In wenigen Tagen startet die Kirschenernte – zunächst im Wallis, etwas später dann in den übrigen Regionen. Die Prognosen sehen schweizweit gut aus. Die Obstbranche rechnet nach den Rekorderträgen im letzten Jahr abermals mit einer Grossernte (siehe Textbox). Während bei den Tafelkirschen eine marktkonforme Menge erwartet wird, bereiten die Konservenkirschen der Branche Kopfweh. Dies, obwohl die geschätzten 928 Tonnen keiner übermässig grossen Ernte entsprechen, sondern ziemlich genau im Durchschnitt der letzten zehn Jahre liegen (977 Tonnen).

Unsicherheit bei den Obstbauern

Trotzdem rechnet die Obstbranche mit einer schwierigen Vermarktung. Denn Obstproduzenten, Händler und Verarbeiter konnten sich an einer gemeinsamen Sitzung Ende Mai nicht auf einen Richtpreis einigen. "Das gab es noch nie", erklärt Hansruedi Wirz, Präsident des Produktzentrums Kirschen/Zwetschgen des Schweizer Obstverbandes. Zudem habe ein grosser Verarbeiter angekündigt, in diesem Jahr nur geringe Mengen zu übernehmen.
Unsichere Preise, unsicherer Absatz: "Mit einer solchen Situation haben wir keine Erfahrung", erklärt Wirz. "Wir tappen im Dunkeln." Bis jetzt sei es wie ein ungeschriebenes Gesetz gewesen, dass die Verarbeiter den grössten Teil der Ernte übernommen hätten.

Lager sind noch gut gefüllt 

Dass die Verhandlungen schliesslich scheiterten, hat mit den unterschiedlichen Preisvorstellungen zu tun. Die Verarbeiter drängten auf einen tieferen Richtpreis als im Vorjahr. Ihre Argumentation: Als 2013 das Konservenkirschen-Angebot klein war, die Nachfrage aber gross, habe man die Produzentenpreise erhöht. Nun müssten sie runter, weil heuer das Angebot gross, die Nachfrage aber bescheiden ist. Ins Feld führten die Verarbeiter, dass sie teils noch über gut gefüllte Lager aus dem Grosserntejahr 2014 verfügen und diese Kosten von monatlich rund 5 Rp./kg verursachen. "Wir können nicht einfach einen beachtlichen Anteil der diesjährigen Ernte übernehmen und diese Mengen wie ein Schneepflug wieder ins nächste Jahr schieben", erklärt Philipp Käppeli, Geschäftsführer der Agrofrucht-Inn AG. "Was, wenn es im nächsten Jahr nochmals eine grosse Ernte gibt?"

Nebst der Lagersituation spielte die Frankenstärke eine wesentliche Rolle beim Scheitern der Richtpreis-Verhandlungen. Exporte seien seit Mitte Januar, als die Nationalbank den Mindestkurs aufhob, kaum mehr möglich, so Käppeli. Dafür sind durch die Frankenaufwertung Importe auf einen Schlag attraktiver geworden, zumal es für verarbeitete Konservenkirschen kaum Grenzschutz gibt.

Druck auf Preise 

Bleiben nun die Kirschen an den Bäumen hängen? Beat Gisin, Geschäftsführer der Landi Reba AG, welche im Steinobstgrosshandel tätig ist, glaubt das nicht. Alleine schon wegen der Kirschessigfliege dürfe dies nicht passieren. Denn Früchte, die nicht geerntet würden, dienten diesem vor kurzem in die Schweiz eingewanderten Schädling als Brutstätte. Gisin ist "verhalten optimistisch", dass die Branche in dem knappen Monat, der bis zur Ernte der Konservenkirschen bleibt, doch noch eine Lösung findet. "Wir sind bereit, auf einen Teil der Marge zu verzichten", sagt Gisin. Aber auch die Bauern müssten ihren Teil dazu beitragen.

Ähnlich schätzt Philipp Käppeli die Lage ein. "Wir wollen nicht, dass es zu einem Kollaps kommt." Wenn alle Akteure bereit seien, einen Beitrag in Form geringerer Margen zu leisten, werde man die diesjährige Ernte verwerten können, ist sich Käppeli sicher. Für die Obstproduzenten sei eine Preissenkung das kleinere Übel, wenn man damit die Mengen langfristig stabil halten könne. "Schlimmer ist es, wenn grosse Industriebetriebe wegen des schwachen Euros auf den Import von billigeren Import-Konservenkirschen umschwenken."

Sorgenkind Konservenkirsche

Für Branchenkenner kommt die jetzige Situation nicht unerwartet. Während der Anbau von Tafelkirschen modernisiert wurde und wegen guter Nachfrage und des Grenzschutzes lukrativ ist, ist die Produktion von Konservenkirschen seit längerem stark unter Druck. Seit Inkrafttreten der Bilateralen II im Jahr 2005 werden für verarbeitete Landwirtschaftsprodukte kaum noch Zölle erhoben. Der Abbau des Grenzschutzes begünstigte Importe und verschärfte damit den Wettbewerb. Der Bund gleicht zwar den Preisunterschied zwischen ausländischen und inländischen Konservenkirschen zu 50% aus, indem er Lebensmittelherstellern einen Beitrag zahlt, wenn diese Schweizer Kirschen verarbeiten (43 Fr./100 kg). Schweizer Konservenkirschen können dennoch nicht mit den billigeren ausländischen Früchten mithalten.

Erschwerend kommt hinzu, dass Konservenkirschen nur beschränkt von einem Swissness-Bonus profitieren. "Je verarbeiteter ein Produkt ist, desto weniger spielt die Herkunft der Rohstoffe eine Rolle", erklärt Beat Gisin. Dies im Gegensatz zum Frischkonsum, wo Regionalität und Emotionalität wichtig seien, so Gisin.
Der Bedarf an Konservenkirschen ist in den letzten 20 Jahren stark zurückgegangen. Damit gerieten auch die Hochstammbäume in die Defensive. Denn diese sind noch immer die Hauptlieferanten von Konserven- und Brennkirschen. Doch Pflege und Ernte sind bei Hochstämmern deutlich aufwändiger und beschwerlicher als von Niederstammbäumen. Das rentiert nur, wenn die Preise stimmen. Und das war oft nicht mehr der Fall in der Vergangenheit.

Michael Wahl, lid