ist – und daran arbeiten wir aktuell intensiv – wird das automatisch zu einer grösseren Absatzmenge für die Schweizer Landwirtschaft führen. Fokussierung bedeutet, dass wir die Leistung gegenüber den Kundinnen und Kunden ausbauen und gleichzeitig die Preise senken. Ganz wichtig: Die tieferen Preise gehen nicht zulasten der Landwirtschaft.

Die Schweizer Bauern befinden sich seit Jahren in einer schwierigen Situation, sowohl finanziell als auch gesellschaftlich. Wie nehmen Sie die Stimmung in der Landwirtschaft wahr?

Zunächst einmal: Wir als Migros haben grössten Respekt für die Arbeit der Schweizer Bauern und dafür, was sie täglich für uns leisten. Dafür sagen wir Merci. Wir sind uns bewusst, dass die Landwirtschaft in der Natur stattfindet, grossen Schwankungen unterworfen ist und je nach Wetter- und Klimabedingungen die Ernte besser oder schlechter ausfällt. Wir wissen auch, dass das Thema Einkommensentwicklung für die Bauern eine grosse Rolle spielt, ebenso wie die administrativen Aufwände. Wir müssen Lösungen finden, um ein gutes Einkommen zu gewährleisten – auch wenn wir dafür kein Patentrezept haben. Und eine letzte Beobachtung: Blicken wir auf die Abstimmungen der letzten Jahre zurück, so gingen diese mehrheitlich zugunsten der Landwirtschaft aus. Die Schweizer Bevölkerung steht mehrheitlich hinter der Landwirtschaft.

Haben Sie in letzter Zeit mit Schweizer Bauern persönlich gesprochen? Welche Botschaften oder Anliegen haben Sie aus diesen Gesprächen mitgenommen?

Wir stehen in regelmässigem Austausch mit dem Schweizer Bauernverband, mit IP-Suisse, mit Bio Suisse und weiteren landwirtschaftlichen Organisationen. Die Botschaft ist klar: Es sind die drei zentralen Themen Einkommen, Administration und Wertschätzung, die die Bauernfamilien stark beschäftigen – jedoch kommen diese Anliegen in der Bevölkerung oft durch den gesellschaftlichen Wandel zu wenig an. Vor 100 Jahren war jeder mit einem Bauern verwandt. Das ist längst nicht mehr der Fall. Deshalb braucht es viel mehr Öffentlichkeitsarbeit, um die Arbeit der Schweizer Bauern in der Bevölkerung stärker zu würdigen.

«Die Vorstellung, dass es allen in der Schweiz gut geht, trifft nicht zu.»

Wer sollte diese Öffentlichkeitsarbeit übernehmen?

Wir alle stehen in der Pflicht – von der Politik über den Handel bis hin zu den Bauern und ihren Organisationen. Auch das Bildungssystem sollte stärker einbezogen werden, damit die Kinder lernen, wie Lebensmittel angebaut und verarbeitet werden.

Die Bauern gingen im Frühling auf die Strasse, jüngst vor das Bundesamt für Landwirtschaft, unter anderem, um fairere Preise einzufordern. Wie hat Sie das als Chef des grössten Detailhandelsunternehmens des Landes beeinflusst?

Demonstrationen sind immer ein Ausdruck von Unmut und Unwillen. Genau so haben wir das auch in diesem Fall verstanden. Ob das der richtige Weg ist, möchte ich nicht beurteilen. Viel wichtiger ist, miteinander in den Dialog zu treten. Das Gespräch mit den bäuerlichen Organisationen ist von unserer Seite aus gewünscht, geschätzt und sichergestellt. Wenn Sie faire Preise ansprechen, dann ist mir wichtig, zu betonen, dass wir uns an den Richtpreisen der Branchenorganisationen orientieren. Sie sind ein wichtiges Instrument, das wir respektieren. Das System sieht auch vor, dass für Mehrleistungen klare Preis- oder Prämienordnungen existieren, sei es im System von Bio Suisse oder von IP-Suisse. Auch das respektieren wir.

Politik und Gesellschaft fordern von den Bauern eine nachhaltigere Produktion. Gleichzeitig setzt die Migros auf tiefere Preise. Warum?

