Die Schweizer Wildschweinpopulation profitiert offenbar von zunehmend wärmeren Wintern und nimmt zu. Dürfte es daher auch mehr Wildschweinschäden geben in Zukunft?

Nicolas Bourquin: Es ist sehr schwierig, den Bestand der Wildschweine wirklich zu zählen, da die Tiere scheu und nachtaktiv sind. Man verlässt sich daher auf Abschussdaten und Fallwildzahlen, aber die Dunkelziffer ist hoch.

Bekannt ist, dass die Bestände je nach Wintertemperaturen und Futterangebot stark schwanken und damit auch die (zu erwartenden) Schäden. Da Wildschweine aber zu den jagdbaren Arten zählen, werden die Bestände kontrolliert – es gibt nicht einfach immer mehr Wildschweine.

Gibt es Zahlen dazu, welche Wildtiere in der Schweiz jährlich die grössten Schäden an Kulturen bzw. Nutztieren verursachen?

Solche Statistiken werden kantonal erhoben. Schliesslich unterscheiden sich die Wildtierbestände je nach Kanton stark. Sowohl was die Anzahl, als auch die Art der Tiere angeht.

Es gibt deutlich mehr Luchse als Wölfe in der Schweiz, trotzdem hört man wenig von Luchsrissen. Sind diese wirklich so selten?

Tatsächlich gibt es etwa drei Mal mehr Luchse als Wölfe in der Schweiz. Die beiden Raubtiere verhalten sich aber grundverschieden: Luchse, die zu den Katzenartigen gehören, jagen alleine und erbeuten nur Einzeltiere. Mit einem Reh hat ein Luchs genug für eine Woche.

Zwar gibt es auch Luchse, die kleinere Nutztiere reissen, dabei handelt es sich aber um spezialisierte Individuen. Im Jahr 2019 wurden 43 Nutztiere von einem Luchs gerissen und entschädigt, beim Wolf (der zu den Hundeartigen gehört) waren es 420. Wolf und Luchs sind alles in allem kaum miteinander vergleichbar.

Wie muss man bei einem (vermutlichen) Schaden durch Wildtiere an Kulturen oder Nutztieren vorgehen?

Grundsätzlich muss ein festgestellter Schaden an landwirtschaftlichen Kulturen oder Nutztieren über 100 Franken der Wildhut gemeldet werden. Danach wird die Schadenssumme durch einen offiziellen Taxateur geschätzt.

Vergütungen gibt es nur, wenn die zumutbaren Verhütungsmassnahmen getroffen worden sind und gegen die verursachende Tierart keine Selbsthilfemassnahmen erlaubt sind. Das genaue Vorgehen regeln die Kantone.

Das Jagd- und Schutzgesetz JSG spricht von «zumutbaren Verhütungs-massnahmen», ohne die keine Entschädigungen ausbezahlt werden. Wie wird bestimmt, was zumutbar ist?

Hier lässt das Gesetz bei den jagdbaren Wildtieren den zuständigen Kantonen einen gewissen Interpretationsspielraum. Dementsprechend gibt es grosse kantonale Unterschiede. So werden mancherorts Schäden durch Wildschweine nur vergütet, wenn Zäune gestellt worden sind. Andernorts gibt es auch ohne Zäune eine Entschädigung.

Anders sieht es bei geschützten Arten aus: Für Wolf, Luchs, Bär etc. gibt es Konzepte mit klaren Angaben dazu, was schweizweit als zumutbare Massnahmen gilt.

Weshalb sind im Kanton Genf sämtliche Wildtiere geschützt?

Das wurde in den 1970er-Jahren mit einer kantonalen Volksabstimmung so beschlossen. Es bedeutet aber nicht, dass auf dem Gebiet des Kantons Genf nicht gejagt wird.

Die Bestandskontrolle der Wildtiere obliegt vielmehr den Wildhütern statt privaten Jägern. In einem so kleinen Kanton ist das noch möglich, aber beispielsweise in Graubünden käme das zu teuer.

Welche Rolle spielt die Jägerschaft bei der Verhütung von Wildtierschäden?

Die Aufgabe der Jägerinnen und Jäger ist die Bestandskontrolle. Die Kantone legen jedes Jahr anhand von Erfahrungswerten und der Bestandesentwicklung fest, wie viele Tiere welcher Art erlegt werden sollen (Jagdkontingente).

Ohne die Jägerschaft gäbe es grosse Probleme mit Schäden durch Wildtiere, ihre regulatorische Rolle darf daher nicht unterschätzt werden.

Was bedeutet die Bezeichnung «jagdbar» für bestimmte Wildtierarten im JSG konkret?

