Obwohl die Schweiz nicht Teil der Europäischen Union (EU) ist, gibt es Regelungen, welche sie ohne grosses Einspracherecht übernehmen muss. Nach jahrelangen Verhandlungen schuf die EU nun ein neues Tiergesundheitsrecht, das aufgrund der bilateralen Verträge auch Auswirkungen auf die Schweizer Tierhalter – insbesondere Exporteure – hat.

Das neue Recht sieht auch neue Regeln für das Verbringen von lebenden Tieren zwischen den Mitgliedstaaten vor. Für den Tierverkehr zwischen der EU und der Schweiz gelten die gleichen Anforderungen.

Hürden steigen zum Teil

«Für einige Tiergattungen wie Rinder und Geflügel ändert inhaltlich nicht sehr viel, für andere wie z. B. Schweine, Ziegen oder Neuweltkameliden steigen aber die Hürden für Grenzübertritte», so Urs Zimmerli, Tierarzt beim Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV). So müssen Tierhalter spätestens 12 Monate vor dem (ersten) Export betriebseigene Überwachungsprogramme durchführen, und zwar

  • bei Schweinen, die nicht biosicher gehalten werden, im Hinblick auf Brucellose;
  • bei Ziegen, Hirschen und Kameliden im Hinblick auf die Tuberkulose.

«Das bedeutet unter anderem, dass die Tiere im Bestand regelmässig auf bestimmte Krankheiten untersucht werden müssen. Zudem dürfen Exporteure nur noch Tiere aus Betrieben aufnehmen, in denen die gleichen Massnahmen umgesetzt wurden», heisst es in der Fachinformation des BLV.

Grund für die Verschärfungen ist, dass Tests an Einzeltieren vor dem Export wenig aussagekräftig sind, und deshalb eine regelmässige Überwachung in den Beständen das Verschleppen der Tierseuchen viel wirksamer unterbinden kann, so das BLV. «Obgleich das neue EU-Recht seit dem 21. April 2021 gilt, werden in der Praxis für den EU-Verkehr bis zum 17. Oktober noch die ‹Zeugnismuster nach altem Recht› verwendet», so Urs Zimmerli. Ursachen dafür seien die verzögerte Publikation der Muster nach neuem Recht und deren technische Umsetzung im Traces-System.

Der Rechtsrahmen fehlte

Grund für die Anpassung des Tiergesundheitsrechts der EU war der «bislang fehlende übergeordnete Rechtsrahmen», heisst es in der Fachinformation des BLV. «Das neue Tiergesundheitsgesetz wird übersichtlicher sein. Im Zentrum steht die verbesserte Koordination zwischen den Staaten bei der Seuchenüberwachung und -bekämpfung.» Dem doppelte in einer Antwort auf eine von Nationalrat Martin Haab (SVP/ZH) im Juni 2020 eingereichte Motion auch der Bundesrat nach: «Sie (die neu geltenden Tiergesundheitsanforderungen) sollen eine noch effizientere Bekämpfung von Krankheiten, die auf andere Tiere oder auf den Menschen übertragbar sind, sicherstellen.»

Wer zahlt dafür?

Im Rahmen seiner Interpellation stellte Martin Haab ebenfalls die Frage, inwiefern der Bundesrat gedenkt, die vom EU-Entscheid betroffenen Betriebe zu unterstützen.

«Die Kosten tragen die Tierhaltenden.»

Urs Zimmerli, Tierarzt beim BLV, Abteilung Tiergesundheit

«Von der Exportregelung sind in der Schweiz nur bestimmte Tierhaltungen betroffen, weshalb auch situativ nach Lösungen gesucht werden muss. Das BLV ist diesbezüglich bereits in Gesprächen mit den betroffenen Tierhalter- und Zuchtorganisationen sowie mit Vertreterinnen und Vertretern der kantonalen Veterinärämter», so die Antwort des Bundesrates.

Beim BLV nachgefragt, scheint die Situation heute klarer: «Die Kosten für den Mehraufwand der Exporteure tragen die Tierhaltenden», erklärt Urs Zimmerli.

Nur noch vereinzelt machbar

«Da aus der Schweiz – aufgrund der vergleichsweise hohen Preise– nicht sehr viele Nutztiere exportiert werden, ist der Aufwand für viele Tierhalter verglichen mit dem potenziellen Nutzen einzelner Exporteure sehr hoch», fügt der Tierarzt hinzu.