Ein Teil der Bevölkerung hat Schwierigkeiten, überhaupt die Fixkosten zu decken, und kann sich nicht täglich ein Bioprodukt leisten. Die Vorstellung, dass es allen in der Schweiz gut geht und sich alle alles leisten können, trifft nicht zu. Das müssen wir uns bewusst machen, wenn wir über die Agrarwirtschaft und das Bauerntum sprechen – und ebenso, was sich die Schweizer Bevölkerung in ihrer Haushaltsstruktur leisten kann. Wir erleben eine ähnliche Dreiteilung wie in der Landwirtschaftsstruktur (siehe Grafik unten, Anm. d. Red.). Die Einkommen der Talbetriebe wachsen, diejenigen der Bergregionen sinken. Ein Talbetrieb hat fast doppelt so viel Einkommen wie ein Bergbetrieb – das muss man sich mal vorstellen. Schauen Sie, wir sind uns der schwierigen Situation vieler Betriebe bewusst. Wenn es eine rein ökonomische Entscheidung wäre, müsste fast jeder Bauer, der seinen Stundenlohn mit demjenigen anderer Wirtschaftssektoren vergleich, seinen Beruf hinterfragen. Dass sie es nicht tun, zeigt, mit wieviel Leidenschaft sie ihren Beruf ausüben. Und gleichzeitig fordern Politik und Gesellschaft eine nachhaltigere Produktion, weil wir alle auch in Zukunft noch von den natürlichen Ressourcen leben möchten und diese deshalb schützen müssen. Da können die Bauern einen für uns alle wichtigen Beitrag leisten.

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Und dennoch fordert die Gesellschaft etwas anderes, als Sie es am Ladengestell vorleben.

Die Öffentlichkeit ist sehr landwirtschaftsfern. Schauen Sie aus dem Fenster (Blick über die Stadt Zürich, Anm. d. Red.). Den meisten Menschen ist nicht bewusst, was es bedeutet, einen Milchbetrieb zu führen. Es bedeutet eben nicht, dass Landwirte an Weihnachten Ferien wie eine Mehrheit der Bevölkerung machen können. Wenn um zwei Uhr nachts ein Kalb kommt, müssen die Bauern aufstehen und in den Stall gehen. Das können sich sehr viele Menschen nicht mehr vorstellen. Ihnen fehlt der Bezug dazu, sie wissen nicht, dass die Bauern praktisch sieben Tage die Woche von früh bis spät arbeiten. Da gibt es keine ‹Ich-habe-heute-keine-Lust-Mentalität› und keinen Homeoffice-Tag. Das klingt trivial, aber genau darum sage ich es so deutlich, weil sich ein Grossteil der Bevölkerung immer weiter von der Landwirtschaft entfernt und damit den Bezug dazu verliert.

Und was machen wir jetzt?

Die Ursache zu erkennen ist das eine, Lösungen zu finden, das andere. Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass ich auch keine Musterlösung habe. Es gibt vermutlich auch keine. Vielmehr braucht es Schritte auf verschiedenen Ebenen. Dazu gehört auch eine gewisse Skalierung der Betriebe, analog zu unserem Geschäftsmodell.

«Wir haben während Corona gesehen, was in der Krise passiert.»

Wie meinen Sie das?

Dass es auch grössere Betriebe und andere Formen von Höfen braucht. Es muss Reformen geben, die verhindern, dass die Bauern einen derart hohen administrativen Aufwand betreiben müssen. Und wir müssen es schaffen, den Wert der Arbeit der Bauern in der Öffentlichkeit wieder stärker hervorzuheben. Es gibt viele Ebenen, auf denen wir vorwärtsgehen sollten.

Die Migros präsentiert sich gern als Vorreiter für Nachhaltigkeit. Aber ist es nicht ein Widerspruch, wenn Sie sagen, dass auch Nachhaltigkeit günstiger werden muss?

Damit sprechen Sie vermutlich unsere Tiefpreisstrategie an.

Ja.

