Zu den wichtigsten Werkzeugen der Meteorologen gehört der Wetterradar. Damit können Wolken sozusagen durchleuchtet werden. Was auf dem Bildschirm des Systems zu sehen ist, gleicht einer Röntgenaufnahme. Um daraus klug zu werden, müssen die Fachleute die Radarbilder verstehen lernen. Dabei kann ihnen das Publikum eine wertvolle Hilfe sein. Wenn die Information des Radars darauf schliessen lässt, dass es aus einer Wolke hagelt, möchten die Meteorologen wissen, ob an diesem Ort am Boden tatsächlich Hagel fällt. Dafür gibt es zwar automatische Sensoren, doch die sind dünn gesät, und Hagelschlag ist örtlich meist sehr begrenzt. Es geht nichts über Beobachterinnen und Beobachter, die via Smartphone der Zentrale melden, dass es hagelt. Benützen kann man dafür eine App von Meteo-Schweiz oder der Mobiliar-Versicherung, die in der Hagelforschung zusammenarbeiten.

Am Mobiliar Lab für Naturrisiken der Universität Bern arbeitet Olivia Romppainen-Martius. Die Professorin untersucht die Ergebnisse des Wetterradars und vergleicht sie mit den Auswirkungen am Boden. Bereits letztes Jahr wurde das Publikum aufgerufen, Hagel zu melden. 18 000 Meldungen gingen ein, die Forscherinnen und Forscher waren verblüfft über das riesige Echo. Auch dieses Jahr werden wieder Meldungen gesammelt, je mehr Informationen vorliegen, desto besser. Ausser den Beobachtungen der Hobby-Meteorologen gibt es auch Schadenmeldungen von Gebäude- und Autoversicherungen und von der Hagelversicherung, die sich seit Jahrzehnten um die landwirtschaftlichen Kulturen kümmert.

Ein dichtes Messnetz
Ziel des Forschungsvorhabens ist es, die Daten des Radars mit dem Schaden am Boden in Verbindung zu bringen. Eine Frage ist etwa: Wie sieht ein schwerer Hagelschlag im Radarbild aus? «Der Radar zeigt uns nicht die einzelnen Körner», erklärt Urs Germann, der Verantwortliche für das Radarnetz beim Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie Meteo-Schweiz. Aber aus den Daten lasse sich herauslesen, ob in der Wolke Regentropfen, Schneeflocken, Graupel oder kleine oder grosse Hagelkörner vorhanden sind. Das Radarnetz für den Schweizer Himmel ist im internationalen Vergleich ausserordentlich dicht. Fünf Radarstationen tasten ständig im Fünfminutentakt die Atmosphäre ab. Drei der Stationen (Albis ZH, Monte Lema TI und La Dôle VD) wurden vor Kurzem modernisiert, zwei (Pointe de la Plaine Morte VS und Weissfluhgipfel GR) sind neu dazugekommen, um das Netz zu verbessern. 

Besser ist auch die Technik geworden: Die Funkwellen, die aus dem Innern der Wolken zur Radarstation zurückgelangen, werden beim neuen System jetzt auf zwei Arten ausgewertet. «Damit erhalten wir mehr Informationen über die Form der Niederschläge», sagt Urs Germann. Die Grösse der Hagelkörner bestimmt die Schäden, wobei heikle Früchte- und Gemüsekulturen auch schon von kleinen Körnern zerstört werden können. Bei den Beobachtungen durch die Laien muss die Grösse der Hagelkörner angegeben werden, die geografischen Koordinaten und die genaue Zeit erzeugt das Smartphone automatisch. Nicht erfasst werden kann die äussere Form der Körner, die sehr unterschiedlich sein kann: rund, kantig, länglich, unregelmässig. Die Auswertung von Bildern wäre interessant, ist aber derzeit zu aufwendig, wie Olivia Romppainen-Martius sagt.

