«Niene isch Chilbi u niene isch Tanz, deheime ums Hus um versuret me ganz», heisst es zu Beginn eines vierstrophigen Mundartgedichts, das Lina Beck, später Wisler-Beck, im Jahr 1920 zu Papier brachte. Sie drückt damit Gedanken und Gefühle aus, die angesichts der Corona-Pandmie aktueller nicht sein könnten. Die Schweizer Bevölkerung war um 1920 herum aber noch weitaus leidgeprüfter, als wir es heute sind: Nach der verheerenden spanischen Grippe, die hierzulande zwischen 1918 und 1919 rund 25000 Tote forderte, suchten 1920 erneut eine schwere Grippewelle sowie die Maul- und Klauenseuche das Land heim.

Mehr als nur ein Tanzverbot

Wie angesichts der Corona-Pandemie mussten die Behörden zu einschneidenden Massnahmen greifen. So wurden Märkte gesperrt, Versammlungen und Feste verboten und wer kranke Familienangehörige hatte, musste dem kirchlichen Gottesdienst, der Schule und den Restaurants fernbleiben. Wo die Maul- und Klauenseuche wütete, wurden ganze Gemeinden und Landstriche abgeriegelt. «Grad äbe der Sunndig wir eim eso läng. 'S Furtgoh wird eim verbote, u nämlech no sträng», heisst es in Lina Becks Gedicht. Der «Lockdown» wegen der Maul- und Klauenseuche betraf aber nicht nur Menschen, wie ein Erlass aus der St. Galler Kleinstadt Buchs zeigt. Am 17. März 1920 ordnete der Gemeinderat an, dass das «Freilaufen der Hunde im Seuchengebiet» untersagt sei. Das selbe gelte auch für Katzen und Hühner. Wenn solche Tiere freilaufend angetroffen würden, seien sie zum Abschuss freigegeben, schrieb die Gemeinde.

Als wäre es gestern geschrieben worden

In dieser angespannten Situation schrieb die Bauerntochter Lina Beck aus dem bernischen Heimiswil ein Gedicht, das ihren Frust und ihre Verzweiflung, aber auch eine gewisse Zuversicht zum Ausdruck brachte. Hundert Jahre später sollte es einer ihrer Enkel in den Dokumenten seiner Grossmutter finden - kurz vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie. «Unsere Grossmutter Lina Beck hat viel und sehr gut geschrieben», sagt ihre Enkelin Irene Wisler. «Sie hat einerseits Gedichte geschrieben, aber sie hat auch regelmässig unter einem Pseudonym Leserbriefe an Zeitungen geschickt.» Hundert Jahre später erreicht Lina Becks Pandemie-Gedicht nun eine grosse Zahl von Leuten, die nun ein Stück weit nachempfinden können, wie es der Autorin zumute gewesen sein muss.

 

Niene isch Chilbi (Lina Beck, 1920)

Niene isch Cilbi u
niene isch Tanz
deheime ums Hus um
versuret me ganz.
I ha mer scho
mängisch der Chopf 
fasch verheit
was ächt no wär
z' mache, dass Zyt
umegeit.

Wär gwanet isch
z' gumpe und z' tanze
o je
däm düe halt die
Süche-Verordnige
weh.
E jede muess säge,
churzwiligs isch's nit
no bsunders für
ledigi, lustigi Lüt.

Grad äbe der Sunndig
wird eim eso läng
's Furtgoh isch
verbote, u nämlech no
sträng,
Gsiech eim deno
öpper, o weisch de
häts gfählt
do müesst me schwär
buesse - u-ni ha kes
Gäld!

Drum blieb i doheime.
I schicke mi dry
u hoffe dä Jammer
gäng öpe verbi.
I bi ja nid einzig,
's trifft anderi o,
's isch ume es gwane,
- mi zahmet de scho!