Wenn wir die Wertschöpfung betrachten, lassen sich zwei Dimensionen unterscheiden: Die erste betrifft landwirtschaftliche Betriebe, die Produkte herstellen und diese an Verarbeitungsbetriebe oder Händler wie die Migros verkaufen. Dabei muss sichergestellt sein, dass die Bauern mindestens ein faires Einkommen erzielen können. Die Gestaltung der Konsumentenpreise ist dann Sache des Detailhandels. Er muss dabei eine Mindestmarge über das gesamte Sortiment erwirtschaften, um seine Kosten zu decken und Investitionen zu finanzieren. Das muss in der Summe aufgehen, aber nicht bei jedem einzelnen Produkt. Nehmen wir die Butter: Seit Jahren haben wir da keine Nettomarge. Wenn es nur darum ginge, würden wir einfach keine Butter mehr verkaufen. Stellen Sie sich vor, wie die Bevölkerung darauf reagieren würde! Was ich sagen will: Die Gesamtmarge eines Händlers ist immer ein Durchschnitt. Bei einigen Produkten haben wir mehr, bei anderen weniger oder auch mal gar nichts. Unsere neue Preisstrategie – und das sage ich sehr deutlich – geht nicht zulasten der Bauern, nicht bei den konventionellen und auch nicht bei den nachhaltigen Produkten.

Wie geht das?

Erstens arbeiten wir konsequent daran, defizitäre Geschäfte zu schliessen. Seit dem 1. Februar 2024 ist das omnipräsent in den Medien. Dadurch haben wir Mittel, die wir ins Kerngeschäft investieren können. Zudem müssen wir bei Migros massiv an der Wertschöpfungseffizienz arbeiten, Abläufe straffen und Kosten effizient gestalten. Der dritte Punkt – und das betrifft explizit nicht die Landwirtschaft und regionale Produzenten – ist, dass wir viele Markenprodukte verkaufen. Wenn ich heute die Profitabilität der grossen Markenhersteller betrachte und sie mit unserer vergleiche, fällt der Unterschied enorm aus. Wir müssen also dort besser verhandeln und auch einen Teil dieser Preissenkungen zurückgeben.

Aber Ihre Preisstrategie führt doch unweigerlich zu der Frage: Geht das nicht zulasten der Schweizer Landwirtschaft? Können Sie garantieren, dass die Bauern durch die Tiefpreisoffensive nicht benachteiligt werden?

Die Migros ist heute der grösste Verarbeiter von landwirtschaftlichen Produkten aus der Schweiz – sowohl auf der Verarbeitungsseite durch die Migros Industrie als auch als Händler. Zudem verzichten wir bewusst auf Importe, zum Beispiel bei Halbhartkäse, Joghurt oder Dessertprodukten. Wenn immer möglich, stellen wir diese selbst her – aus Schweizer Rohstoffen. Auch hier blicken wir auf eine jahrzehntelange Zusammenarbeit mit den Landwirten zurück.

«Hier muss unsere Rechnung aufgehen, genauso wie die Rechnung der Bauern aufgehen muss.»

Aber wie muss ich mir das vorstellen? Da kann doch kein Schweizer Landwirt mithalten bei diesen Preisen, die Sie in diesem Tiefstpreissegment anbieten?

Es geht um mehr als 1000 Produkte des täglichen Bedarfs, die im Laufe des Jahres zu Tiefpreisen angeboten werden, also gleich günstig wie beim Discounter. Aktuell sind wir bei rund 500 Produkten. Die Migros aber hat in grossen Filialen 40 000 Artikel im Angebot – also enorm viel. Und hier liegt auch die Differenzierung zum Discounter: Unser Sortiment umfasst sowohl eine grosse Breite als auch eine enorme Tiefe. Die Kundschaft findet also bei der Migros sowohl tiefe Preise als auch ein Vollsortiment, Frische, Regionalität und beliebte Eigenmarken. Tiefpreis bedeutet übrigens nicht, dass das nur M-Budget- oder M-Classic-Produkte sind, das können ebenso gut auch IP-Suisse- oder Bio-Suisse-Produkte sein.

Und da schlagen Sie dann einfach mehr aufs Produkt?

Die Leistung der Bauern hat ihren Preis und zu diesem Preis verkaufen sie ihre Produkte an die Händler. Wie wir dann den Preis für die Kundschaft festsetzen, ist eine andere Sache. Hier muss unsere Rechnung aufgehen, genauso wie die Rechnung der Bauern aufgehen muss. Es ist ein Irrtum zu glauben, ein IP-Suisse-Produkt müsse zwangsläufig viel teurer sein als ein Suisse-Garantie-Produkt, damit es gut ist. Das haben wir bei Denner bewiesen. Was wir benötigen, ist ein fairer Zuschlag, damit wir unser Geschäft betreiben können. Aber es muss nicht sein, dass es preislich nach oben skaliert. Zum Thema Nachhaltigkeit nenne ich gerne das Beispiel Milch: In der Migros ist die ganze Milch auf IP-Suisse-Wiesenmilchstandard, auch der Preiseinsteiger im UHT-Bereich. Und das läuft natürlich schon länger zulasten unserer Marge.

