Mit geradem Rücken, elegantem hellblauem Hemd mit passendem Pullover gekleidet, sitzt Bernhard Fraefel im Malzimmer der Klinik für Langzeitpatienten St. Katharinental.

Mit dem Pinsel und goldgelber Wasserfarbe tüpfelt er ein Kornfeld. In der Mitte des Bildes hat der bald 93-Jährige einen stattlichen Lindenbaum gemalt, im Hintergrund zeichnen sich sanfte Hügel ab, die Hälfte des Gemäldes wird von einem blauen Sommerhimmel mit Schönwetterwolken beherrscht.

«Ich will nicht einfach spurlos verschwinden, sondern noch etwas machen, das mir Freude macht», sagt der ehemalige Landwirt aus Weingarten TG, der sein Dorf und seine beiden Stuben auf dem Hof  Sommerau vor einem halben Jahr wegen eines Sturzes und mehreren Blessuren verlassen musste.


Ein Haus voller Frauen und doch nicht verheiratet


«Wenn der Frühling kommt, dann gehe ich wieder für ein paar Tage ham», sagt er und seine Augen strahlen. Noch einmal den Frühling erleben, dorthin, wo er vor 93 Jahren geboren wurde und sein Leben verbrachte, der Weiler am Fusse des sonnigen Immenberges, umgeben von Obstbäumen, vielen saftigen Wiesen und mit der Aussicht auf die Alpenkette.

Auch wenn Bernhard Fraefel es immer gut mit den Frauen konnte – ein paar hätten ihm auch ganz gut gefallen – sei er ledig geblieben, erzählt er zwischen den Pinselstrichen. Einmal war auch etwas «Ernsteres» dabei, doch der Vater habe schnell mal abgewunken. «Ich habe mich dann halt gefügt, ich wollte es nicht ‹vercheiben› mit ihm», sagt er und die paar Frauen im Malatelier, die mit spitzen Ohren das Gespräch verfolgen, lächeln.


Frauen gab es im Haushalt Fraefel aber trotzdem genug. Mit fünf Schwestern und zwei Brüdern ist Bernhard Fraefel aufgewachsen, und weil seine Mutter bei der Geburt ihres jüngsten Kindes im Winter 1929 im Kindbett gestorben ist, wurden sie von Haushälterinnen betreut. «Wir hatten es gut», sagt er heute, auch wenn eine Schwester leicht behindert war, ein Bruder an Tuberkulose erkrankte und mehr Kinder am Tisch sassen, als dass sie Kühe im Stall hatten.


Der Scholle immer 
treu geblieben


Man hat sich damals gegenseitig ausgeholfen, und so gab es für den jungen Bauernsohn auch nichts anderes, als den Betrieb im Jahr 1955 zu übernehmen. Nachdem sein Vater zwei Jahre später gestorben sei, habe er zusammen mit zwei Schwestern auf dem Hof Sommerau gelebt. Eine davon, die Zita, habe 40 Jahre lang die Post geführt. «Das war praktisch, denn die Post wurde an unser Haus angebaut.»


Sein Vater betrieb früher neben der Landwirtschaft noch einen Stickereibetrieb. Mit Milchwirtschaft, Ackerbau und Obstbau führte Bernhard Fraefel den Betrieb in der gleichen Art weiter, wie sein Vater es vor ihm auch getan hatte. Fraefels Nachfolger wurde sein Göttibub Walter Signer, der bereits als Kind dem Götti zur Hand ging und den Hof 1991 pachtete und im Jahr 2008 käuflich übernahm. Auch er blieb der Scholle treu, einzig auf Bio hat er den Betrieb umgestellt.


Erst als Pensionär die Zeit zum Malen gefunden


In seinen Jahren als Landwirt hat sich Bernhard Fraefel auch 20 Jahre lang in der Ortsvorsteherschaft engagiert, war Kassier bei der Dreschkooperation und hat im Kirchenchor gesungen. Doch Zeit zum Malen hatte er nie.

Auch mit der Kunst habe er sich nicht beschäftigt, deshalb habe er der Maltherapeutin auch gesagt, dass er nie eine Kunstgewerbeschule von innen gesehen hat, dass einzig die Natur seine Lehrmeisterin gewesen sei. Christina Fabian, Maltherapeutin im St. Katharinental, ist begeistert von seinen Bildern und hat deswegen auch veranlasst, dass davon Kunstkarten gedruckt werden, die sich auch gut verkaufen.


Bernhard Fraefel hat nie ein Auto besessen, hingegen hat sein Vater bereits im Jahr 1946 an der Olma einen Meili-Traktor gekauft, den sie dann in Schaffhausen in der Fabrik abgeholt hatten. Vorher hatten sie die Kühe oder auch mal den Muni eingespannt. Später fuhr seine Schwester Vespa und Lambretta, doch er ging zu Fuss oder fuhr mit Bus und Zug.


Blick zurück auf ein erfülltes Leben


«Ich hatte ein gutes Leben und viel Glück gehabt», sagt der Pensionär überzeugt. Hingegen will er den Schirm heute und morgen noch nicht zumachen. «Manchmal geht einem viel durch den Kopf, in schlaflosen Nächten», meint er etwas ernster, «doch am Morgen weiss man nicht mehr so genau, was einen beschäftigt hat und das ist auch gut so.» Er schaue gerne zurück und sei zufrieden mit dem, was er erreicht habe.

Es sei wichtig für ihn, mit sich und den Mitmenschen im Reinen zu sein. Und wenn man am Morgen einander mit einem freundlichen Morgengruss begegnen darf, sei die Welt für ihn in Ordnung. Er habe aber auch immer auf Gottes Hilfe vertraut. «Man muss auch selber etwas dazu beitragen, dass man auf einem guten Stern leben darf», ist er überzeugt.


Was wünscht man sich nach einem solch reich erfüllten Leben noch? «Zuerst will ich nochmals nach Hause nach Weingarten und schauen, ob der Frühling schon Einzug gehalten hat. Und dann will ich wieder malen und singen, denn die anderen freuen sich immer, wenn ich ihnen den Schacher Seppli vorsinge.»


Ruth Bossert