Der Generationenwechsel auf dem Hof ist in erster Linie eine grosse Erleichterung für den abtretenden Betriebsleiter. Vierzig Jahre lang hat er seine Zeit und seine Kraft in die Aufrechterhaltung und Gestaltung des Gehöfts gesteckt.

Schön, wenn der Sohn oder die Tochter Interesse zeigt dafür. Wenn alles, was man aufgebaut hat, in der Familie bleibt und das Kind erntet, was man gesät hat. Nicht zu vergessen, dass viele froh sind, dass sie sich nicht mehr um die Büroarbeiten kümmern müssen, und mit ständig ändernden Vorschriften konfrontiert sind.

Nicht selten öffnet die Hofübergabe aber auch verschiedenste Konfliktherde, mit denen der Umgang erlernt werden muss.


Die Hofübergabe gilt als kritisches Lebensereignis


Die Stressforschung hat hervorgebracht, dass es drei verschiedene Ursachen von Stress gibt:

  • Kritisches Lebensereignis: Markantes, den Lebensalltag eines Menschen erheblich veränderndes Ereignis, das an einem einzelnen Zeitpunkt festgemacht werden kann. Das könnte die Hochzeit, die Geburt eines Kindes, die Beförderung im Beruf, aber auch ein Unfall oder ein Todesfall in der Familie sein.
  • Entwicklungsaufgabe: Belastung, die direkt aus der eigenen biografischen Entwicklung resultiert und einen andauernden, inneren Prozess bedeuten. Dazu gehören die Pubertät, die Elternschaft oder die Pensionierung.
  • Tägliche Widrigkeiten: Kleine, meist unbedeutende Ereignisse, die das Leben erschweren. Beispiele sind das Zuspätkommen zu einem Termin oder das lange Anstehen in einer Warteschlange.


Die Hofübergabe kann den kritischen Lebensereignissen zugeordnet werden, so Sonja Imoberdorf, Agronomin, Sozialarbeiterin und selber Bauerntochter. Sie hat sich intensiv mit den Stressfaktoren von Bauernfamilien auseinandergesetzt. Besonders anspruchsvoll wird die Übergabephase, wenn zur Übergabe an sich, die bei Vater und Sohn auch eine Entwicklungsaufgabe bedeuten, noch Alltagsstress hinzu kommt. Dies kann das Fass zum Überlaufen bringen. Doch wir wollen nicht gleich vom Schlimmsten ausgehen.


Die Hofübergabe beginnt ein Jahr vor der Überschreibung


«Oft ist beim Betriebsleiterwechsel auch eine strategische Neuausrichtung gefragt», weiss Markus von Gunten. Der Betriebsberater hat schon viele Hofübergaben begleitet. Änderungen drängen sich teilweise auf, weil gewisse Betriebszweige nicht mehr rentieren oder der Nachfolger neue Ideen hat. Idealerweise trifft er die Bauernfamilie ein Jahr vor der Überschreibung zu einem Erstgespräch. Neben den rechtlichen und finanziellen Fragen spielen die sozialen Umstände auch für ihn eine grosse Rolle.

Die ganze Familie involvieren


Vor der Hofübergabe ist es wichtig, sich zu sagen, was einen immer gestört hat oder was falsch gelaufen ist in der Vergangenheit. Mit der ganzen Familie, also auch mit den Geschwistern des Nachfolgers, gilt es, alte Konflikte auszudiskutieren.

«Der Wechsel auf dem Hof ist der ideale Zeitpunkt, um Unausgesprochenes offen zu legen, sonst drängen Verletzungen oder Missverständnisse immer wieder in den Arbeits- und Familienalltag», betont Sonja Imoberdorf.


Drei Bereiche sind auf einem Bauernhof eng verwoben: Die Familie, der Beruf und das Eigentum. Die zwischenmenschlichen Beziehungen beeinflussen immer auch das Fortbestehen des Hofs. Wenn Störungen auftreten, lässt dies sowohl das Familienleben als auch die Arbeit auf dem Betrieb nicht unbeeinflusst. Die gegenseitige Abhängigkeit ist in Bauernfamilien viel stärker als in Familien ohne eigenes Unternehmen.


Rollenwechsel trotz gleichbleibenden Verhältnissen


Der Übergeber muss begreifen, dass er jetzt seine Entscheidungsautorität abgibt. Dass er von nun an im Auftrag des Sohnes arbeitet. Sonja Imoberdorf empfiehlt, dass der Vater nur dann einen Rat abgibt, wenn der Sohn selber mit Fragen kommt und ansonsten den Nachfolger machen lässt, auch wenn dabei einmal ein Fehler passiert.


Für den Übergeber ist der Betriebsleiterwechsel gleichbedeutend mit dem Übertritt ins Rentenalter. Dieser Lebensabschnitt ist in jeder Berufsgattung nicht einfach. Doch während ein Schreiner an einem offiziellen Datum den letzten Arbeitstag hat und sich auf diesen Tag vorbereitet, ist es für Landwirte ein schleichender Übergang.

