Seit Kurzem erst ist Christoph Räss (24), der gelernte Landmaschinenmechaniker, nicht mehr auswärts angestellt. Simon Räss (28) kam nach seinem Masterstudium in Betriebswirtschaft bereits vor einem Jahr zurück auf den Hof im Zürcher Weinland.

Doch eingefädelt hat die Familie nicht nur die Übergabe, sondern auch die Neuausrichtung bereits vor ein paar Jahren. Der Vater Hans Räss betrieb Milchwirtschaft, hatte einen kleinen Rebberg und spezialisierte sich Mitte der 90er-Jahre auf die Produktion von Kartoffeln.

Er belieferte grosse Schweizer Kartoffelverarbeiter. „Schon damals suchte man nach Nischen, um sich erfolgreicher im Markt zu behaupten”, sagt er heute nüchtern.

Geholfen hat ihm das milde Klima des Zürcher Weinlandes. Vor drei Jahren begann Hans Räss mit dem Anbau von Aronia-Beeren und wurde zusammen mit einem Berufskollegen mit je 15 Hektaren gleich einer der grössten Produzenten in der Schweiz.

Die Nachfrage nach den herben, gesunden Beeren war riesig. Bereits zu diesem Zeitpunkt halfen die beiden Söhne mit, die Zukunft in die richtigen Wege zu leiten.

Simon, der im Nachbardorf zuerst eine kaufmännische Lehre absolvierte, später die Berufsmatura machte und in Zollikofen Agronomie studierte, wusste, was er wollte: zurück auf den Hof.

Sein Bruder Christoph lernte Landmaschinenmechaniker, arbeitete in verschiedenen Betrieben und auch er wusste, wo seine Zukunft lag.

Im zweiten Umstellungsjahr zum Bio-Hof

„Wir haben unsere Söhne nicht gedrängt, den Betrieb zu übernehmen”, sagt Hans Räss. „Im Gegenteil, eher rieten wir ihnen, etwas zu lernen, das ihnen auch ausserhalb des Betriebes eine Existenz sichern kann.”

Ein Input von Christophs Freundin, die als Drogistin in einer Kräuter- und Gewürzmanufaktur arbeitet, brach die Brüder auf die Idee, mit weiteren Wildbeeren zu experimentieren. Speziell die Goji-Beeren, welche bei der Kräuter- und Gewürzmanufaktur sehr weit oben auf der Hitliste steht, legte sie den beiden Brüdern ans Herz.

Ein Versuchsgarten mit verschiedenen Wildbeerenarten und seltenen Früchten wurde angelegt, gleichzeitig leiteten sie die Umstellung für die Produktion nach den Richtlinien von Bio Suisse ein.

Heute befindet sich der Hof im zweiten Umstellungsjahr zum Knospenbetrieb. „Das war die richtige Entscheidung”, sind sich die drei Männer einig.

Nachdem Simon das Studium beendet hatte, setzte er sich zusammen mit seinem Bruder intensiv mit dem Anbau von Goji-Beeren auseinander. Er wollte mehr wissen über diese spezielle Beerensorte, die wegen ihrer wichtigen Inhaltsstoffen wie Vitaminen, Antioxidantien und sekundären Pflanzenstoffen das Gesundheitsbewusstsein der modernen Menschen beflügelt.

Sie sahen, dass auch hiesige Konsumenten den wenigen Produzenten europaweit die Beeren fast aus der Hand reissen. Bislang kamen die Goji-Beeren fast ausnahmslos aus China und internationale Medien warnten schon länger vor den zu hohen Pestizidrückständen.

„Was die Chinesen und die wenigen Europäer können, produzieren wir noch besser und zwar in Bio-Suisse-Qualität.” Grosse Worte und ein Versprechen, das es einzulösen galt.

Simon reiste allein oder zusammen mit seinem Bruder zu zahlreichen Produzenten zwischen Polen und Bologna. In unzähligen Baumschulen suchte er nach gesundem Pflanzmaterial und reiste gar für hochkarätige Fachvorträge 1‘000 Kilometer weit.

Hohe Investitionen

Heute wachsen nur noch auf einer einzigen Hektare Kartoffeln, 25 Hektaren sind mit Beerenplantagen bepflanzt, allen voran Aronia-, Johannis- und Heidelbeeren. Dann folgen Goji-, Mai- und Stachelbeeren sowie Sanddorn, Kiwis, Kakis, Indianerbananen und viele andere Raritäten. Bis in zwei, drei Jahren soll die Beerenplantage nochmals um fünf Hektaren erweitert werden.

„Die Investitionen sind hoch”, sagt Simon Räss. Man spreche schnell von 20‘000 bis 200‘000 Franken pro Hektare, inklusive Bewässerung und Überdachung. Deshalb sei man froh, dass der Vater mit den Kartoffeln bereits ein beachtliches Unternehmen aufbauen konnte und ihnen nun bei der strategischen Neuorientierung Hand biete.

„Wir setzen klar auf eine Nischenproduktion und müssen uns in keinem Verdrängungsmarkt behaupten”, sind sich die Brüder einig. Auch wenn sie heute bereits 200 Kilogramm Heidelbeeren pro Tag abliefern, nähmen ihnen die Handelsunternehmen ein Vielfaches ab.

Man will sich fortan auf die Herstellung der zukunftsträchtigen Wildbeeren konzentrieren, allen voran Aronia und Goji, die den Ruf haben, die gesündesten Beeren der Welt zu sein.

Gemeinsames Essen hat Tradition

Die beiden Brüder treten die Nachfolge mit viel Zuversicht an und glauben, dass sie die Wertschöpfung ihres Unternehmens massiv steigern können. „Wir sind überzeugt, dass in Zukunft drei Familien vom Betrieb leben können”, sagt Simon Räss.

Schon heute arbeiten neben den Familienmitgliedern ein polnisches Ehepaar und zwei Lernende auf dem Hof mit. Die Lernenden bewirtschaften zusammen mit Vater Hans die übrigen Fruchtfolgeflächen, kümmern sich um den Rebberg und die 200 Schweine.

Während der Erntezeit arbeitet man mit Teilzeitangestellten und Flüchtlingen, gegessen wird immer gemeinsam. Zu diesem Zweck baut die Familie Räss im Moment den früheren Kuhstall zu einer Kantine um.

„Das gemeinsame Essen mit den Angestellten hat bei uns Tradition und soll weiterhin gepflegt werden”, sagt Christoph Räss, der sich neben dem Maschinenpark und dem Unterhalt auch ums Personal kümmert. Er fährt auch regelmässig nach Ossingen auf den Markt und in Zukunft soll auch ein Hofladen betrieben werden.

Welche Folgerungen ziehen die beiden Jungunternehmer aus ihren bisherigen Erfahrungen? „Der Glaube an den Erfolg muss grösser sein als der Respekt vor Misserfolg”, sagt Simon und Christoph nickt vielsagend.

Ruth Bossert, lid