Urs Zimmerli geht davon aus, dass die Anforderungen nur noch für professionelle Grossbetriebe mit regelmässigen Exporten wirtschaftlich tragbar sein können. «Für bestimmte Tierarten und Zuchtprogramme kann die Blutauffrischung dadurch zunehmend schwieriger werden», befürchtet Zimmerli. So sind Schweizer Ziegen im Ausland sehr gefragt, die Hürden für Exporte aber bereits nach altem Recht sehr hoch, nachdem am 1. Januar 2015 die in Bezug auf die «Traberkrankheit» (Scrapie) geforderten Gesundheitsgarantien verschärft worden sind. «Es ist gut möglich, dass mit der Umsetzung der Regelung noch weniger exportiert wird, und so die Schweiz an Relevanz im Exporthandel einbüssen wird», erklärt der Tierarzt. «Die betroffenen Verbände könnten prüfen, ob die Einhaltung der Exportauflagen allenfalls für alle Tierhalter sinnvoll sein könnte», sagt Tierarzt Urs Zimmerli. So könnten z. B. die Tuberkulose-Überwachungsprogramme in Neuweltkamelidenhaltungen auch unabhängig von Exportfragen nützlich sein.

Lebende Schweine werden bereits heute nur durch Besamungsstationen und «Hochzuchtbetriebe» mit sehr guten Biosicherheitsmassnahmen exportiert, so Zimmerli. «Die wenigen Zuchtschweine, die exportiert werden, stammen aus rund 40 AR1-Zuchtbetrieben. Also Betrieben, die keine Schweine zukaufen und ganz an der Spitze der Zuchtpyramide stehen», so Henning Luther, Zuchtleiter bei der Suisag.

«In der EU ist das anders»

Die Zahl der exportierten Zuchttiere beläuft sich auf weniger als 100 Tiere pro Jahr», erklärt Henning Luther. Für diese wenigen Betriebe konnte deshalb in Absprache mit der Branche und Vertretern des kantonalen Vollzugs eine Lösung gefunden werden, damit sie auch unter dem neuen EU-Recht ohne Mehraufwand weiterhin exportieren können, erklärt Urs Zimmerli.

«Die neue Exportbedingungen betreffen Schweinebetriebe kaum.»

Henning Luther, Exportmanager und Zuchtleiter Suisag

«Für AR-Betriebe war es ohnehin schon seit einigen Jahren Vorschrift, dass es baulich keinen Kontakt zwischen Wild- und Hausschweinen geben kann», fügt Henning Luther hinzu. Der Gesundheitsstatus der inländischen Schweinebestände ist auch in anderen Hinsichten sehr hoch:«Für die Schweiz ist es fast schon selbstverständlich, dass die gesamten Schweinebestände PRRS-frei (Porcines reproduktives und respiratorisches Syndrom) sind und wir nicht einmal dagegen impfen müssen», betont Luther. «In der EU ist das anders.»

«Überhaupt nicht betroffen»

«Die allermeisten Schweinehalter in der Schweiz sind also von den Änderungen überhaupt nicht betroffen, weil sie nie Schweine exportieren», erklärt Henning Luther. «Bei unseren AR-Betrieben ist die Brucellose seit Jahrzehnten nicht mehr aufgetreten.» Aber weil das neue Gesetz auch Regeln für den Export von Tierprodukten wie tierische Samen, Eizellen, Embryonen oder tierische Nebenprodukte einschliesst, könnten Schweinebetriebe mit KB-Stationen dennoch vom neuen Gesetz betroffen sein, so die Einschätzung von Urs Zimmerli. Allerdings ist es für den Zuchtleiter der Suisag «ein grosser Vorteil beim Export lebender Zuchtschweine und Sperma, dass die Schweiz an dem EU-Veterinärraum teilnimmt», so Luther. «Sonst wären die Lieferungen in die EU schwieriger und aufwendiger.»

 

Informationssystem «Traces»

Das «Trade Control and Expert System» (Traces) ist ein tierärztliches Informationssystem für den internationalen Handel in Europa. Die Schweiz ist vollständig integriert. Via Traces sind etwa 30 000 Nutzer aus über 80 Ländern verbunden.

Damit wird der Handelsprozess im grenzüberschreitenden Verkehr von Tieren, Lebensmitteln und tierischen Nebenprodukten innerhalb der EU und imVerkehr mit Drittländern transparent abgebildet. Der Infor-mationsaustausch zwischen den Veterinärbehörden sichert die Rückverfolgbarkeit und trägt im Fall von Seuchen-ausbrüchen oder Lebensmittelproblematiken wesentlich zur raschen Aufklärung bei.

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