Der Umgang mit jagdbaren Wildtierarten wird von den Kantonen geregelt, die auch für die Bestandskontrolle und die Jagdplanung zuständig sind. Eine Tierart auf dem Kantonsgebiet auszurotten, ist allerdings nicht erlaubt. Bei den geschützten Arten sind nur die Regulation und unter Umständen Einzelabschüsse möglich. Darüber entscheidet der Bund.

Im JSG heisst es, die Kantone könnten «jederzeit Massnahmen gegen einzelne, geschützte oder jagdbare Tiere, die erheblichen Schaden anrichten, anordnen oder erlauben». Für den Wolf ist klar definiert, ab wann einzelne Tiere geschossen werden dürfen. Wie definiert man «erheblichen Schaden» bei anderen Wildtieren wie zum Beispiel Hirschen oder Wildschweinen?

Was als erheblicher Schaden gilt, definiert bei jagdbaren Wildtierarten auf Stufe Verordnung der Kanton.

Es gibt in der Schweiz verschiedene eingeschleppte Tierarten. Sind (in Zukunft) auch Schäden an landwirtschaftlichen Kulturen durch Nutria, Sikahirsch oder Waschbären zu befürchten?

Die Populationen dieser Neozoen sind bisher sehr klein. Da es sich um eingeschleppte respektive eingewanderte Arten handelt, sind sie unerwünscht und werden grundsätzlich geschossen. Dabei darf nicht vergessen werden, dass diese invasiven Tiere – je nach Art – die einheimische Fauna stark bedrohen können.

Der Goldschakal gilt als einheimisch und ist hierzulande auf dem Vormarsch. Ist er wirklich harmlos?

Für Menschen besteht durch Goldschakale keine Gefahr. Als Neuankömmling muss sich die Art ihren Lebensraum noch suchen, auch in Konkurrenz mit Füchsen und Wölfen.

Generell sind Goldschakale aber klein und diskret. Sie dürften nur sehr wenig Schaden anrichten, weit weniger als Luchse. Sobald die Population in der Schweiz gross genug ist, wird der Bund ein Konzept für das Management des Goldschakals erstellen, analog dem für Wölfe.

Feldhasen gelten als Zeigerart für eine gute Biodiversität und sind daher gern gesehen. Sie können aber auch Schäden verursachen. Gibt es in der Schweiz so grosse Feldhasenpopulationen, dass sie nennenswerte Verbissschäden an Kulturen verursachen?

Feldhasen können meiner Ansicht nach in lokal hohen Beständen durchaus auch Wildschäden verursachen, zum Beispiel am jungen Getreide, auch wenn dies beim aktuellen Bestand selten der Fall ist.

Es handelt sich um eine bedrohte Art, die es zuallererst zu schützen und zu fördern gilt. Daher gibt es in vielen Kantonen ein Jagdverbot für Feldhasen. Wo die Tiere gejagt werden dürften, sind nicht Frassschäden der Grund dafür.

Kann man an der Umgebung etwas verändern, um Kulturen indirekt zu schützen, zum Beispiel, indem man den Lebensraum für Waldbewohner verbessert, damit ihnen abseits der Felder genügend Futter zur Verfügung steht?

Ein optimaler Lebensraum ist für Wildtiere immer besser. Ob es aber tatsächlich Nahrungsmangel ist, der die Tiere auf die Felder treibt, ist schwer zu sagen und kaum messbar. Auf jeden Fall sind landwirtschaftliche Kulturen ein sehr attraktives Angebot, das man entsprechend in gefährdeten Gebieten mit Zäunen schützen muss.

Braucht man für Massnahmen wie die olfaktorische, akustische oder visuelle Abwehr (zum Beispiel Blinklampen) eine Bewilligung?

Bewilligungen sind im Allgemeinen Sache der Kantone. Es lohnt sich aber, den Einsatz derartiger Abwehrmassnahmen mit den zuständigen Stellen abzusprechen. Denn es besteht grosse Gewöhnungsgefahr.

Bei den Nutztieren beschränkt sich der Schutz vor Wildtieren vor allem auf die Sömmerungszeit. Gibt es auch beim Schutz von Kulturen sozusagen eine «Hauptsaison»?

Das kann man so generell nicht sagen, weil es grosse Unterschiede gibt je nach Wildtierart und Reifegrad der Kulturen. Wenn Jungtiere versorgt werden müssen und die Kulturen kurz vor der Ernte stehen, steigt die Gefahr für Frassschäden.

Wo kann man sich zum Schutz von Kulturen beraten lassen?