Hageltests für Ziegel und Storen
Es geht jetzt um das Sammeln von Erfahrungswerten für den Vergleich der Bilder des neuen Radars mit der Beobachtung des Hagels am Boden. Wenn sie ein Radarbild richtig deuten, können die Meteorologen genauere Prognosen und Alarme herausgeben. Die kritischen Bedingungen meldet ihnen das Computersystem automatisch, dann müssen die Prognostiker schnell reagieren und für die richtigen Orte Warnungen ausgeben, damit Personen und Objekte rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden können. Weil Gewitter sich schnell entwickeln und verändern, sind aktuelle Daten entscheidend für eine erfolgreiche Warnung. Früher wurde bei einem drohenden Hagelwetter grosse Hoffnung in Abwehrmittel gesetzt. Ob das Schiessen mit Hagelraketen eine Gewitterwolke entschärfen kann, ist ungewiss, stichhaltige Beweise haben die Meteorologen jedenfalls nie finden können. 

Man setzt jetzt auf Vorbeugung. Droht Hagel, sollen beispielsweise Lamellenstoren schnell hochgezogen werden, denn sie sind viel empfindlicher als die Fensterscheiben. Die von verschiedenen Seiten angebotenen Warnmeldungen lassen sich mit dem Steuerungssystem der Haustechnik verbinden, sodass die Storen ohne Zutun eingefahren werden. Schäden an Gebäuden werden auch verhindert, wenn mit robustem Material gebaut wird. 

Für Dachziegel, Verputzmaterialien, Storen, Sonnenkollektoren und Ähnliches gibt es ein Testverfahren für die Hagelfestigkeit, das an verschiedenen Prüfinstituten durchgeführt wird. Kugeln aus Kunsteis oder ähnlichem Material werden auf die Proben geschossen. Halten diese Körner von einem Zentimeter Durchmesser unbeschädigt aus, erfüllt es die Anforderung an Hagelwiderstand 1, bei Körnern von fünf Zentimetern Hagelwiderstand 5. Geprüfte Produkte sind im Hagelregister der Organisation der Kantonalen Gebäudeversicherungen (VKF) aufgeführt. Die Gebäudeversicherungen empfehlen Hagelwiderstand 3, denn Körner von drei Zentimetern sind im grössten Teil der Schweiz alle 20 bis 50 Jahre zu erwarten. In der Landwirtschaft kommen Hagelnetze zum Einsatz, sie decken bereits den grössten Teil der Tafelobstpflanzungen – das ist nicht billig, aber wirksam.

Hagel ist und bleibt unberechenbar
Die Forschungsarbeiten an der Universität Bern und bei Meteo-Schweiz in Locarno-Monti sollen einen besseren Einblick in die Vorgänge innerhalb einer Gewitterwolke bringen. Die Meteorologen möchten dann die Hagelwarnungen verbessern. Das ist nicht einfach, denn Hagelgewitter sind unberechenbar. Das zeigt sich auch daran, dass sie zwar in bestimmten Gegenden häufiger sind als anderswo, dass sie aber mal häufig und mal selten auftreten. Die Gebäudeversicherungen mussten 2009 mehr als 260 Millionen Franken für Hagelschäden an Gebäuden zahlen, 2014 waren es dagegen nur 7,5 Millionen Franken. Bei anderen Versicherungen sind die Unterschiede ebenso gross. Zum Vergleich: Für Feuerschäden mussten die Gebäudeversicherungen in den letzten Jahren nie mehr als 250 Millionen Franken zahlen.

Gewitter und vor allem Hagel werden für die Wetterkundler nicht leicht fassbar bleiben. Umso froher sind sie um die Mitwirkung des Publikums bei der Hagelbeobachtung, die nach dem Erfolg im letzten Jahr weitergeführt wird. Erste wissenschaftliche Resultate, so sagt Urs Germann, sind schon bald zu erwarten.

Die MeteoSchweiz-App ist für iOS und Android kostenlos erhältlich.