Sie sagen, die Konsumenten wollten günstige Produkte. Hat die Migros als Marktführerin nicht auch die Verantwortung, diese zu sensibilisieren und für Qualität und Nachhaltigkeit zu werben?

Das machen wir sehr intensiv und wir bieten volle Transparenz, etwa mit unserer Nachhaltigkeitsbewertung M-Check. Gleichzeitig haben wir keinen Erziehungsauftrag. Wir erachten die Konsumentinnen und Konsumenten als mündig. Sie entscheiden, was sie einkaufen. Wir weisen auf die Differenzen der Produkte hin, auf die Qualitätsaspekte, aufs Tierwohl, auf Biodiversität, auf die sozialen und ökonomischen Hintergründe – aber wir steuern den Konsumenten nicht in seinen Entscheidungen.

Und wenn Sie nun einfach diese nicht nachhaltig produzierten Erdbeeren aus Spanien nicht mehr anbieten würden?

Dann sind die Konsumenten einfach jenseits der Grenze oder bei einem anderen Schweizer Händler, weil es dort angeboten wird.

Wie stellen Sie sicher, dass die Botschaft «billiger und nachhaltig» nicht abstrakt bleibt und tatsächlich umgesetzt wird?

Im Moment müssen wir unsere Preiswürdigkeit in den Vordergrund stellen und investieren hier sehr viel Geld. Wir senken aber nicht nur die Preise, sondern verbessern auch die Leistung. Wir wollen massiv an den Sortimenten arbeiten, zudem erweitern und erneuern wir das Filialnetz und kommen dadurch noch näher an die Kundinnen und Kunden. Wir bauen 140 neue Filialen und modernisieren 350 bestehende. Wir investieren dafür zwei Milliarden Franken bis 2030.

Und wie profitiere ich als Bäuerin von sowas?

Indem Sie über die Migros mehr Menge absetzen können.

Bei Denner haben Sie mit IP-Suisse gezeigt, dass nachhaltige Landwirtschaft auch im Discounter funktioniert. Warum scheinen Sie bei der Migros nun auf eine andere Strategie zu setzen?

Migros und Denner sind zwei Welten, und beide haben eine andere historische Herkunft. Zuerst einmal bietet Denner als Discounter viel weniger Produkte an als die Migros mit ihrem Gesamtsortiment. Denner führte lange Zeit keine Mehrwertsegmente und machte schliesslich mit IP-Suisse den Einstieg. Da kann man zu Beginn faktisch nur gewinnen. Die Migros hingegen ist seit rund 30 Jahren, also seit es IP-Suisse gibt, eng mit ihr verbunden und führt natürlich ein viel grösseres IP-Suisse-Sortiment.

«Investitionen in Schweineställe machen keinen Sinn, wenn wir dort viel weniger Absatz haben.»

Es gab im letzten Jahr ja einen Tierwohlabbau beim Schweinefleisch.

Nein, den gab es nicht: Das Tierwohl ist gleich geblieben, aber die Menge hat abgenommen, weil Schweinefleisch weniger nachgefragt wurde. Wir müssen uns der Nachfrage anpassen, denn die verändert sich über die Zeit. Ein anderes Beispiel ist das Kalbfleisch. Auch hier nimmt die Nachfrage laufend ab. Warum? Weil viele Konsumentinnen und Konsumenten finden: Die herzigen Kälbchen wollen wir nicht essen. Wir – Bauern und Handel – müssen miteinander in der Produktion die Bedürfnisse der Kunden reflektieren.

Also kein Tierwohlabbau – aber doch Verschiebungen beim Fleisch?

Ja, Schweinefleisch ist zum einen aus religiösen Gründen und zum anderen aus ernährungstechnischen Gründen nicht mehr so gefragt. Die Schweiz war einst ein Schweinefleischland, jetzt nimmt die Nachfrage drastisch ab. Geflügel hingegen nimmt immens zu, Rindfleisch ist einigermassen stabil. Darauf muss sich die Landwirtschaft einstellen. Wenn die Nachfrage nach einem Produkt sinkt, dann können wir nicht in den gleichen Mengen produzieren wie bisher. Investitionen in Schweineställe machen keinen Sinn, wenn wir dort viel weniger Absatz haben.

