Die Kühe weiden in der Grünfläche einer Wohnzone, der Auslauf der Pferde grenzt ans Schulhaus, der Miststock steht direkt neben dem Bahngleis: Der Hof von Hitta Mehli befindet sich am Stadtrand von Chur. Die Wiesen und Äcker sind Teil eines Naherholungsgebietes. Familie Mehli versucht das Beste aus dieser Situation zu machen. Sie betreiben nicht nur Milchwirtschaft und Ackerbau, sondern halten auch noch Pensionspferde.

Mehli schmunzelt: "Früher habe ich mit der Milchproduktion die Pferdehaltung subventioniert - heute ist es umgekehrt." Neben den eigenen vier Pferden - nicht nur er, sondern auch seine Frau Doris, Sohn Christian und Tochter Alena reiten leidenschaftlich gerne - sind auf dem Hof rund 20 Pensionspferde eingestallt. "Ich habe mir immer gesagt, wenn der Milchpreis unter fünfzig Rappen fällt, höre ich mit Melken auf." Soweit ist es nicht, doch er wäre gerüstet. Die Pensionspferdehaltung wurde in den letzten Jahren zu einem tragenden Betriebszweig ausgebaut.

Heute stehen den Pferdehalterinnen (90 Prozent sind Frauen) auf dem Hof nicht nur Boxen mit und ohne Auslauf, sondern auch eine Allwetterbahn zur Verfügung, eine überdachte Reithalle und ein Reiterstübli. Die Pensionspferde werden gefüttert, gemistet, auf die Weide gebracht oder in den Auslauf geführt und rundum betreut. Wenn es sein muss auch nachts. "Dienst am Kunden", sagt Mehli schulterzuckend. Ein Dienst, der 1,5 Arbeitskräfte voll in Beschlag nimmt und von den Kunden geschätzt wird.

Jungvieh wird zur Weide gefahren

Rund die Hälfte der 42 Hektaren grossen Landwirtschaftsfläche, die Mehli bewirtschaftet, ist Grünland, auf der anderen Hälfte werden Getreide, Mais, Raps und Eiweisserbsen angebaut. Bei der Ernte gibt es immer wieder Überraschungen. In den Wiesen sind es dicke Knüppel, die häufig ins Mähwerk geraten. Sie stammen oft aus dem Rhiiwäldli, wurden von Hunden angeschleppt und irgendwann in der Wiese liegengelassen.

Im Maisacker ist wegen der grossen Blumentöpfe höchste Aufmerksamkeit beim Maishäckseln gefordert. Blumentöpfe? "Ich meine so grosse Pflanzkübel," Mehli formt mit beiden Armen einen Ring, "aber die sind dann schon abgeerntet." Abgeerntet? "Ja, nur selten hat es noch ein paar vertrocknete Blätter dran." Töpfe, Ernte, Blätter? Wie bitte? "Vermutlich sind denen die Kübel zu schwer, um sie wieder rauszutragen." Verständlich.

Aber warum um alles in der Welt trägt sie überhaupt jemand ins Maisfeld hinein? Mehli grinst: "Hanf." Oha! "Sobald der Mais hüfthoch ist, werden die Kübel im Feld deponiert." Für Selbstversorger ist der Mais offenbar eine ideale Mischkultur, denn er schützt die THC-haltigen Pflanzen vor den Blicken der Gesetzeshüter. "So wie der Hanf wächst, wächst auch der Mais." Und wenn der Hanf reif ist, löst er sich im wahrsten Sinne des Wortes in Rauch auf - nur die Pflanzkübel bleiben als Abfall zurück.

Kacke im Brot

Abfall ist für einen Bauern in Stadtnähe ohnehin ein Dauerthema. Vor allem Hundekot ist omnipräsent. Allzu oft landet der Kot fein säuberlich im Plastiksäckli verpackt im Feld. Das Aufstellen von Tafeln scheint wenig zu nützen. "Da hilft nur Scheuklappen zulegen," sagt Mehli schulterzuckend, "sonst wären meine Haare noch weisser als weiss."

Gelegentlich versucht er es auf die pädagogische Tour: "Einmal habe ich einen Hündeler gefragt, ob er auch gerne ins Café Merz gehe. Und ob er gerne Brot oder Gebäck dort esse. Woll, woll hat er gesagt. Dann hab ich ihm erklärt, dass das Mehl für das Gebäck von der Mühle dort hinten kommt. Und der Weizen für die Mühle von hier vorne, also von da, wo sein Hund gerade hingekackt hat." Der Hundebesitzer habe seinen Hund dann zwar sehr schnell zu sich gepfiffen. Aber ob der Lerneffekt wirklich anhält? Mehli zweifelt.

