„Bislang hatten wir eigentlich ein ziemlich ausbalanciertes System“, sagt Peter Schneider von Proviande, der Branchenorganisation der Schweizer Fleischwirtschaft. „Dass es zwischendrin saisonale Schwankungen gibt, ist normal, wir produzieren ja mit der Natur.“ Trotzdem deckt das Angebot von Kuh-, Rind- und Kalbfleisch die Nachfrage in der Schweiz sehr gut ab. Überschüsse gibt es nicht, der Selbstversorgungsgrad liegt zwischen 80 und 95 Prozent, die Pflichtimporte gemäss WTO-Abkommen decken den Rest.

Doch diese Balance ist in Gefahr. Nicht wegen der Fleischproduzenten, die geben weiterhin ihr Bestes. Sondern wegen der Misere auf dem Milchmarkt. Weil die Milchpreise nicht kostendeckend sind, stellten in den letzten Jahren zahlreiche Milchbauern die Milchproduktion ein. „In den letzten fünf Jahren haben die Milchkuhbestände jedes Jahr um rund 10 000 Tiere abgenommen. Wenn das so weiter geht, bekommen wir bald einmal Probleme mit der Versorgung von Fleisch für die Verarbeitung.“

Mangelware Kuhfleisch

Schon heute ist das Fleisch von ausgedienten Kühen knapp. Es handelt sich dabei um sogenanntes Verarbeitungsfleisch. Dieses Fleisch ist nicht mehr so zart ist wie von jungen Tieren und taugt deshalb nicht für Gerichte "à la minute". Stattdessen wird es grösstenteils zerkleinert und zum Beispiel im Hackfleisch verwendet. Auch in der Schweizer Nationalwurst, der Cervelat, steckt viel Kuhfleisch drin. Vorerst stammt dieses noch aus der Schweiz. Ob das auch in Zukunft noch der Fall sein wird, ist unklar. Denn nicht nur die Kuhbestände sinken, sondern auch die Züchtung geht in eine andere Richtung, wie Schneider erklärt: „Die Milchviehhalter produzieren mit weniger Kühen gleich viel Milch. Das zeigt, dass die milchbetonten Rassen zugenommen haben.“

Eine Kuh, die viel Milch gibt, hat von Natur aus weniger Fleisch auf den Rippen, die Ausbeute ist deshalb – bei gleichem Verarbeitungsaufwand – kleiner. Die Fleischbranche hätte lieber mehr Zweinutzungstiere, die sowohl Fleisch als auch Milch geben. Die Milchbranche sieht ihr Heil dagegen in der Spezialisierung und fokussiert in erster Linie auf Milchleistung. Es ist nicht leicht, die Interessen der Fleisch- und Milchwirtschaft unter einen Hut zu bringen.

 

Das Angebot an Kälbern schrumpft

Das Problem mit dem fehlenden Kuhfleisch lässt sich teilweise mit Mutterkühen und zusätzlichen Importen überbrücken. Doch weniger Kühe bringen auch weniger Kälber zur Welt. Das spüren vor allem die Kälbermäster. Nur weil der Konsum an Kalbfleisch ebenfalls leicht gesunken ist, sind Angebot und Nachfrage derzeit noch einigermassen im Gleichgewicht. Über alles gesehen hat der Selbstversorgungsgrad mit Schweizer Kalbfleisch in den letzten zehn Jahren jedoch abgenommen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Milchviehbetriebe den Nachwuchs heute gezielter steuern: Dank Spermasexing bringen jene Kühe, die der Betriebsleiter nachziehen will, mehrheitlich weibliche Kälber zur Welt. Die anderen Kühe werden oft mit Fleischrassen besamt.

Aber mit diesen Kälbern werden zuerst die Grossviehmäster beliefert. Auch sie haben allerdings inzwischen keine Auswahl mehr, sie müssen nehmen was an Kälbern auf dem Markt ist. Petra Gasser, die Geschäftsführerin des Schweizer Kälbermästerverbandes, sagt: „Die Konkurrenz um die Tränkekälber ist grösser geworden. Viele Milchbauern haben mit Melken aufgehört und setzen stattdessen auf Rinder- oder Munimast.“ Der Kampf um Tränkekälber treibt natürlich die Preise in die Höhe. Dazu kommt, dass manche Milchproduzenten angefangen haben, Tränkekälber selbst auszumästen, um die Wertschöpfung ihrer Milch zu erhöhen. Diese Entwicklung beobachtet man beim Kälbermästerverband mit gemischten Gefühlen. Gasser: „Unsere Kälbermäster arbeiten sehr professionell, den anderen fehlt dagegen oft die Erfahrung. Da ist das Risiko gross, dass die Qualität darunter leidet.“

Keine Kälber-Importe

Trotz dieser neuen Konkurrenz könnte es sein, dass in Zukunft, wie früher, Wurstfleisch von Kälbern importiert werden muss. Damit würde nicht nur die Swissness mancher Produkte sinken, sondern auch die Wertschöpfung im Inland kleiner werden. Alternativ könnte man theoretisch auch Kälber für die Mast einführen – so wie das in der EU gemacht wird.

Doch Gasser winkt ab: „Kälberimporte lehnen sowohl wir vom Kälbermästerverband als auch der Schweizer Bauernverband klar ab.“ Nicht nur aus Angst um das gute Image, sondern auch aus Angst um die Tiergesundheit. Der Gesundheitszustand der Kälber ist in anderen Ländern oft tiefer und die weiten Transportwege sind alles andere als tiergerecht. „Kälber aus Holland oder Deutschland werden in der EU stunden- oder sogar tagelang in Camions nach Spanien transportiert. So etwas wollen wir hier nicht.“

Eveline Dudda, lid