Wenn es billiger und nachhaltiger werden soll, dann hat doch die Schweizer Landwirtschaft im Grunde keine Chance, mitzuhalten. Warum erhöhen Sie die Preise im Laden nicht einfach, anstatt sie zu senken?

Wir müssen dafür sorgen, dass die Preis-Differenzen zur EU nicht zu gross wird. Im Moment sind wir wegen des starken Frankens überall etwa doppelt so teuer. Wenn die Differenz zu gross wird, nimmt der Einkaufstourismus weiter zu. Es gibt sogar Konsumenten, die sagen, man solle ‹ennet der Grenze› einkaufen dürfen, wenn die Preise in der Schweiz zu hoch sind. Diesen Gesamtkontext dürfen wir nicht aus den Augen verlieren. Wir hätten heute die Möglichkeit, landwirtschaftliche Produkte zu ganz anderen Preisen aus dem Ausland zu beziehen. Das ist eine Realität. Auch wenn ich es richtig finde, dass wir das nicht machen.

Dann könnten wir auf eine Produktion in der Schweiz ja aus Kostengründen einfach verzichten und alles importieren.

Das können wir aus rechtlichen Gründen nicht. Denn die Schweiz hat einen Grenzschutz – was meiner Meinung nach richtig ist. Ich bin überzeugt, dass wir alles daransetzen müssen, den Selbstversorgungsgrad auf dem heutigen Niveau zu halten. Wir haben während Corona gesehen, was in der Krise passiert. Dann schaut jedes Land zuerst für sich, egal, welche Verträge bestehen. Deshalb ist für die Sicherung der inländischen Lebensmittel-Versorgung das Zusammenspiel von Landwirtschaft, Verarbeitung, Import und Verteilung über den Detailhandel von grundlegender Bedeutung.

Migros kippt Standards bei Importen

«Die Migros ist auf Abwegen» – so jedenfalls sieht das der Konsumentenschutz. Der Grund: Die Detailhändlerin will künftig Fleisch importieren, das nicht den Schweizer Tierschutzstandards entspricht, und überlässt den Konsumenten die Entscheidung, ob sie günstigere Produkte auf Kosten des Tierwohls kaufen möchten. Der Konsumentenschutz hat deshalb einen von der Tierschutz-Organisation Tier im Recht mitunterzeichneten offenen Protestbrief verfasst, in dem die Migros aufgefordert wird, diesen Entscheid rückgängig zu machen. In dem Schreiben wird die Verantwortung der Migros betont, tierfreundliche Standards sicherzustellen.

Was sagt die Migros zum Import-Vorwurf? Wir haben nachgefragt. «Das Fleischsortiment in der Migros stammt zum allergrössten Teil aus der Schweiz: Schweinefleisch zu knapp 100 %, Rindfleisch und Kalbfleisch zu mehr als 95 % und Poulet zu mehr als 85 %.» Beim Rindfleisch sei die Nachfrage der Kundinnen und Kunden nach Spezialstücken wie Filet, Huft und Entrecôte so hoch, dass die Migros einzelne Stücke importieren müsse. «Wir würden gerne noch mehr Pouletfleisch in der Schweiz produzieren, was derzeit nicht möglich ist, so dass wir einen kleinen Teil importieren», heisst es von Seiten Medienstelle weiter.

Wie die Medienstelle ausführt, konnte die Migros bei diversen tierischen Produkten erreichen, dass auch die Importe mindestens dem Schweizer Tierschutzgesetz entsprechen. «Wir werden auch künftig Tierschutzanforderungen an Importprodukte stellen. Die Umsetzung bei allen Produkten ist leider nicht immer möglich», so die Migros. Unter anderem bedingt durch die Tatsache, dass nur Teilstücke bezogen, oder nur zeitlich beschränkt importiert werde. «Uns ist das Tierwohl wichtig. Die Migros ist zudem die erste Schweizer Detailhändlerin, welche die Tierwohlbewertung bei allen Produkten mit dem M-Check transparent ausweist», heisst es abschliessend.