Fast surreal wirken die grünen Flecken und Gewächshäuser, die zwischen den Felsbrocken und dem Wüstensand in der heissen Sonne schimmern. «Hier zapfen wir unterirdische Wasserquellen an», verrät der junge Mann im rotbraunen Gewand. Salem El Hinaney ist Beduine und bewirtschaftet am Ortsrand von St. Katharina im Süden der Sinaihalbinsel mit seinem Vater einen Obst- und Gemüsegarten.

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Eine reiche Ernte

Bei einer Tasse zuckersüssen Salbeitees sitzt er im Schatten eines Palmwedeldaches. Selbst im Winter brennt tagsüber die Sonne auf dem Hochplateau noch immer erbarmungslos hernieder. «Im Sommer kann das Thermometer hier schon mal auf 50 Grad steigen», erzählt Salem.

Wie ein grosser Sandkasten wirkt der Garten um das Haus von Salem El Hinaney. Aus dem kargen Gelb ragen Bäumchen und Pflanzen hervor. In den Wintermonaten können hier Feigen, Mandeln, Äpfel, Granatäpfel und Quitten geerntet werden, aber auch Kräuter wie Minze und Rosmarin – und der Salbei für seinen Tee. Stolz zeigt Salem auf einen reich mit Oliven behangenen Baum. Die Oliven-Auflage wurde hier mit einer Weissdorn-Unterlage veredelt. An einem anderen Baum wachsen Quitten und Mandeln an ein und demselben Stamm.

Gegründet im 6. Jahrhundert

Das Anlegen von Gärten und dieses Wissen, zum Beispiel bis zu drei verschiedene Obstsorten an einem Baum zu veredeln, geht auf die byzantinische Zeit zurück, als Tausende von Eremiten, Mönche und Siedler vom Mittelmeer in den Südsinai zogen. Im 6. Jahrhundert gründete der byzantinische Kaiser Justinian am Fuß des heutigen Mosesbergs das Katharinenkloster, in dem Sinaipilger Schutz und Unterkunft fanden.

Noch heute leben um das Kloster herum Beduinen vom Stamm der Dschebillan, deren Vorfahren im 6. Jahrhundert aus dem südöstlichen Europa (dem heutigen Mazedonien) eingewandert sind. Sie waren ursprünglich Christen, konvertierten später aber zum Islam, der heute vorherrschenden Religion in Ägypten. Durch Heirat vermischten sie sich mit den Beduinenstämmen des Sinais.

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Die Sinai-Halbinsel gehört zu Ägypten und hat ein deutlich kühleres Klima als das restliche Land. (Karte mi)

Die wahren Wüstensöhne

In Ägypten – mit einer Wüstenfläche dreimal so groß wie Deutschland – werden die Beduinen als die «wahren Söhne und Töchter der Wüste» bezeichnet. Sie leben fast ausschliesslich auf der Sinaihalbinsel und unterteilen sich in Familienstämme. Die einen leben vom Tourismus und Fischfang an der Küste, die anderen ziehen mit ihren Ziegen- und Schafherden auf der Suche nach Futter und Wasser durch die Wüste.

Nur die Dschebillan-Beduinen machten es sich zur Aufgabe – neben der Betreuung ihrer Ziegenherden – in der kargen Wüste Gärten anzulegen. Das Wissen und die Ideen dafür erhielten sie durch ihre besondere Beziehung zum Katharinenkloster und seinen Mönchen. Noch heute arbeiten viele Beduinen im Kloster und dessen Gärten.

472 verschiedene Kräuter

Die Sinai-Halbinsel ist vor allem für ihre Kräuter bekannt. Allein im Südsinai gibt es 472 verschiedene Heil- und Gewürzkräuter. In den Gewächshäusern von St. Katharina werden sie – neben Gemüse – für die Vermarktung in der ägyptischen Hauptstadt Kairo oder an der Küste mit ihren vielen Hotels angebaut. Die wichtigsten Kräuter sind Oregano, Rosmarin, Minze, Myrrhe und Salbei. Viele der Kräuter wachsen auch in Berggärten. St. Katharina liegt auf einem 1600 Meter hohen Plateau, umgeben von zerklüfteten Bergen, die wiederum von Trockentälern durchschnitten sind. Entlang dieser Trockentäler, die in alle Richtungen abgehen, befinden sich Hunderte oft uralter Gärten.

Typisch für die Gärten ist, dass sie von hohen Steinmauern umgeben sind. Zum einen schützen die Mauern vor der Fressgier wilder Tiere oder Ziegenherden, zum anderen vor den Wintersturzfluten. Denn «drei bis vier Mal im Jahr zur Winterszeit regnet es – dann aber richtig», so Salem El Hinaney. Vier bis zehnmal mehr wie anderswo im Land. Manchmal regnet es so heftig, dass der ganze Jahresniederschlag in wenigen Stunden niederprasselt.

Schneller Wasserabfluss

Da 75 bis 85 % der Region aus rotem Granitfels bestehen, fliesst das Wasser bei wolkenbruchartigen Niederschlägen sehr schnell ab und formiert sich in den Tälern und Schluchten zu Sturzbächen. Um diese zeitweise auftretenden Wassermassen zu nutzen, sind die Gärten sozusagen im trockenen Flussbett angelegt. Über Kanäle fliesst das Wasser in die Gärten und was nicht gebraucht wird zu Auffangtanks, Brunnen oder Bäumen.