Viele Informationen zu den kantonalen Regelungen findet man bei den zuständigen Stellen (wie Jagdinspektoraten) online. Der Schutz von Kulturen ist Sache der Landwirtschaft, es helfen landwirtschaftliche Berater. Auch die Taxateure, die Schäden beurteilen, stammen aus der Landwirtschaft. Das Bafu ist für das Management der Wildtiere zuständig.

Als Fazit lässt sich festhalten: Da es viel juristischen Interpretationsspielraum und kantonale Unterschiede in der Handhabung von Schäden gibt, informiert man sich im Allgemeinen am besten direkt bei den zuständigen Kantonsstellen.

 

Die Regeln im Umgang mit Wildtieren

Alles, was mit der Bestandsregulation und Abschüssen von Wildtieren zu tun hat, ist im Jagd- und Schutzgesetz JSG geregelt. Unter Umständen dürfen geschädigte Landwirte auch selbst aktiv werden.

Was bedeutet jagdbar?

Wildtiere sind in der Schweiz grundsätzlich geschützt. Gejagt werden dürfen nur im Gesetz als «jagdbar» bezeichnete Arten. Zudem sind gesetzliche Schonzeiten einzuhalten. Allerdings sind nicht in der ganzen Schweiz alle vom Jagd- und Schutzgesetz JSG als jagdbar definierten Wildtiere auch tatsächlich überall zur Jagd freigegeben. Die Kantone sind nämlich dazu verpflichtet, diese Liste zu Gunsten örtlich bedrohter Arten einzuschränken.

Geschützte Arten wie Wolf oder Biber dürfen nur geschossen werden, wenn sie grossen Schaden oder eine erhebliche Gefährdung verursachen. Was darunter zu verstehen ist, regeln entsprechende Konzepte des Bundes.

Für die Jagd an sich (Planung, Jagdsystem, Berechtigungen etc.) sind die Kantone zuständig.

Folgende Arten sind laut JSG jagdbar:

  • Rothirsch, Sikahirsch
  • Wildschwein
  • Reh, Gämse
  • Feldhase, Schneehase, Wildkaninchen
  • Murmeltier
  • Fuchs, Dachs, Edel- und Steinmarder
  • Birkhahn, Schneehuhn, Rebhuhn, Ringeltaube, Türkentaube, Kolkrabe, Nebelkrähe, Haubentaucher, Kormoran, Blässhuhn, Wildenten, Waldschnepfen, Fasan

Selbsthilfemassnahmen

Die Kantone legen fest, gegen welche jagdbaren Wildtiere Selbsthilfemassnahmen ergriffen werden dürfen. Der Bundesrat kann dasselbe auch für geschützte Arten tun. So dürfen handlungsfähige Personen, die durch ein Exemplar einer jagdbaren Tierart Schaden an Haustieren, landwirtschaftlichen Kulturen oder selbst genutzten Liegenschaften erleiden, die Verursacher vergrämen.

Falls notwendig – wenn trotz Verhütungsmassnahmen erheblicher Schaden entsteht – darf man mit den vom Kanton bestimmten Mitteln in einem bestimmten Areal zur Tat schreiten. Im Kanton Bern darf man beispielsweise ganzjährig ausserhalb des Waldes und nur im Umkreis bewohnter Gebäude mit gestatteten Jagdwaffen einen Dachs erlegen, falls Vergrämen erfolglos geblieben ist.

Zu beachten sind hierbei immer Gebiete mit Jagdverbot wie eidgenössische Jagdbanngebiete oder Naturschutzgebiete. Ausserdem gibt es kantonal unterschiedliche Zeitfenster, in denen Selbsthilfemassnahmen ergriffen werden dürfen. Je nach Art muss der Abschuss bei der kantonalen Wildhut gemeldet werden. Schäden von Tieren, gegen die Selbsthilfemassnahmen erlaubt sind, werden nicht entschädigt.

Was wird entschädigt?

Grundsätzlich werden Schäden an landwirtschaftlichen Kulturen und an Nutztieren durch jagdbare Wildtiere und bestimmte geschützte Arten (wie den Wolf) «angemessen entschädigt», wie es im JSG heisst. Ausgenommen sind:

  • Bagatellschäden (unter 100 Franken Schadenssumme)
  • Schäden durch Arten, gegen die Selbsthilfemassnahmen erlaubt sind
  • Wenn nicht die zumutbaren Massnahmen zur Verhütung des Wildschadens getroffen worden sind

Bei der Höhe der Entschädigungssumme können auch die getroffenen Verhütungsmassnahmen (die im Schadensfall offenbar nicht genützt haben) angerechnet werden. Für Entschädigungen kommen Bund und Kantone zu unterschiedlichen Teilen auf.