"Irrwege der Schweizer Agrarpolitik", heisst der Titel eines Gastbeitrags, den Peter Grünenfelder dieser Tage in mehreren Schweizer Zeitungen publizierte. Darin wiederholt er die Polemik, die Avenir Suisse kurz zuvor mit der Zweitauflage ihres "Privlilegienregisters der Schweizer Landwirtschaft" (wir berichteten).

"Hemmschuh Landwirtschaft aus dem Weg räumen"

Darin listet Grünenfelder noch einmal die altbekannten Vorwürfe der "Denkfabrik" gegen die Landwirtschaft auf: zu teuer, zu viel Grenzschutz, zu wenig marktorientiert, zu wenig umweltverträglich. "Angesichts dieser Entwicklungen bedarf es einer umfassenden Modernisierung der Schweizer Agrarpolitik, eines radikalen Abbaus der Agrarbürokratie und einer Neupriorisierung des Einsatzes der Steuermittel", lautet das Fazit des Vordenkers, dessen Organisation von grossen Schweizer Firmen alimentiert wird.

In einer Replik nimmt der designierte Direktor des Schweizer Bauernverbands (SBV), Martin Rufer Stellung zu den Vorwürfen von Avenir Suisse (s. Kasten unten). "Mit ideologisch verzerrter Rechnerei auf Irrwegen" titel Rufer sein Papier.  Der Organisation gehe es lediglich darum, "den vermeintlichen Hemmschuh Landwirtschaft aus dem Weg zu räumen, der ihren ungehemmten Liberalisierungsabsichten sowie den Sparplänen für die öffentliche Hand im Wege steht", schreibt Rufer.

Man sei mit Avenir Suisse einig, dass der administrative Aufwand für die Landwirtschaft zu gross sei. Leider mache sie diesbezüglich aber keinerlei nützliche Verbesserungsvorschläge, ausser "Tabula rasa". 

Kohärente Ernährungspolitik statt radikale Agrarpolitik nötig

Viele Vorwürfe von Avenir Suisse verflüchtigten sich spätestens dann, wenn man berücksichtige, "dass die Faktoren Kosten und Leistungen der landwirtschaftlichen Produktion standortgebunden sind". Weiter löse man die Umweltprobleme nicht, indem man sie exportiere. Die Schweiz sei schon heute "Weltmeisterin im Export von negativen Umwelteffekten", schreibt Rufer, 75% der konsumbedingten Umweltauswirkungen der Schweizerinnen und Schweizer fielen schon heute im Ausland an.

Die Berechnungen von Avenir Suisse zu den volkswirtschaftlichen Kosten basierten auf vielen ungesicherten Mutmassungen und Annahmen, schreibt der künftige SBV-Direktor weiter. So laste man der Landwirtschaft willkürlich volkswirtschaftliche Kosten an, während der Nutzen kleingerechnet oder ganz ausgeblendet bleibe.

Avenir Suisse stehe sich auch mit dem zweiten "Aufwasch" ihres Privilegienregisters selbst auf den Füssen, schreibt Rufer. "Der von Avenir Suisse ersehnte Kahlschlag des Agrarsektors bringt unser Land nicht weiter. Statt einer radikalen Agrarpolitik brauchen wir für die Zukunft eine kohärente Schweizer Ernährungspolitik." 

 

Die Replik von Martin Rufer, SBV im Wortlaut

Mit ideologisch verzerrter Rechnerei auf Irrwegen

Avenir Suisse sieht sich als Vordenkerin für die Schweizer Wirtschaft. Da dürfte man eigentlich erwarten, dass sie den Zusammenhang zwischen einer erfolgreichen Volkswirtschaft und der im Verhältnis zu den anderen Sektoren tieferen landwirtschaftlichen Wertschöpfung mit wenig Beschäftigten im 1. Sektor herstellen kann. Will sie aber nicht. Denn es geht ihr letztlich nur darum, den vermeintlichen Hemmschuh Landwirtschaft aus dem Weg zu räumen, der ihren ungehemmten Liberalisierungsabsichten sowie den Sparplänen für die öffentliche Hand im Wege steht. Ihre Theorien und Berechnungsgrundlagen stützt Avenir Suisse auf einem Vergleich der Schweizer Preise für Agrargüter mit den Weltmarktpreisen ab. Logisch, dass hier die Schweiz mit teurem Kostenniveau nicht mithalten kann. Das ist auch nicht das Ziel: Weltmarktpreise für Agrargüter sind oft nicht kostendeckend und sie berücksichtigen keinerlei negative externe Effekte, wie z.B. miserable Arbeits- oder Tierhaltungsbedingungen.

Wir sind mit Avenir Suisse einig, dass der administrative Aufwand für die Umsetzung der Agrarpolitik zu gross ist. Leider macht sie aber keinerlei nützliche Verbesserungsvorschläge. Ausser natürlich die vorgeschlagene «Tabula rasa». Für die so verbleibende «Schrumpflandwirtschaft» im industriellen Stil an den besten Standorten und in einigen wenigen lukrativen Nischenproduktionen braucht es dann auch nicht mehr so viele Beamte.

Viele Vorwürfe von Avenir Suisse verflüchtigen sich spätestens dann, wenn man berücksichtigt, dass die Faktoren Kosten und Leistungen der landwirtschaftlichen Produktion standortgebunden sind. Fällt die Hauptproduktion am Standort aus, geht auch das gemeinwirtschaftliche Koppelprodukt verloren oder würde ein Vielfaches der Kosten verschlingen (z.B. Landschaftspflege durch Landschaftsgärtner). Weiter löst man Umweltprobleme nicht, wenn man sie exportiert. Je weiter entfernt die Produktion stattfindet, desto schwieriger ist die Kontrolle der Produktionsmethoden oder die Vermeidung von externen Schäden (z.B. Tierwohl, Umweltschutz). Die Schweiz ist im Export von negativen Umwelteffekten Weltmeisterin. 75% unserer konsumbedingten Umweltauswirkungen fallen schon heute im Ausland an. Dazu passt, dass sich der Avenir Direktor am Marketing für Inlandeier stört. Aber warum braucht es ein solches: Weil wir in der Schweiz immer noch Billigst-Eier aus Käfighaltung importieren dürfen! Gefüttert sind diese Hühner mit GVO-Soja aus ehemaligen Regenwaldgebieten.

Die Berechnungen von Avenir Suisse zu den volkswirtschaftlichen Kosten basieren auf vielen ungesicherten Mutmassungen und Annahmen, die sie mit groben Schätzungen multiplizieren. So werden der Landwirtschaft willkürlich volkswirtschaftliche Kosten angelastet. Den Nutzen des Agrarsektors hingegen rechnen sie klein oder blendet ihn ganz aus, z.B. der Nutzen einer gepflegten Kulturlandschaft für den Tourismus.

Die «Denkfabrik» stand sich auch im «zweiten Aufwasch» ihres Privilegienregisters selbst auf den Füssen. Zu Verbissen verfolgt sie ihr eigentliches Ziel. Der von Avenir Suisse ersehnte Kahlschlag des Agrarsektors bringt unser Land nicht weiter. Statt einer radikalen Agrarpolitik brauchen wir für die Zukunft eine kohärente Schweizer Ernährungspolitik.  

Martin Rufer, Schweizer Bauernverband