Markus von Gunten erklärt, dass das den grossen Vorteil hat, dass der ehemalige Lebensinhalt nicht von einem Tag auf den anderen wegfällt. Es kann aber auch zu einem Nachteil werden. Denn die Verantwortung loszulassen, während der Hof Wohn- und Arbeitsort bleibt, ist nicht leicht.

Häufig arbeiten Eltern weiter mit

Erschwerend komme hinzu, wenn der Sohn aus finanziellen Gründen einem Nebenerwerb nachgeht. Diese Verdienstquelle wird, nach den Erfahrungen von Markus von Gunten, meist nicht direkt bei der Hofübernahme aufgegeben. Das heisst, der Vater führt weiterhin viele Haupttätigkeiten aus.


Wenn nun aber der Sohn Änderungen (bspw. in der Fütterung) entschieden hat, werden diese Tätigkeiten vom Vater, meist nur aus Gewohnheit, gleich ausgeführt wie zuvor. Der Sohn kommt nach Hause und ist irritiert. «Wenn er seinen Unmut äussert, kann das in den Eltern Reaktionen hervorrufen wie: «War denn alles falsch, was wir bisher gemacht haben?» oder «Wenn nicht recht ist, was ich mache, dann mache ich halt gar nichts mehr!»

Markus von Gunten betont in solchen Fällen jeweils, dass es nicht um richtig oder falsch geht. Jede Person hat eigene Ideen. Verschiedene Wege führen ans gleiche Ziel. Heute sind aber auch andere Methoden gefragt als vor 30 Jahren.

Konflikte nicht ausschweigen


Anders herum kann auch vorkommen, dass der Vater dem Sohn hilft, aber immer alles kritisiert, was der Junge anders macht. So verliert der Nachfolger das Interesse daran, den Vater zu fragen.


Destruktiv ist laut Sonja Imoberdorf, wenn solche Konflikte «dem Frieden zuliebe» ausgeschwiegen werden. Das passiert gerne, weil die Existenz von der guten Zusammenarbeit abhängt. Aber das Verschwiegene ist in diesem Fall nicht aus der Welt. Es brodelt unterschwellig weiter und findet immer wieder Wege an die Oberfläche.


Ablösung von Eltern ist ein wichtiger Entwicklungsschritt


In bäuerlichen Familien ist die Loyalität von Kindern zu Eltern stark ausgeprägt. Für den Hofnachfolger ist es wichtig, dass bei dieser engen Zusammenarbeit und den Wohnverhältnissen eine gesunde Distanz gewahrt wird.

Voraussetzung dafür ist eine erfolgreiche Auflösung der Eltern-Kind-Bindung. Das Kind muss sich abgrenzen von den Eltern, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, wenn die eigenen Werte sich nicht mit denen der Eltern decken. Die Eltern müssen akzeptieren, dass ihre Betreuungsaufgabe nicht mehr nötig ist.


Wenn dieser Schritt nicht gemacht werden kann, bleibt der junge Mensch abhängig von anderen Menschen und wird Schwierigkeiten haben, reife Partnerbeziehungen einzugehen, beziehungsweise die eigenen Kinder auf dem Weg zur Selbständigkeit zu begleiten.

Partner(in) miteinbeziehen

Sobald nämlich eine Partnerin oder ein Partner auf den Hof zieht, kommt der Sohn in eine Zwickmühle. Hört man nun auf die Eltern oder auf die Partnerin? Aus unterschiedlichen Familien treffen unterschiedliche Werthaltungen zusammen. «Eigentlich müsste der Bauer voll loyal sein gegenüber seiner Frau oder Partnerin», stellt Sonja Imoberdorf klar.

Dabei sollte er sich aber gegenüber der eigenen Mutter so verhalten, dass sie sich nicht ausgestossen fühlt. Auch Markus von Gunten plädiert dafür, dass die Frau beigezogen wird, wenn es um Entscheidungen auf dem Hof geht. Auch wenn es mit den Eltern einfacher ginge, weil diese alle Vorgänge auf dem Hof schon kennen und so weniger Erklärungbedarf besteht.

Offen miteinander sein


Damit ein harmonisches Familienleben gelebt werden 
kann, muss offen miteinander geredet und einander zugehört werden. So können aus den unterschiedlichen Ansichten auch Kompromisse geschlossen werden. «Entscheidend sind oft die Kleinigkeiten», weiss von Gunten.

Wenn er bei Hofberatungen frage, wie der Keller aufgeteilt werde oder ob die Blumenkisten im ersten Stock noch gemacht würden und von wem, werde er oft mit grossen Augen angeschaut. Genau in diesen Details stecke aber der Schlüssel zum Familienfrieden.


Nadine Baumgartner