Ein Teil des Wassers wird auch von Dämmen aus weichem und porösem Vulkangestein aufgefangen. Der Rest versickert im Sand und füllt die unterirdischen Quellen auf. In den Bergen liegen diese Quellen auf 6 bis 7 m, unten in St. Katharina 15 bis 20 m unter der Oberfläche.

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Schnee in der Wüste

Kurioserweise ist auch die Wasserressource Schneeschmelze nicht zu unterschätzen. «Viele der Berge sind hier über 2000 m hoch und da kann es im Winter empfindlich kalt werden und sogar schneien», erklärt Salem. Den Gartenbesitzern in den Bergen ist Schnee lieber als starker Regenfall, denn Schnee versickert langsam im Boden und trägt so ebenfalls zum Auffüllen der unterirdischen Wasserquellen bei. Denn auf die sind die Gartenbesitzer die meiste Zeit des Jahres angewiesen – dann, wenn es heiss und trocken ist.

«Diese Art von Gärten gibt es nirgendwo sonst in Ägypten», schwärmt Zoltan Matrahazi. «Mit Temperaturen zwischen 10 bis 15°C ist es kälter als im übrigen Sinai, daher wächst hier vieles, was im restlichen Ägypten so gut wie unbekannt ist». Er weiss von Obst- und Nussbäumen wie Mandeln, Äpfel, Pfirsich und Pflaumen, die nirgendwo sonst im Land wachsen, und – durch die Veredelung mit einheimischen Stammhölzern, seit Jahrhunderten an den Boden und das extreme Klima der Sinaiberge angepasst – ausgezeichnet gedeihen.

Zoltan hat für ein Entwicklungshilfeprojekt der EU Wanderwege im Südsinai kartiert und einheimische Wanderführer ausgebildet, um die Gärten für den Tourismus zu erschliessen. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese wertvollen Gärten an die Öffentlichkeit zu bringen und das Buch «Sinai Gardens» veröffentlicht.

Ausgeklügelte Bewässerung

In Begleitung der Bergführer Abdul El Mineme und Mohammed Saed Saleh geht es auf die Suche nach diesen versteckt liegenden Gärten. Von einer Anhöhe hinter St. Katharina bietet sich ein atemberaubender Blick hinein in die grandiose Berglandschaft. Das «St. Katherine Protectorate» ist Naturschutzgebiet und umspannt mit seinen 4300 km2 das gesamte Gebirgsmassiv des Südsinais. Mit seinem Zentrum, dem Katharinenkloster, zählt es seit 2002 zum Unesco-Welterbe.

Nach einer Stunde Fussmarsch kommen wir in den Garten El Freish. Hier wachsen Feigen, Mandeln, Oliven, Datteln, Kräuter und Tabak. Abdul pflückt frische Mandeln und Datteln aus den Bäumen. Nach weiteren 40 Minuten über Stock und Stein ein Berggarten, der zum Katharinenkloster gehört. Der wird «besonders gut bewirtschaftet», so Abdul.

Ein ausgeklügeltes System aus Bewässerungsrinnen durchzieht den sandigen Boden. Die Kanäle sind liebevoll aus den Steinen des Sinais konstruiert. Die Oliven- und Aprikosenbäume sind in Erdmulden gepflanzt und von einem Kreis aus Steinen eingefasst – damit nicht ein Tropfen des kostbaren Bewässerungswassers verloren geht. Es ist ruhig in den Gärten. «Freitag ist unser freier Tag, so wie bei euch der Sonntag», erklärt Mohammed. Aus trockenen Palmwedeln entzündet er ein Feuer und setzt den Teekessel auf. Mit seinem Kollegen macht er es sich im Sand bequem und rollt sich aus hausgemachten Tabak Zigaretten.

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Erntehilfe möglich

Wieder unterwegs, zeigt Mohammed Saed Saleh auf dieses oder jenes zwischen den Felsbrocken wild wachsende Kraut: «Das hier ist ‹Za'atar›, das dort Oregano.» Da ein Kraut gegen Zahnschmerzen, dort eins gegen Bauchschmerzen, und ein anderes für kranke Kinder. «Neunzehn unserer Kräuter wachsen nirgendwo sonst auf der Welt», erklärt er stolz. Der 24-Jährige hat viel von seinem Onkel gelernt, dem inzwischen weit über St. Katharina hinaus bekannten Dr. Ahmed Mansour. Dessen grosser Kräutergarten liegt eine gute Stunde Fussmarsch entfernt am Ende des Wadi Itlah. «Wadi» nennen die Beduinen ein trockenes Flussbett, dass nur während starker Regenfälle Wasser führt. Auch Dr. Ahmed’s Garten steht Interessierten täglich für einen Besuch offen. Das kann als Tagestour von St. Katharina aus oder als Teil einer Mehrtagestour mit Übernachtung im Garten organisiert werden. Inzwischen haben sich zahlreiche der Beduinengärten zu einfachen Lodges entwickelt. Wer möchte, kann länger bleiben und vielleicht bei der Gartenarbeit oder Ernte helfen.

«Tourismus ist eine Chance für unsere Gärten», sagt Abdul El Mineme. Denn er beschert den Gartenbesitzern nicht nur ein willkommenes Einkommen, sondern trägt auch dazu bei, das alte Gärtnerwissen am Leben zu erhalten. Es ermutigt die junge Generation, weiterzumachen – anstatt wie es in den letzten Jahren immer mehr geschah – auf der Suche nach Arbeit in die Tourismuszentren ans Rote Meer abzuwandern.