Etwa 1200 vierbeinige Patienten werden jährlich in der Berner Wiederkäuerklinik behandelt. Davon wird etwa ein Drittel notfallmässig eingeliefert, erzählte David Rediger, Tierarzt bei der Vetsuisse. Er leitete die Führung durch die Klinik und informierte diverse Medienvertreter über den Alltag zwischen 20-Liter-Infusionen und Operationen am stehenden Patienten.

Nur ein Teil der Vetsuisse-Fakultät

Adrian Steiner, der Leiter der Wiederkäuerklinik, erklärte eingangs die Struktur seines Instituts. Die Klink sei nur ein Teil der Vetsuisse-Fakultät, Universität Bern, und nur etwa 45 der 500 Angestellten dieser Fakultät arbeiteten dort. Bei den Tierkategorien dominieren klar die Rinder: etwa 80 Prozent der vierbeinigen Patienten gehören zu dieser Kategorie, gefolgt von Schafen, Ziegen und einem kleinen Anteil Neuweltkameliden.

Drei Haupt-Aufgaben

Grundsätzlich gebe es drei Hauptaufgaben, erläuterte Steiner; Einerseits die Lehre und Fortbildung, von Studierenden und Tierärzten, aber auch die Ausbildung von Tierpflegern und tierärztlichen Praxisassistenten. Auch die Forschung sei ein wichtiges Feld, wobei Steiner die Anwendbarkeit derselben als wichtig betonte. Der dritte Bereich schlussendlich sei die Bestandsbetreuung und Behandlungen von kranken Wiederkäuern an der stationären Klinik. Dabei arbeite man mit dem Rindergesundheitsdienst zusammen, mit dem Ziel, gesunde Tiere auf den Betrieben zu haben und so die Anzahl Erkrankungen zu reduzieren.

Klauen, Kälber und Euter

Als Beispiele für laufende Forschungsprojekte wurden das «Freiluftkalb», ein Mastitis-Bekämfpungspilotrojekt im Tessin und das Klauengesundheitsprogramm mit Fokus auf die Erdbeerkrankheit kurz vorgestellt. Zu den überfüllten Eutern an Ausstellungen sagte Adrian Steiner, dieser Auftrag konnte  erledigt werden. «Wir haben eine Methode entwickelt, um überfüllte Euter feststellen zu können». Die Definition der Vorgaben zur Umsetzung sei nun Sache der Arbeitsgemeinschaft Schweizer Rinderzüchter, wobei man aber noch einen Kurs zur Durchführung der Ultraschall Untersuchungen für Tierärzte anbiete.

Erfolg dank Melkreihenfolge

Der Kanton Tessin sei mittlerweile dank dem Pilotprojekt an welchem die Wiederkäuerklinik mitarbeitete praktisch frei von der ansteckenden Staphylokokkus aureus GTB Mastitis. Der Schlüssel zum Erfolg sei eine richtige Melkreihenfolge, mit den „möglicherweise“ und den „wirklich kranken“ Tieren zum Schluss. Durch weitere Massnahmen und vor allem Managementanpassungen  könne sehr viel bewirkt werden. Für die Zukunft wird eine Ausweitung des Programms auf die ganze Schweiz diskutiert.

Mortellaro: rasante Ausbreitung

Ein grosses Thema sei auch die Klauengesundheit. Vor etwa 15 Jahren sei Mortellaro, die Erdbeerkrankheit, in der Schweiz noch relativ unbekannt gewesen, habe sich danach aber rasant ausgebreitet, erzählte Steiner. Heute sei diese Krankheit das Tierwohl-Problem Nummer eins. In der Schweiz gingen zwischen 15 und 20 Prozent der Kühe lahm, während in deutschen Ställen sogar im Durchschnitt 50 Prozent betroffen seien. «Sogar die Betriebsleiter unterschätzen die Zahl der Fälle in ihrem Stall, da Mortellaro schleichend vorangeht, bevor es zu einer Lahmheit kommt».

Durchschnittlich etwa 850 Franken

Angesprochen auf die Kosten erklärte Steiner, im Durchschnitt werde pro Tier 850 Franken für eine Behandlung bezahlt, «Dabei geht es aber von 80 bis zu einer Obergrenze von etwa 3000 Franken». Oft würden die Tiere eher spät eingeliefert, oder aber leiden an einer nicht mehr heilbaren Krankheit, so dass schätzungsweise 30 Prozent nicht überlebten. Auch die wirtschaftlichen Überlegungen seien bei Nutztieren zentral: Bei der Behandlung müsse man immer auch den Nutzen für das Tier gegenüber einer Erlösung abwägen.

Operationen im Stehen

Nach den theoretischen Ausführungen übernahm David Rediger die Führung durch die Wiederkäuerklinik. In einem Operationssaal wurden einem Schwarznasenschaf die verkrümmten Beine geradegerichtet. Häufig hätten die hier behandelten Tiere einen besonderen wirtschaftlichen oder einstweilen auch emotionalen Wert für die Besitzer, erklärte Rediger, etwa als Hochzeitsgeschenk. Deshalb sei man eher auch bereit, höhere Kosten in Anspruch zu nehmen.

Während besagtes Schaf auf einem Operationstisch unters Messer kam, werden Kühe meist unter lokaler Betäubung im Stehen operiert. Dazu steht in einer Halle ein Gestell aus dicken Eisenstangen. Falls nötig gibt es auch einen Kipptisch für Vollnarkosen oder Klauen- und Zitzenoperationen.

Infusionen anderer Grösse

Zur Erholung nach einer Behandlung kommen die Kühe in den angrenzenden Stall. Kleine Plaketten machen auf das jeweilige Melkregime aufmerksam, an der Decke hängen wahre Kanister mit Kochsalzlösungen: 20 Liter fassen diese Infusionen. Einwandfreie Milch werde hier verwertet, denn man habe immer ein bis zwei Mastkälber auf dem Gelände, die das weisse Gold bekommen, so Rediger. Mit Medikamenten kontaminierte Milch hingegen wird verbrannt. Der Mist aus dem Patienten-Stall kompostiert man in Bern, er wird später als Dünger verwendet.

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Spender-Kühe mit Stöpseln

Ebenfalls in diesem Stall einquartiert sind die zwei Klinik-eigenen Kühe. Diese haben eine sogenannte Fistel, einen direkten Zugang zum Pansen. Daraus kann direkt eine Probe der gesunden Pansenflora entnommen werden. Diese ist besonders wertvoll für Kühe mit einer Verdauungsstörung, wie zum Beispiel der Labmagenverlagerung; die übertragene Baktereinmischung kurbelt nach der Operation die Verdauung wieder an und unterstützt so die Gesundung. Zwar müsse die Fistel täglich gepflegt werden, sie beeinträchtige die Spender-Kühe aber nicht weiter. Wann immer möglich lasse man sie täglich auf die Weide, so Rediger. So sieht Stöpsel auf dem Bauch von Flurina und ihrer Kollegin zwar etwas unheimlich aus, aber man gewöhnt sich wohl an alles.

Vom Isolations- zum Kamelidenstall

Etwas abseits steht auf dem Areal ein kleiner Stall aus Holz. Darin wurden zu Beginn der Schweiz-weiten Bovinen Virus-Diarrhoe (BVD) -Bekämpfung Rinder bis zum Vorliegen des BVD-Resultates unter Quarantäne gehalten. Heute müssen nur noch die Risikorinder isoliert werden und der Stall ist daher auch mit Alpakas und Schafen belegt, die bequem in den kleinen Boxen Platz haben.

Eine Bildergalerie zum Rundgang durch die Wiederkäuerklinik finden Sie hier.