Wie werden Nutztiere in der Gesellschaft tatsächlich wahrgenommen und wie ernst nehmen wir es mit den ethischen Problemen in der modernen, industriellen Tierhaltung wirklich? Diese Fragen stellte Florian Leiber, Agrarwissenschaftler am Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL), zu Beginn der kürzlich stattgefundenen Fachtagung mit dem Thema «Die Ethik der Nutzung von Tieren in der Landwirtschaft».

Das Wildtier als Modell

Zunächst erläuterte Florian Leiber, dass sich «Artgerechtheit» auf den langen Zeitraum beziehen müsse, in dem sich Tiere evolutionär entwickelt, und sich körperlich und psychisch an spezifische Lebensräume angepasst haben – nicht etwa auf den kurzen Zeitraum seit dem Beginn der Nutzung und Haltung von Tieren durch den Menschen. In diesem Sinne gebe es, so Leiber, eigentlich kein «domestiziertes Rind» als Art, sondern nur ein Rind, dessen Verhalten sich an ein Leben in einer bestimmten natürlichen Umwelt perfekt angepasst hat.

Wie wird Artgerechtheit beurteilt?

Durch die Domestikation entnahm der Mensch die Nutztiere innerhalb kürzester Zeit dieser Umwelt, in die sie sich physiologisch über viele Jahre zutiefst verankerten. Um Tierwohl in der modernen Nutztierhaltung zu bewerten und Artgerechtheit zu beurteilen, muss also das Wildtier und dessen Verhalten in seiner ursprünglichen Umwelt zumindest als einer der Ausgangspunkte hergenommen werden.

Viele Erfahrungsfelder fehlen

Dem Wildtier gegenüber steht in der modernen Landwirtschaft das ökonomisch genutzte Tier, dem wichtige Erfahrungsmöglichkeiten genommen wurden. Ein Beispiel aus der Geflügelproduktion: Natürliches Sozial- und Bewegungsverhalten sowie freie Futterwahl sind wichtige Erfahrungsfelder. Sie haben eine erhebliche Bedeutung für das emotionale Erleben des Tieres. In der modernen Geflügelhaltung haben allerdings weder die unterschiedlichen Geschlechter, noch unterschiedliche Generationen zueinander Kontakt, was die Auslebung eines natürlichen Sozialverhaltens komplett unterbindet, so Leiber. Weiterhin erläutert der Experte, dass den Tieren durch die Bereitstellung von Mischfutter eine Futtervielfalt und Wahlmöglichkeit vorenthalten wird.

«Eine hoch künstliche Zucht»

Durch die Einschränkungen in der Haltung sind Erfahrungsräume im Vergleich zum natürlichen Verhaltensspektrum stark minimiert. Die moderne Geflügelhaltung resultiert laut Florian Leiber in einer «vollständig kontrollierten und hoch künstlichen Zucht», die es den Tieren unmöglich macht, sich aus eigener Kraft heraus fortzupflanzen. Die Hähne seien, sobald sie in die Geschlechtsreife kommen, schlichtweg zu schwer, um theo­retisch auf die Henne aufzuspringen.

Das Tier ist zum Betriebsmittel geworden

Der einzige Zweck, den diese Entwicklung verfolgt, ist ein ökonomischer. «Das Tier ist zu einem  Betriebsmittel, einem Gebrauchsgegenstand gemacht worden», sagt Leiber. «Durch das Unterbinden der zentralen Bereiche seines Verhaltens- und Erfahrungsspektrums nehmen wir dem Tier die Würde. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem wir uns gar nicht mehr fragen müssen, ob das Tier sich fortpflanzen möchte, weil es dies aus sich selbst heraus schon nicht mehr kann.»

Lösungsansatz: Konsummuster hinterfragen

Um zurück zu gelangen, zum Respekt vor den Eigenschaften der jeweiligen Tierart, müsse die Akzeptanz von geringerer Lege- und Wachstumsleistung stehen. Dies funktioniere nur im gesellschaftlichen Dialog durch das kritische Hinterfragen von Konsummustern. Dabei sollte die Leitfrage gestellt werden: Dürfen wir die Folgen unseres Konsums technisch am Tier lösen?

Mehr Respekt und Würde für Nutztiere

Durch die Anerkennung des Tieres als emotionales Lebewesen soll die schrittweise Rücknahme der Verdinglichung als Lösungsansatz dienen. Florian Leiber schlussfolgert, dass Nutztiere von einer Rückgabe an Freiheitsgraden profitieren. Mehr Bewegungsspielraum und mehr Erfahrungsmöglichkeiten müssen dazu zur Verfügung gestellt werden.