Der Stadtbauer hat zwar einiges zu erzählen, er will aber nicht klagen. "Es gibt auch ganz normale Leute hier. "Manche stellen Fragen, zum Beispiel, warum er das Getreide spritze. "Dann kann ich erklären, dass ich Herbizide einsetze, weil ich die Zeit zum Handjäten schlicht nicht habe. Das verstehen sie meistens." Weniger Verständnis haben die Leute für Fragen der Tierhaltung. "Es kommt schon mal vor, dass eine Kuh auf der Weide kalbert. Damit habe ich kein Problem, denn das sind die einfachsten Geburten."

Bettdecke über Kalb

Aber wehe, es weht kurz darauf ein kühles Lüftchen! Dann klingelt das Telefon bei Mehlis Sturm. "Einmal hat sogar jemand eine Bettdecke über ein Kalb geworfen." Mehli schüttelt den Kopf. "Im Sommer sind unsere Kühe grösstenteils auf der Alp Maran bei Arosa. Dort ist es auch nicht immer warm." Dass die Leute in einer so ländlich gelegenen Stadt wie Chur nicht wissen, dass das Rindvieh mit Kälte keine Probleme hat, findet er bedenklich.

Die Stadtmenschen haben auch wenig Ahnung von der modernen Landwirtschaft. Im Sommer hörte er einmal zufällig, wie sich zwei ältere Damen am Rand einer Weide unterhielten: "Es ist einfach nicht mehr wie früher. Die Kühe haben keine Hörner mehr und ihre Glocken sind so klein, dass sie nicht einmal klingen." Mehli lacht. Die vermeintlich tonlosen Glocken waren nämlich gar keine Glocken, sondern Responder-Halsbänder, das sind Sender für die Kraftfutterstation im Stall. Anhand dieser Responder erkennt der Automat, ob die jeweilige Kuh ihre Tagesration bereits abgeholt hat oder ob sie versucht, mehr zu bekommen, als ihr zusteht.

Damenfahrt auf dem Traktor

Apropos Glocken: Kann man Tieren in Stadtnähe überhaupt welche anlegen? Mehli nickt. "Nur keine grossen Glocken, sonst hat man gleich die Polizei am Hals. Aber die Kälber tragen Glöckli." Er erinnert sich auch an sehr positive Begegnungen. "Einmal war ich gerade mit dem Traktor dabei, Heu zusammennehmen, da kam eine ältere Velofahrerin, so um die siebzig, querfeldein auf mich zu. Sie hat gefragt, ob sie eine Runde mitfahren dürfe. Das Heu dufte so wunderbar und es erinnere sie an ihre Kindheit."

Wie hätte Mehli da nein sagen können! Die ältere Dame verbrachte fast zwei Stunden auf dem Notsitz seines Traktors und fragte ihm ein Loch in den Bauch. "Sie war so begeistert, dass sie einen Leserbrief an die Zeitung schrieb, der sogar abgedruckt wurde." Das Leben als Stadtbauer hat durchaus auch schöne Seiten. Mehli kann sogar der vielbefahrenen Strasse etwas Positives abgewinnen: "Die Kirschen von unseren fünf Hochstammbäumen verkaufen wir alle über einen Stand an der Strasse. Es dauert keine zwei Wochen, dann sind sie weg."

Sein Ziel ist ein friedliches Nebeneinander. "Die Städter sollen Schweizer Produkte essen und uns in Ruhe arbeiten lassen." Bei der Arbeit auf dem Hof ist er der Chef. Doch langsam denkt Mehli, Jahrgang 61, darüber nach, das Zepter seinem Sohn in die Hand zu drücken und sich von ihm anstellen zu lassen.

Christian ist ausgebildeter Landwirt und hat zusätzlich noch eine kaufmännische Lehre absolviert. Eine gute Kombination angesichts des Papierkrams, der heute in der Landwirtschaft anfällt. Mehli kann ihm einen gesunden Betrieb übergeben - aber keine Erweiterungsmöglichkeiten, zumindest nicht an diesem Standort. "Hier wäre nur ein Neubau möglich, aber keine Vergrösserung."

Mehr als 35 bis 40 Kühe gingen auch in einen neuen Stall am gleichen Ort nicht hinein. Aktuell produziert Mehli 250'000 Kilo Milch. Das ist mehr als der Schweizer Durchschnitt. In ein paar Jahren könnte es jedoch weniger als der Durchschnitt sein. Gut möglich, dass der Betrieb später noch stärker auf die Pensionspferde setzt. Zumal die Leute eher bereit sind für ein Hobby viel Geld auszugeben als für den Kauf von Lebensmitteln.

Eveline Dudda, lid