Benedikt Weibel, der ehemalige CEO der SBB, liebt Geschichten. Am Freitag hat er am Swiss Agroforum in Bern zusammen mit dem Herzchirurgen Thierry Carel und Divisionär Daniel Baumgartner erklärt, was man als Chef machen kann und muss, um auch in schwierigen Situationen wieder den Boden unter den Füssen zu spüren. Das Fazit könnte etwa so lauten: Man muss in der Lage sein, eine Geschichte zu erzählen, die motiviert und anspornt.

Weibel beginnt dabei mit Ernest Shackleton. Shackleton brach im Dezember 1914 zu einer Antarktis-Expedition auf. Schon nach kurzer Zeit steckte das Schiff und die 27-köpfige Mannschaft im Packeis fest. Was dann begann, war ein fast zwei Jahre andauernder Kampf ums Überleben. Weil es Shackleton gelang, seiner Mannschaft auch angesichts grösster Unsicherheit Hoffnung zu machen, „ist er in meinen Augen einer der komplettesten Führer, die mir bekannt sind“, sagt Weibel. So hätte selbst Shackleton die Hoffnung verloren, dass es mit der Rettung klappen würde. Die Mannschaft habe von dem aber nichts mitbekommen. Shackleton hat zwar nie einen Hehl aus der schwierigen Situation gemacht. Dass er aber darüber innerlich schon aufgegeben hat, das hat er seiner Mannschaft verschwiegen. 

Das Wohlbefinden soll nicht über den Entscheidungen stehen

Weibel spricht in diesem Zusammenhang vom Schauspieler-Ich und dem Real-Ich. Wenn man sich als Führungskraft von Emotionen leiten lasse, „und sich genauso verhält, wie man sich fühlt, dann hat das Konsequenzen“, meint Weibel. Meistens, so die These von Weibel, ist mit negativen Konsequenzen zu rechnen. Im Verständnis von Weibel geht es darum, auch in kritischen Situationen der Mannschaft Hoffnung und Zuversicht zu geben. Dabei geht es nicht darum, die kritischen Punkte zu verschweigen oder auszublenden. Im Gegenteil geht es darum, tatsächlich auch Lösungen zu finden, die umsetzbar sind. Und dazu muss man zuerst einmal wissen, um was es geht. Ob man sich dabei als Chef wohl fühle oder nicht, müsste nach Weibels Credo eine untergeordnete Rolle spielen. 

So wenig wie möglich, so viel wie nötig

Auch in kritischen Situationen ist das Wohlbefinden des Chefs zweitrangig. „Schönwetterkommunikation, das kann jeder“, sagte Divisionär Daniel Baumann. „Aber wenn es stürmt, dann muss man selbst hin stehen. Das geht nicht anders“, sagt er. Baumgartner hat die Logistikbasis der Armee saniert und musste verschiedentlich zu Materialverlusten Stellung nehmen. Auch innerhalb der Logistikbasis musste Baumgartner hin stehen. „Als Chef muss man entscheiden. Wenn man das nicht macht, dann beginnt jedes Teammitglied das aus seiner Sicht Beste zu machen. Aber das ist nicht unbedingt das Beste für das Unternehmen“ sagt Baumgartner. Er plädiert für eine Führungskultur, bei der der oberste Chef zwar möglichst viel Entscheidungsfreiheiten „nach unten delegiert“, aber nie die Kontrolle verliert. Baumgartner verlangt von seinen Leuten deshalb vor allem Loyalität und Einsatzbereitschaft. Gleichzeitig versucht er, die schwachen Leute im System so gut wie möglich zu schützen und die Stärken der Angestellten optimal zu nutzen. „Über all dem ist aber wichtig, dass man Mensch bleibt“, findet Baumgartner, der seit 1. April 2016 Kommandant Heer ist.

Mensch bleiben und Sicherheit geben

Auch der Herzchirurg Thierry Carrel hat ein Herz für Menschen. Einerseits, weil er als Herzchirurg Patienten helfen will. Andererseits, weil er auch seinen Assistenten und Mitarbeitenden helfen will. Damit im Operationssaal auch in hektischen und stressigen Situationen alles funktioniert, ist Carrel auf zwei Dinge angewiesen: klare Kommunikation und klare Zuständigkeiten. „Kommunikation ist wichtig. Aber gerade in einem Operationssaal haben private Gespräche überhaupt nichts zu suchen“, findet er. „Entweder spricht jemand, um etwas zu koordinieren, um ein Problem zu lösen oder um etwas zu erklären“, sagt Carrel. Die Struktur helfe, Fehler zu vermeiden und auch dem Team Sicherheit zu geben. „Ist man unsicher und ängstlich, kann man nicht das volle Potenzial abrufen“, sagt Carrel. Es sei eine Führungsaufgabe, Ängste abzubauen und Sicherheit zu geben. Damit könnte man auch dann noch zusammenarbeiten und gemeinsam lernen, wenn Fehler passieren würden. „Fehler gehören leider dazu. Wichtig ist bei uns, dass man sie bis auf den Grund diskutiert und herausfindet, was man besser machen kann.“

hja