In der Schweiz werden pro Jahr rund 250'000 Kälber gemästet. Weil die Kälber häufig von verschiedenen Herkunftsbetrieben kommen, sind sie anfällig für Infektionskrankheiten.

Daher wird auf vielen Betrieben vorbeugend Antibiotika eingesetzt. Dadurch steigt aber die

Gefahr von Resistenzbildungen.


Hier setzt das Projekt «Freiluftkalb», getragen von der IP-Suisse, der Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern und vom Migros Genossenschaftsbund (MGB), an. Es hat zum Ziel, die Tiergesundheit und die Wirtschaftlichkeit in der Mastkälberhaltung zu verbessern. 


Möglichst naturnah

Das Projekt startete im September 2016. Im Mittelpunkt stehen die Senkung der Erkrankungsraten, des Antibiotikaeinsatzes und der Sterblichkeit während der Mast. Es gehe darum, ob sich durch eine neue Haltungsmöglichkeit die Gesundheit der Tiere verbessere, erklärt Niklaus Hofer, stv. Geschäftsführer bei IP-Suisse. «Ziel ist es, dem Tier eine möglichst natürliche Umgebung zu bieten.»

Dazu zählen Punkte wie Aussenklima, kein Temperaturgefälle, natürliches Tageslicht, natürliche 
Luftfeuchte und Rückzugsmöglichkeiten.


Für Andreas Schmidli, Fachspezialist Tierwohl beim MGB, ist dies mit ein Grund, weshalb die Migros das Projekt unterstützt: «Die Migros beteiligt sich an verschiedenen Forschungsprojekten, welche darauf abzielen, die Nachhaltigkeit zu stärken und Wertschöpfungsketten zu verbessern, aus welchen die Migros auch Ware bezieht», sagt Schmidli. «Beim Forschungsprojekt Freiluftkalb beteiligen wir uns, weil wir uns aus diesem

Projekt erhoffen, dass die Kälbergesundheit gesteigert wird – und letztendlich auch weniger

Antibiotika eingesetzt werden müssen», hält er weiter fest.


Neben der finanziellen Beteiligung garantiert die Migros mit der Micarna auch die Abnahme der Kälber und dass von den Schlachtkörpern Proben genommen werden können.

Schwierige Anlaufphase

Die Suche nach Betrieben gestaltete sich nicht ganz einfach, räumen die Verantwortlichen ein. «Nachdem die ersten Betriebe gestartet haben, hat das Vertrauen in die Freiluftidee und das Interesse von weiteren Betriebsleitern aber schnell zugenommen», berichtet Jens Becker, Tierarzt bei Vetsuisse.


Insgesamt haben 19 Betriebe aus sieben Kantonen an der Studie teilgenommen. Daneben gab es ebenso viele Referenzbetriebe zum Vergleich der Resultate. Während einem Jahr wurden die Kälber begleitet und verschiedene Parameter erhoben.

77 Kälber ausgemästet

Einer dieser Pilotbetriebe ist jener von Ueli Häcki. Er führt in Dierikon LU einen 42-ha-Betrieb mit Acker- und Futterbau. Zur Tierhaltung gehören die Milchproduktion, Jungviehaufzucht, Kälber- und Schweinemast. «Ich habe beim Projekt mitgemacht, weil ich dadurch einen Beitrag zur Antibiotikareduktion in der Kalbfleischproduktion leisten kann», erklärt er.  


77 Freiluftkälber hat Häcki ausgemästet und zieht eine sehr positive Bilanz: «Die Tiergesundheit ist deutlich gestiegen und wir mussten weniger Medikamente einsetzen.» Einen Grund sieht er darin, dass die Kälber in den ersten drei Wochen in Einzeliglus gehalten werden und erst dann in die Gruppe kommen. Dadurch seien die Tiere robuster und hätten weniger Stress.

Als negative Aspekte nennt Häcki den hohen Stro
verbrauch und die Mehrarbeit beim Tränken mit dem Milchtaxi. Denn neben dem Projekt liefen bei ihm noch zwei Gruppen Mastkälber am Tränkeautomaten mit Transponder.


Über die ganze Mastperiode wurden rund 1600 Kälber begleitet. Etwa bei einem Drittel der Betriebe ist der Versuch beendet. Die restlichen Betriebe sollen im Mai/Juni fertig werden. Dann beginnt die grosse Arbeit der Auswertung aller Daten. Der Fokus liegt laut Jens Becker auf folgenden Punkten:


- Tiergesundheit: Antibiotikaverbrauch, Sterblichkeitsrate, Abgangsursachen

- Tierwohl: Anzeichen von Haltungseinflüssen, Einstreu, Wasser, Bodenglätte, Wasser- und Heuversorgung
- 
Wirtschaftlichkeit
- 
Schlachtorganuntersuchungen

Beim letzten Punkt fallen zweiParameter besonders ins Gewicht. Becker präzisiert: «Unser Hauptaugenmerk liegt bei den Schlachtorganuntersuchungen einerseits auf Lungenentzündungen, da diese der Hauptgrund für Antibiotikabehandlungen sind.»

Zweitwichtigstes 
Kriterium sei die Häufigkeit von Labmagengeschwüren, da sie ein Zeichen für Stress sind. 

Das Projekt ist ein Anfang

Die direkte Zusammenarbeit mit den Betriebsleiterinnen und Betriebsleitern habe er als sehr konstruktiv empfunden, sagt Jens Becker. «Der Austausch und die Diskussionen sind für uns wertvoll, da wir das Konzept in der Realität testen und nicht in einer standardisierten Versuchsstation», sagt der Veterinär.

«Wir machen gemeinsam neue Erfahrungen und durch unsere verschiedenen Ausbildungen profitieren wir voneinander», ergänzt er. Auch Niklaus Hofer bestätigt: «Das Echo war in den meisten Fällen positiv. Viele 
Produzenten sind begeistert 
vom Aufstallungssystem und der dadurch besseren Gesundheit der Kälber.»


Resultate nicht vor Ende 2018

Erste Resultate sind laut Becker Ende 2018 / Anfang 2019 zu erwarten. Diese sollen dann der Öffentlichkeit präsentiert werden. Bauer Ueli Häcki zieht jedenfalls schon jetzt ein positives Fazit: «Die Idee muss man unbedingt weiterverfolgen».


Zuversichtlich äussert sich auch Andreas Schmidli, betont jedoch, dass ein Label «Freiluftkalb» nicht geplant sei. Hingegen kann er sich vorstellen, dass die Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt in die IP-Suisse-Richtlinien einfliessen werden und damit Bestandteil des Migros-Labels Terra Suisse werden.


Stefanie Giger